Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gedämpftes Gedenken

65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Ost- und Südostasien signalisiert Japan erstmals Lernbereitschaft. In Südkorea trainieren die "Friedenskrieger"

Von Rainer Werning *

Es war eine ungewöhnliche Botschaft, die der erst seit wenigen Wochen amtierende japanische Premierminister Kan Naoto am vergangenen Sonntag aussandte. Genau 65 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und am Jahrestag der japanischen Kapitulation haben erstmals neben dem Regierungschef auch keine Minister seines Kabinetts dem umstrittenen Yasukuni-Schrein in Tokio ihre Aufwartung gemacht. Statt dessen entschuldigte sich Kan bei einer Gedenkveranstaltung für die Rolle Japans während des Weltkriegs. »Während des Krieges hat Japan vielen Ländern bedeutenden Schaden und Schmerz zugefügt«, sagte der Regierungschef und fügte hinzu: »Ich bedauere dies zutiefst und spreche den Opfern und ihren Angehörigen mein aufrichtiges Beileid aus.«

Bereits am Jahrestag der atomaren Verwüstung der japanischen Stadt Nagasaki (9. August 1945) hatte sich Premierminister Kan gegenüber dem koreanischen Volk dafür entschuldigt, daß dem Land während der von 1910 bis 1945 andauernden japanischen Kolonialherrschaft großes Leid zugefügt worden sei. Südkoreas Präsident Lee Myung-Bak wertete das als »einen Schritt vorwärts«. Tatsächlich war im Nachkriegsjapan öffentlich eine Kultur des Vergessens gepflegt worden, die nicht nur die Täterrolle des Landes während des Krieges hartnäckig leugnete, sondern wo man lieber alljährlich die Opferrolle anläßlich der Gedenkfeiern der Atombombenabwürfe auf Hiroschima (6. August) und Nagasaki zelebrierte. Und noch bis zu Beginn der 1990er Jahre war in Tokio ein Mantel des Schweigens über das Schicksal von Hunderttausenden Zwangsarbeitern (romusha) in Südost- und Ost­asien sowie im Pazifik gelegt worden – vom Schicksal der etwa 200000 in japanische Militärbordelle zwangsverschleppten und dort zur Prostitution gezwungenen Mädchen und Frauen (hauptsächlich aus der Kolonie Korea) ganz zu schweigen.

Friedenskrieger in Seoul

Ausgerechnet am 65. Jahrestag nach Kriegsende zeigte sich die politische Führung in der südkoreanischen Metropole Seoul indes wenig friedfertig oder um Ausgleich und Versöhnung in der Region bedacht. Am Sonntag nämlich wurde bekannt, daß ein 14köpfiges Komitee zur Ausarbeitung von militärischen Reformen Präsident Lee Myung-Bak den Vorschlag unterbreitete, einem Operationsplan zuzustimmen, der es den Streitkräften des Landes gestatten würde, im Falle einer sich abzeichnenden nordkoreanischen Aggression präemptiv dessen Militärstützpunkte ins Visier zu nehmen und anzugreifen. Mit diesem Konzept der sogenannten aktiven Abschreckung (»active deterrence«) sollen fortan, so Militärsprecher in Seoul, »Provokationen von Nordkorea« wie die Versenkung der südkoreanischen Korvette Cheonan im März dieses Jahres verhindert werden. Ein Vorwurf, den die Regierung in Pjöngjang bis heute vehement bestreitet. Seouls neues Konzept soll nach Aussagen eines der Komiteemitglieder, der in den südkoreanischen Medien nicht namentlich genannt werden mochte, Angriffe gegen den Norden erwägen, wenn dieser Anzeichen eines Nuklear- und Raketenangriffs erkennen ließe – eine sybillinische Formel, die viel Raum für Spekulationen läßt.

