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Israelische Atomwaffen und deutsche U-Boote

Eine Gefahr für den Weltfrieden?

Von Otfried Nassauer und Christopher Steinmetz

Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass. Die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in der Region ist gering. Deutlich wird dies schon an den umfangreichen konventionellen Waffenarsenalen. Zum Alltag gehören aber auch Gerüchte und Spekulationen über Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen, vor allem atomarer Waffen und deren Trägersysteme. Derartige Berichte sind auch Mittel der politischen Auseinandersetzung und der Desinformation geworden – spätestens seit mit George W. Bush in Washington ein Präsident regiert, dessen Regierung bereit ist, gegen die potentiellen Besitzer solcher Waffen Präventiv-Kriege zu führen.

Israel hat die vergangenen Jahren genutzt, um nicht nur vor der irakischen Atombombe zu warnen, sondern auch vor iranischen, saudischen, libyschen und sogar ägyptischen Nuklearwaffen. Die Regierung Scharon betonte wiederholt, solche Programme werde sie nicht dulden und notfalls militärisch dagegen vorgehen. Dies nützt den Interessen Israels, weil es den Druck auf Washington verschärft, politisch und militärisch zu handeln, damit Israel nicht selbst aktiv wird. Denn jeder künftige Waffengang in der Region könnte zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen führen und damit zu einer Gefahr für den Weltfrieden werden.

Zur Erinnerung: Israel hat als einziger Staat der Erde außerhalb eines Krieges bereits einen militärischen Präventivschlag gegen eine Nuklearanlage geführt. Im Juni 1981 zerstörten israelische Kampfflugzeuge den irakischen Reaktor Osirak. Die Regierung Scharon dürfte sich ziemlich sicher sein, dass Washington – so wie damals - eine Verurteilung Israels im Sicherheitsrat verhindern würde, wenn Israel seine militärische Drohung wahr machen würde, z.B. gegen den Iran ähnlich vorzugehen. Denn die Regierung Bush hat präventive Angriffe ganz offen zu einem Bestandteil ihrer nationalen Sicherheitsstrategie erklärt. In der Außenpolitik dominieren zudem neo-konservative Politiker, die dem rechten Flügel des Likud und Scharon besonders wohl gesonnen sind.

Und auch dies zur Erinnerung: Israel ist der einzige Staat in der Region, der bereits über Nuklearwaffen und geeignete Trägersysteme verfügt. Es ist zwar Politik aller israelischen Regierungen seit den 60er Jahren, dies nicht offen zuzugeben. Israel werde nicht der erste Staat in der Region sein, der diese Waffen einführe – so die immer wieder genutzte Formel Doch trotz größter Geheimhaltung, Zensur und sogar offener Repression gegen Insider wie den inhaftierten Mordechai Vanunu – Israel ist eine Atommacht und hat während des Yom-Kippur-Krieges 1973 wahrscheinlich sogar den Einsatz atomarer Waffen erwogen.

Im israelischen Verständnis ist die Atomwaffe das "letzte Mittel", falls die Existenz des Staates Israel gefährdet werden sollte, die ultimative Garantie für das Existenzrecht Israels. Die nukleare Abschreckung und die Drohung mit militärischen Angriffen, falls ein arabischer oder islamischer Staat nach der Bombe greifen sollte - das sind aus Israels Sicht zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Aufrechterhaltung der Abschreckung kommt höchste Priorität zu. Sie soll zugleich unverwundbar sein.

Israel modernisiert inzwischen seine Nuklearabschreckung. Anlass waren offenbar der Golfkrieg 1991, die Erkenntnisse der UN-Inspektoren im Irak und das wachsende Wissen um Bemühungen arabischer Staaten, sich biologische, chemische oder gar atomare Waffen und Raketen zu beschaffen. Es ist allerdings nicht bekannt, was den letzten Ausschlag gab: War es das Altern der Mittelstreckenraketen vom Typ Jericho 1? Oder war es die Befürchtung, Angreifer könnten die israelischen land- und luftgestützten Atomwaffen mit konventionellen oder gar chemisch-biologischen Angriffen rechtzeitig ausschalten oder zumindest lähmen? Oder war es die Befürchtung, die Reichweite der eigenen Waffen sei künftig zu gering, um entstehende atomare Potentiale im Iran oder in Pakistan zu erreichen? Anfang der neunziger Jahre griff Israel einen Plan aus den siebziger Jahren wieder auf: Atomwaffen sollten auf U-Booten stationiert werden. Sie seien dadurch so gut wie unverwundbar.

Vor zwei Wochen war es offenbar soweit. Die Los Angeles Times meldete am 12. Oktober, Israel sei es gelungen, drei von Deutschland gelieferte Dolphin-U-Boote mit nuklearen Harpoon-Flugkörpern zu bestücken. Israel verfüge jetzt über eine seegestützte Abschreckungsfähigkeit. Das Dementi aus Tel Aviv kam prompt – es bezog sich vor allem auf den Flugkörpertyp.

