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Premier in Nöten

Das Ende der japanischen Karaoke-Diplomatie. Tauwetter zwischen Tokio und Peking

Von Josef Oberländer *

Japans Ministerpräsident Yukio Hatoyama ist angezählt. Sein Amtsantritt im September war mit großen Hoffnungen auf eine Demokratisierung der verknöcherten politischen Strukturen des Inselreichs verbunden. Bis Ende Mai wollte er im Streit um die US-Militärbasis Futenma auf Okinawa eine für alle Seiten befriedigende Lösung erreichen. Daran glaubt inzwischen keiner mehr. Am 25. April findet auf Okinawa eine Großdemonstration für den Abzug der US-Truppen statt. In Tokio wird bereits Hatoyamas Stellvertreter Naoto Kan, der ebenfalls zu den Gründern der Demokratischen Partei (DPJ) zählt, als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht. Unter der Oberfläche brodelt es. Parteiführer Ichiro Ozawa sagte zuletzt einen für Mai geplanten Besuch in den Vereinigten Staaten ab.

Zwischen Tokio und Peking herrscht inzwischen Tauwetter. Anders als die konservative Vorgängerregierung setzt die DPJ auf Ausgleich. Die Zeit der »Karaoke-Diplomatie«, bei der Washington Text und Melodie vorgab, scheint endgültig vorbei zu sein. Die elf Bürgermeister der im Südwesten Japans gelegenen Inselgruppe Okinawa haben einstimmig die sofortige Schließung von Futenma und die Verlegung der US-Truppen an einen Ort außerhalb Japans gefordert. Das Regionalparlament hatte bereits eine ähnliche Resolution verabschiedet. Das abgelegene Okinawa gilt zwar als strukturschwache Region, aber der Erhalt der Arbeitsplätze im Umfeld der Stützpunkte - vom Zulieferer bis zum Taxifahrer - spielt in der Debatte keine große Rolle mehr. In einer aktuellen Umfrage der Zeitung Asahi Shinbun sprachen sich lediglich 28 Prozent der Teilnehmer für eine Verlegung des Stützpunkts innerhalb Okinawas aus. Neben der Region rund um Yokohama trägt die 1972 von Washington unter zahlreichen Bedingungen an Tokio zurückgegebene Inselgruppe die Hauptlast der US-Truppenpräsenz, die sich unter anderem in Fluglärm und Umweltschäden äußert. Mehr als die Hälfte der 47000 US-Soldaten in Japan sind auf Okinawa stationiert. Sie bilden neben den Einheiten auf der Pazifikinsel Guam die Speerspitze des US-Miltärs in der Region. »The Rock«, den Felsen, nennen die G.I.s den unsinkbaren Flugzeugträger im Westpazifik, nicht gerade eine Liebeserklärung. Die Bevölkerung klagt über erhöhte Kriminalität und Vergewaltigungen. Das Status of Forces Agreement (SOFA) schützt US-Soldaten vor dem Zugriff der japanischen Polizei. Erst im Falle einer Anklageerhebung müssen Militärangehörige den lokalen Strafverfolgern überstellt werden.

Die Verlegung von Futenma aus der dichtbesiedelten Inselhauptstadt Ginowan war für die DPJ ein Wahlkampf­thema. Eine vor vier Jahren unterzeichnete bilaterale Vereinbarung sah vor, daß der Hubschrauberlandeplatz der U.S. Marines auf eine künstliche Insel in der Nähe des Stützpunkts Camp Schwab verlegt werden sollte. Der Absturz eines Transporthubschraubers vom Typ CH-53D Sea Stallion auf dem Campus der Okinawa International University 2004, bei dem wie durch ein Wunder niemand getötet wurde, machte den Anwohnern die Gefahren noch einmal deutlich. Zahlreiche Gebäude und Autos wurden damals beschädigt. Seit 1972 gab es auf Okinawa bereits mehr als 70 Unfälle mit US-Flugzeugen oder Hubschraubern. Die geplante Verlegung gilt inzwischen als nicht machbar. Tokio würde deshalb am liebsten alle US-Marines nach Guam verlegen. Dort wären sie von China, Korea und Taiwan gleich weit entfernt. Mit dem Abzug verbunden wäre das Recht, im Krisenfall nach Okinawa zurückzukehren.

»Die permanente Stationierung ausländischer Truppen in einem Land ist nicht normal«, sagte Hatoyama dieser Tage vor dem Haushaltsausschuß des Oberhauses. Es sei von großer Bedeutung, zu einer Vereinbarung ohne dauerhafte US-Militärpräsenz zu kommen. Noch zahlt Japan enorme Summen für seine amerikanischen Beschützer, was dem Inselreich im Kalten Krieg den wirtschaftlichen Aufstieg ohne Sorgen um Verteidigungsfragen ermöglichte. Diese Zeiten scheinen endgültig dem Ende zuzugehen.

* Aus: junge Welt, 13. April 2010


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