Ebenfalls am 15. August übte sich Präsident Lee auch als Friedensbroker auf der koreanischen Halbinsel. »Die Vereinigung des Landes wird kommen. Es ist deshalb unsere Pflicht, bereits jetzt über reale und substantielle Schritte nachzudenken, um sie vorzubereiten.« Gleichzeitig brachte er eine »Vereinigungssteuer« ins Spiel, mit der die gewaltigen Kosten einer solchen Vereinigung geschultert werden sollen. Mittels eines Dreistufenplans, so Präsident Lee weiter, soll der Weg dahin geebnet werden. Demnach gelte es, Sicherheit und Harmonie auf der Halbinsel herzustellen, einen umfassenden innerkoreanischen Austausch und eine enge beidseitige Kooperation anzustreben sowie mittels »konkreter Maßnahmen« ein neues Verhältnis mit Japan als einstiger Kolonialmacht zu begründen. Einzelheiten seines Plans, so Lee weiter, werde er auf dem am 11. und 12. November in Seoul stattfindenden G20-Gipfeltreffen unterbreiten. Während die regierende Grand National Party Lees Vorschlag als Paradigmenwechsel pries, um interne Probleme gleichzeitig im Kontext verbesserter bilateraler Beziehungen zu Pjöngjang und Tokio anzugehen, zeigte sich die Opposition enttäuscht und wies den Vorschlag als viel zu vage zurück.

Mobilmachung zur See

Just waren die Sonntagsreden in Seoul verklungen, als tags darauf, in den Morgenstunden des 16. August, südkoreanische Einheiten gemeinsam mit US-amerikanischen Streitkräften ihr zweites gemeinsames Großmanöver binnen eines Monats begannen. In die elftägigen Übungen, von Südkoreas Präsident als »Abschreckung und Sicherung des Friedens« deklariert, sind 56000 südkoreanische sowie 30000 US-Soldaten eingebunden. Auf einer Kabinettssitzung, die in einer unterirdischen Kommandozentrale stattfand, rief er die beteiligten Einheiten zu einem »sorgfältigen« Einsatz auf, der »mehr als eine Routineübung« sei. Das Manöver mit dem Codenamen »Ulchi Freedom Guardian« simuliert einen nordkoreanischen Angriff mit Atomwaffen, Raketen und U-Booten. Nach den Worten von General Walter Sharp, dem Oberkommandierenden der augenblicklich 28500 in Südkorea stationierten GIs, handelt es sich dabei um »eine der weltweit größten stabsmäßig abgestimmten Militärübungen« dieser Art. Diese reihen sich ein in eine Serie ähnlicher Manöver, die im vergangenen Monat im Ostchinesischen Meer unter Einbeziehung des atomar betriebenen US-amerikanischen Flugzeugträgers »USS George Washington« sowie in der vergangenen Woche von südkoreanischen Verbänden in völkerrechtlich umstrittenem Terrain des Gelben Meeres abgehalten wurden.

Reaktionen in Pjöngjang

Während die politische Führung in Pjöngjang die gemeinsamen US-amerikanisch-südkoreanischen Manöver scharf verurteilte und als »Kriegsdrohung« brandmarkt, scheint die Debatte um die Nachfolge des 68jährigen »Geliebten Führers« Kim Jong-Il weiterzugehen. Demnach ist nicht Kims jüngster Sohn, der auf zirka 26 Jahre geschätzte Kim Jong-Eun, sondern vielmehr sein 64jähriger Schwager Jang Song-Taek für den höchsten Posten in der nordkoreanischen Nomenklatur auserkoren. Jang ist nicht nur eine Karrierepolitiker. Als gegenwärtiger Vizevorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission, des landesweit mächtigsten Gremiums in der Volksrepublik, war er jahrelang auch für die innere Sicherheit sowie nachrichtendienstliche und organisatorische Angelegenheiten in Staat und Partei (der Arbeit Koreas) tätig und gilt als geschätzter Vertrauter der Führung der Volksrepublik China, immerhin Nordkoreas engster politischer und wirtschaftlicher Verbündeter.