Deutsche U-Boote als Plattform für israelische Atomwaffen - blicken wir zurück, wie es dazu kam. Unter dem Eindruck der irakischen Raketenangriffe auf Israel im Januar 1991 und der Enthüllungen über deutsche Zulieferungen zu den Waffenprogrammen des Iraks erfüllte die Regierung Kohl Israel einen lange gehegten Wunsch: Deutschland werde Israel zwei neue U-Boote finanzieren. Später kam ein drittes hinzu. Der deutsche Steuerzahler trug den Löwenanteil der Kosten. 1,1 Mrd. DM von einem Gesamtausfuhrwert von 1,28 Mrd. Als die Boote 1999 und 2000 ausgeliefert wurden, waren sie durch eine technische Besonderheit gekennzeichnet: Neben sechs Torpedorohren des Standard-kalibers 533mm besaßen sie vier Rohre des Kalibers 650mm. Auf Nachfragen im Bundestag gab die Bundesregierung zu Protokoll, dass sie Sinn und Zweck der größeren Torpedorohre nicht kenne. Für die Werften war es das erste Mal, dass sie eine Torpedosektion für diese Rohrgröße und für zwei verschiedene Torpedorohre bauen mussten. Ein teure Angelegenheit also, deren Sinn und Zweck vermutlich allergrößte Priorität zukam. Kaum in Israel angekommen, wurden die U-Boote umgebaut. Was genau verändert wurde, ist nicht bekannt. Im Mai 2000 beobachtete die amerikanische Marine Flugkörpertests vor Sri Lanka. Von den Dolphin-U-Booten seien Flugkörper mit konventionellem Sprengkopf auf ein 1.500 Kilometer entferntes Ziel abgefeuert worden. Diese Raketen müssen entweder eine Eigenentwicklung sein oder sie sind mit diskreter ausländischer Hilfe in Israel entwickelt worden. Washington hatte Israel den Wunsch nach Langstrecken-Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk zuvor abgelehnt. Werden die 650mm Torpedorohre also für einen israelischen Langstreckenflugkörper benötigt?

Nach Bekanntwerden des Tests verstärkten sich die Vermutungen, dass Israel die deutschen U-Boote als Atomwaffenträger nutzen will. Mit U-Boot-gestützten Flugkörpern dieser Reichweite könnte Israel seine atomare Abschreckung auf weitere potentielle Gegner ausdehnen. Das wäre mit Raketen kürzerer Reich-weite – wie der Harpoon oder bekannten israelischen Marschflugkörpern – nicht möglich. Dies wäre eine neue Qualität und ein neuer Schritt im nahöstlichen Rüstungswettlauf.

Alle Bundesregierungen, ob schwarz-gelb oder rot-grün, müssen sich angesichts dieser Entwicklung fragen lassen, ob sie bewusst beide Augen zugedrückt haben. Wollten sie nicht wissen, was sie hätten wissen können? Israel die Waffenplattformen zum Einsatz nuklearer Waffen zu liefern - das hat eine neue Qualität. An der Aufrechterhaltung eines bestehenden Atomwaffenpotentials durch die Lieferung von U-Booten mitzuwirken, das verstößt gegen die Ziele des nuklearen Nichtverbreiungsvertrages. Der Rüstungsexport steht auch im Widerspruch zur erklärten Absicht Berlins, langfristig im Nahen und Mittleren Osten eine massenvernichtungswaffenfreie Zone einzurichten. Zudem verstößt die Lieferung sowohl gegen den Verhaltenskodex der EU für Rüstungsexporte als auch gegen die nationalen Rüstungsexportrichtlinien. Beide fordern, die Nichtverbreitungspolitik der Empfängerländer bei der Entscheidung über Rüstungsexporte zu berück-sichtigen. Israel hat bisher keine der wichtigen Nichtverbreitungsvereinbarungen ratifiziert.

Im Dezember 2002 sondierte Israel, ob es zwei weitere Dolphin-U-Boote aus Deutschland bekommen könne. Das bringt die Bundesregierung in eine heikle Lage. Kommt sie dem Wunsch nach, dann leistet sie Beihilfe zur Proliferation. Lehnt sie ihn ab, so könnte die Regierung Scharon die deutsche Unterstützung für das Existenzrecht Israels anzweifeln. Eine beliebte Verknüpfung.

Außenminister Fischer sagte am 15. Februar vor dem Bundestag: "Diese Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder wird alles tun und tut alles, um das Existenzrecht und die Sicherheit Israels und seiner Menschen zu schützen." Muss also, wer das Existenzrecht Israels bejaht, auch helfen, die nukleare Abschreckung Israels aufrechtzuerhalten? Das allerdings wäre eine fatale Schlussfolgerung.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS), Christopher Steinmetz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am BITS.
Der Text wurde am 1. November 2003 im NDR in der Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" gesendet. Titel des Beitrags: "Israel stärkt sein Atomarsenal – Tatkräftige Unterstützung auch von Deutschland?"


Vgl. zum Thema auch:
Israel rüstet deutsche U-Boote mit Atomraketen aus


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