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Flüchtlinge wehren sich

Heftige Proteste gegen italienische Abschiebepolitik. Zusammenstöße mit Polizei

Von Micaela Taroni, Rom *

In Italien kam es während der vergangenen Tage zu Demonstrationen gegen die unmenschlichen Bedingungen in den Flüchtlingslagern des Landes. Zehntausende Migranten warten seit Monaten in den Aufnahmezentren auf eine Aufenthaltsgenehmigung oder auf die Legalisierung ihres Status als Flüchtlinge. Wegen der langwierigen bürokratischen Prozeduren wächst der Unmut der Migranten, die immer häufiger durch Kundgebungen auf ihr Schicksal aufmerksam machen.

In der süditalienischen Region Kalabrien kam es dabei am Montag abend zu Zusammenstößen zwischen Migranten und der Polizei, bei denen 25 Menschen verletzt wurden. Vier Migranten wurden mit dem Vorwurf verhaftet, Polizisten verletzt zu haben.

In Bari, der Hauptstadt Apuliens, blockierten protestierende Flüchtlinge zu Wochenbeginn eine Hauptverkehrsstraße und eine Bahnlinie und errichteten Barrikaden. Zeitweilig mußte der Bahnverkehr eingestellt werden. Die Demonstranten forderten eine Anerkennung ihres Status als Flüchtlinge. Als Einsatzkräfte versuchten, die Kundgebung mit Hilfe von Tränengas und Warnschüssen zu beenden, wehrten sich die Migranten mit Steinen. Bereits am Samstag war es bei Protesten in einem Flüchtlingslager unweit von Rom ebenfalls zu mehrstündigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Flüchtlingen gekommen.

Die Proteste richten sich unter anderem gegen ein kürzlich verabschiedetes Gesetz, mit dem die Frist für den Verbleib von Migranten in Flüchtlingslagern zur Identifizierung von sechs auf 18 Monate verlängert wird. In dieser Zeitspanne soll ihr Status geklärt und entschieden werden, ob sie in Italien bleiben können oder abgeschoben werden. Die Betroffenen wehren sich vor allem dagegen, anderthalb Jahre lang wie Gefangene in Auffanglagern festgehalten zu werden, bis ihre Situation geklärt ist.

Das Gesetz ist Teil eines Pakets verschärfter gesetzlicher Regelungen zur Abschiebung illegaler Migranten, das erst Ende Juli von der Abgeordnetenkammer in Rom verabschiedet worden war (junge Welt berichtete). Vertreter italienischer Oppositionsparteien äußerten sich nach der Eskalation der Proteste erneut kritisch zu den neuen Bestimmungen. »Die repressive und diskriminierende Politik dieser Regierung führt Migranten zur Verzweiflung. Die Ausländer fordern die Anerkennung ihres Status als Flüchtlinge, müssen aber monatelang in Auffanglagern ausharren, in denen sie wie Gefangene behandelt werden«, sagte die ehemalige Sozialministerin und Parlamentarierin der Demokratischen Partei (PD), Livia Turco. »Repression führt zu keinem Resultat. Die Migrationpolitik dieser Regierung, die Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt, ist vollkommen falsch«, so Turco.

Vertreter der Regierung kündigten hingegen ein hartes Vorgehen gegen die Flüchtlinge an. Federico Bricolo, Fraktionschef von Lega Nord, die Teil der regierenden Koalition von Silvio Berlusconi ist, forderte »Null Toleranz« gegenüber den Protestierenden und erklärte sich mit der Polizei solidarisch.

* Aus: junge Welt, 3. August 2011


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