Die Regierung in Pjöngjang gab derweil auf ihrer Internetseite bekannt, nun über einen Twitter-Account sowie einen Auftritt bei Youtube zu verfügen. Unter dem Benutzernamen »uriminzokkiri« wurden dort seit Juli mehr als 80 Videos hochgeladen. Darunter waren auch Clips, in denen Südkorea als Kriegstreiber bezeichnet und die USA dafür kritisiert werden, Nordkorea für den Untergang eines südkoreanischen Kriegsschiffes im März verantwortlich zu machen. Noch fehlt den »neuen Medien« freilich die Massenbasis. Der Twitter-Account »@uriminzok« (»Unsere Nation«) hat zwar 3000 Follower, das Gros der Nordkoreaner kann die per Internet übermittelten Botschafter aber mangels Zugang nicht empfangen. In Südkorea wiederum wird laut einem Bericht der Nachrichtenagentur DAPD die uriminzokkiri-Seite blockiert und mit der Warnung versehen: »Unerlaubter Inhalt«. Derzeit hat Seoul 65 von Pjöngjang oder seinen Unterstützern betriebene Internetseiten gesperrt.

* Aus: junge Welt, 18. August 2010

Yasukuni Schrein des Anstoßes **

Immer wieder sorgt der seit dem Jahre 1879 unter dem Namen Yasukuni (»Friedfertiges Land«) bekannte Shinto-Schrein in Japans Hauptstadt Tokio für Furore. Und immer dann, wenn japanische Ministerpräsidenten den Schrein besuchten, was mit unbekümmerter Regelmäßigkeit geschah, hagelte es Kritik aus dem benachbarten Ausland, vor allem aus China und Korea. Die Regierungen in Peking, Seoul und Pjöngjang halten es für unsensibel, gar geschmacklos, daß hochrangige japanische Politiker diese Stätte besuchen und den dort begrabenen Toten ihre Reverenz erweisen.

Yasukuni entstand als Gedenkstätte für alle Japaner, die im Krieg für Japan gefallen waren und ihr Leben für eine »friedliche Heimat« opferten. Wer das große Eingangstor (torii) passiert hat, wird an das Schicksal von annähernd 2,5 Millionen Japanern erinnert, die während interner Konflikte starben oder im »Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg«, im »Russisch-Japanischen Krieg«, im Ersten Weltkrieg, während des »Mandschurischen Zwischenfalls«, des »Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieges« und des »Krieges im Pazifik« ihr Leben ließen. Auf Gedenktafeln sind die Namen der Gefallenen aufgelistet. Unweit der Hauptgebäude des Schreins wird im Yushukan, einem Museum, an Japans Kriege und all die Kriegstoten erinnert.

Um eben diesen Yasukuni-Schrein ist seit Ende der 1970er Jahre eine scharfe politische Kontroverse entbrannt, seitdem dort ebenfalls vierzehn Hauptkriegsverbrecher der Kategorie A geehrt werden. Wiederholt haben japanische Ministerpräsidenten den Schrein besucht und damit das Prinzip der Trennung von Religions- und Staatsangelegenheiten verletzt. Das hat vor allem scharfe Proteste in jenen Ländern Ost- und Südostasiens ausgelöst, die in der Vergangenheit Opfer des japanischen Militarismus geworden sind. Für sie ist Yasukuni ein Symbol des japanischen Imperialismus und Ultranationalismus und die Gedenkstätte gilt ihnen als Beweis dafür, wie unkritisch in Japan die eigene Geschichte betrachtet wird.

Während in diesem Jahr das gesamte Kabinett von Ministerpräsident Kan Naoto am Jahrestag der Kapitulation Yasukuni fernblieb, hinderte das die oppositionelle Liberaldemokratische Partei (LDP), die Japans Politik seit Kriegsende die längste Zeit beherrschte, nicht daran, den Schrein mit etwa 40 hochrangigen Parteimitgliedern unter Führung von Tanigaki Sadakazu und des ehemaligen Premier Abe Shinzo demonstrativ zu besuchen. Japanische Medien berichteten über mittlerweile 80- bis 85jährige Kriegsveteranen, die sich über den mangelnden Patriotismus der amtierenden Regierung bitter enttäuscht zeigten. (rw)

** Aus: junge Welt, 18. August 2010




Zurück zur Japan-Seite

Zur Seite "Kriegsgeschichte"

Zurück zur Homepage