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Eine Minderheit in Israel wählt Ariel Scharon und entscheidet sich für den Krieg

Ehud Barak hatte nicht den Hauch einer Chance - Ende des Oslo-Prozesses

Das Ergebnis stand eigentlich schon vorher fest: Ehud Barak, der zurückgetretene Ministerpräsident wird das "Duell der Generäle" mit Pauken und Trompeten verlieren und der hartgesottene Moschee-Provokateur Ariel Scharon vom rechts-nationalen Likud-Block die Oberhand behalten. In allen Umfragen der letzten Wochen vor der Wahl rangierte Scharon mit rund 20 Prozentpunkten vor seinem Widersacher. Offen war höchstens, ob er diesen bequemen Abstand auch in der Höhe würde bis ins Ziel retten können.

Er konnte. Mit 62,5 Prozent der abgegebenen Stimmen (gegenüber 37,4 % für Barak) erreichte er das beste Ergebnis, das in den 52 Jahren des israelischen Staates bei vergleichbaren Wahlen je erzielt wurde. Allerdings: Auch die Wahlbeteiligung von rund 62 Prozent bedeutet ein historisches Tief. Scharon weiß also weit weniger als die Hälfte der israelischen Bürger hinter sich. Dass vor allem die arabische Bevölkerung sich der Wahl verweigert hat, geht z.B. daraus hervor, dass in der arabischen Stadt Nazareth lediglich vier Prozent zur Urne gegangen sind. Insgesamt waren es in allen arabischen Wahlbezirken gerade einmal zehn Prozent. Auch Teile der Linken und der Friedensbewegung dürften sich für den Wahlboykott entschieden haben.

Wahl ohne Alternative

Ob die übrigen israelischen Wähler tatsächlich deshalb Scharon gewählt haben, weil sie, wie manche Kommentatoren vermuten, "auf Härte gegen Arafat setzen" (SZ, 06.02.2001), möchten wir aber doch bezweifeln. Vielmehr dürfte eine Rolle gespielt haben, dass Barak keine wirkliche Alternative zu Scharon darstellte. Barak hat vor knapp zwei Jahren das Amt von Netanjahu nach einem überzeugenden Wahlsieg übernommen, dann aber in allen wesentlichen Fragen dessen Politik fortgesetzt - zur Enttäuschung der auf einen friedlichen Ausgleich und Versöhnung mit den Palästinensern orientierten Menschen, darunter nicht wenigen israelischen Arabern, die damals ihre Stimme auch für Barak oder zumindest gegen Netanjahu abgegeben haben. Enttäuscht war auch die israelische Friedensbewegung, die mit ansehen musste, wie halsstarrig Barak an der Nahostpolitik der "eisernen Faust" festhielt und der militärischen Sicherung jüdischer Siedlungen im Westjordanland und in Gaza den Vorzug vor allen anderen Maßnahmen einräumte. Der überraschende Abzug der israelischen Truppen aus der so genannten "Sicherheitszone" im Südlibanon im vergangenen Jahr wäre wenigstens etwas Vorzeigbares gewesen, wenn er Teil eines Gesamtplans und -angebots an die arabischen Nachbarn zur geordneten Aufgabe besetzter Gebiete gewesen wäre. Dies hätte auch die für Syrien wichtigen Golanhöhen einschließen müssen. Und die Palästinenser waren von Barak enttäuscht, weil er Netanjahus offensive Siedlungspolitik ohne Abstriche fortsetzte.

Scharon hat nicht gewonnen - Barak hat verloren

Scharon hat die Wahl also eigentlich gar nicht gewonnen. Barak hat sie verloren. Er hat sie verloren, weil vielen Wählern nicht plausibel gemacht werden konnte, warum sie jenem Mann ihre Stimme geben sollten, von dem sie nach all den Enttäuschungen seiner bisherigen Amtszeit (mit 19 Monaten die kürzeste Amtszeit eines israelischen Premiers) nichts mehr zu erwarten hatten. Baraks Kontrahent in der Arbeitspartei, Schimon Peres, wie Rabin und Arafat Friedensobelpreisträger für ihren Oslo-Prozess, hatte bedeutend bessere Umfrageergebnisse gehabt als Barak. Doch er kam nicht zum Zug und es ist müßig darüber zu spekulieren, ob er Scharon in ernsthafte Bedrängnis hätte bringen können. Abgesehen davon ist auch zweifelhaft, ob Peres in der praktischen Politik als Ministerpräsident wirklich neue Akzente gesetzt hätte. Barak hat die Wahl auch verloren, weil ihm im kurzen Wahlkampf nichts anderes einfiel, als seinen Gegner Scharon als "Kriegstreiber" hinzustellen - der er durchaus ist (vgl. das Kurzporträt weiter unten) -, wo er selber doch auch so viel zur Eskalation nach dem 28. September (Scharons Provokation auf dem Tempelberg, wodurch die Intifada 2 ausgelöst wurde) und so wenig für den Frieden beigetragen hat. In Fernsehspots wurde Scharons kriegerische Vergangenheit angepranger- war nicht Barak auch ein hochdekorierter Offizier und Generalstabschef gewesen? Und auch der Angriff auf Scharon, der seinerzeit den Libanonkrieg mitinitiiert hatte mit der Folge, dass Jassir Arafat und dessen PLO Beirut verlassen mussten, hat einen merkwürdigen Beigeschmack: Bedauert man nun den angezettelten Libanonkrieg oder die Tatsache, dass Arafat sein Hauptquartier aufgab und sich danach umso stärker in die Unabhängigkeitsbemühungen der Palästinenser einmischte? "Es ist verboten, die Zukunft aufzugeben", war eine zentrale Wahlkampfparole Baraks. Doch in den Augen vieler Israelis war da gar keine "Zukunft", die durch Scharon hätte verloren gehen können.

Während Barak kaum etwas richtig machen konnte im Wahlkampf - das beste wäre gewesen, Peres Platz zu machen -, wurde Scharon von seinen Beratern daran gehindert, allzu viel falsch zu machen. In den letzten Tagen vor der Wahl wurde ihm ein regelrechtes Redeverbot auferlegt. Man wusste ja, zu welchen Hasstiraden gegen die Palästinenser und die arabischen Israelis (die fast ein Fünftel des Wahlvolks ausmachen) er sich mitunter hinreißen lässt, wenn man ihm freie Hand gewährt. So war er gehalten, staatsmännische Mine zu einem ansonsten immergleichen Spiel zu machen: "Niemand weiß besser als ich, wie Frieden geschaffen werden kann, nach all den Kriegen, an denen ich teilgenommen habe", verkündete er immer und immer wieder. Nicht dass man ihm das unbedingt glaubte - aber es entsprach möglicherweise dem aus Verzweiflung und Trotz gespeisten Glauben vieler Israelis, auch Scharon würde schließlich auf den rechten Weg des Kompromisses mit den Palästinensern einschwenken. Und wenn er dabei aufgrund seiner Halsstarrigkeit für die israelischen Siedler etwas mehr herausschlagen würde: umso besser!

Ende des Oslo-Prozesses

Mit der Wahl vom 6. Februar 2001 könnte der Oslo-Prozess endgültig zum Stillstand gekommen sein. Scharon steht dazu - am Wahltag selbst hat er es bei einem Besuch in Jerusalem noch einmal betont -, die bisherigen Vereinbarungslinien zwischen Israel und den Palästinensern nicht mehr gelten zu lassen. Jerusalem ist für ihn genauso wenig verhandelbar wie die Siedlungstätigkeit. Arafat ist für ihn nichts weiter als ein "Mörder", "Verbrecher" und "Terrorist". Die Antwort der Palästinenser kam noch am Wahltag: Bei schweren Auseinandersetzungen in den besetzten Gebieten lieferten sich demonstrierende Jugendliche schwere Gefechte mit israelischen Armeeeinheiten. Führende Vertreter der Al Fatah erklärten den Friedensprozess für beendet und kündigten die Fortsetzung des Widerstands gegen die Besatzungsmacht an.

Ob es in Israel zu der von Scharon schon im Vorfeld der Wahl angebotenen Regierung der "nationalen Einheit" kommen wird, die "offen ist für alle zionistischen Parteien, die an einer verantwortungsvollen, ernsthaften und friedenssuchenden Politik teilnehmen wollen", also unter Einschluss der Arbeitspartei, bleibt abzuwarten. Barak antwortete am Wahlabend ausweichend. Die Parteibasis, soweit sie bei der Wahlparty anwesend war, reagierte demonstrativ ablehnend. Viel wahrscheinlicher ist, dass Barak diese Wahlniederlage auch in der eigenen Partei politisch nicht überleben wird.
Peter Strutynski




Scharon ist kein eloquenter Diplomat – wenn ihm etwas nicht gefällt, spaziert er auf die Esplanade des Tempelbergs in Jerusalem und stürzt so die gesamte Region in einen Kleinkrieg mit über 400 Toten. Hinterher bekennt er keine Reue, sondern Stolz und sagt, er habe durch die Visite das wahre Antlitz Arafats enthüllt. Scharon ist Bauer von Beruf und Cowboy im Herzen. Ein Soldat, der immer an vorderster Front gekämpft hat. Seine Vergangenheit als Krieger schreckt die USA, Europa und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse – in Israel, das stärker als während der ersten Intifada um seine Existenz fürchtet, kommt so einer gerade recht. Die Kritik an Thierse war harsch.

Gerne wird Scharons Vita verniedlicht. Vergessen, dass er 1956 an der Tötung jordanischer Palästinenser beteiligt war, dass nach den Massakern in den südlibanesischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila eine israelische Untersuchungskommission ihn für nicht tragbar im Amt des Verteidigungsministers erklärte. Und vergessen auch, dass er 1998, zurückgekehrt vom Wye-Gipfel mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat, jüdische Siedler im Westjordanland aufforderte: "Erobert alle Hügel!"

Wenn er damals nicht Außenminister gewesen wäre, hätte Scharon am liebsten mit besetzt. Scharons Philosophie ist nicht besonders kompliziert: Sie basiert auf dem Zionismus der Einwanderer. Das Land müsse gegen die Palästinenser verteidigt und gleichzeitig beackert werden. Wo Melonen und Apfelsinen wachsen, sieht Scharon das Zuhause der Juden. An der Ernte will Scharon die Palästinenser nicht teilhaben lassen. Höchstens pflücken dürfen sie. Mit Scharon wird Arafat nie seinen Staat bekommen, sondern eine intensivierte Okkupationsmaschine.

Auszug aus "Schutzmann Scharon", von Thorsten Schmitz, Süddeutsche Zeitung, 06. Februar 2001




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