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Lieberman: "Es kann nicht gleichzeitig ein jüdisches Land und ein 'Recht auf Rückkehr' geben." Avnery: "Die Forderung nach einem 'Staat des jüdischen Volkes' ist ein Sprengkörper, um ernsthafte Friedensgespräche scheitern zu lassen"

Zur (außen)politischen Konzeption der Regierung Netanjahu ein langes Interview mit dessen Rechtsaußen Avigdor Lieberman und eine Kritik des Friedensaktivisten Uri Avnery

Der (frühere und) neue Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat vor kurzem die Forderung erhoben, dass die Palästinenser und die anderen Araber Israel als "den Staat des jüdischen Volkes" anerkennen müssten. Die ganze Tragweite dieser Konzeption und den Unterschied zur Formel von Israel als einem "jüdischen Staat" erläutert Uri Avnery in einem grundlegenden Artikel, der auf dessen Website veröffentlicht wurde: Des Kaisers alte Kleider. Da die Regierung Natanjahu gleichzeitig die international und auch von der neuen US-Administration eingeforderte Zwei-Staaten-Lösung nicht zu verfolgen scheint (siehe hierzu unsere aktuelle Meldung im Kasten), dürfte sich der israelisch-palästinensische Konflikt eher noch weiter verschärfen. Unterstrichen wurde das mit der Ernennung von Avigdor Lieberman zum israelischen Außenminister, dessen Verhandlungsbereitschaft mit der anderen Seite geringer ist als unter allen seinen Amtsvorgängern. Lieberman äußerte sich zuletzt in einem umfangreichen Interview in der "Jerusalem Post", das wir in einer deutschen Übersetzung im Folgenden ebenfalls dokumentieren.



Wie Lieberman die Welt sieht

Israels Außenminister Avigdor Lieberman hat am Vorabend des Unabhängigkeitstags (28. April) in einem langen Interview mit der Jerusalem Post seine außenpolitischen Standpunkte umrissen. Auf Einzelheiten des politischen Kurses der neuen Regierung wollte er dabei noch nicht eingehen, da über diesen noch entschieden werde.
Grundsätzlich stelle Lieberman klar, dass Israel die Bemühungen um einen Frieden mit den Palästinensern in keiner Weise zum Stillstand bringen wolle. Im Gegenteil: Die neue Regierung beabsichtigt, „die Initiative zu ergreifen“. Er geht jedoch nicht davon aus, dass ein Fortschritt mit den Palästinensern der Schlüssel zur Abwehr der iranischen Bedrohung sei; vielmehr sei umgekehrt die Abwehr der iranischen Bedrohung der Schlüssel zum Fortschritt mit den Palästinensern.


„Es ist unmöglich, irgendein Problem in unserer Region zu lösen, ohne das iranische Problem zu lösen. Dies betrifft den Libanon, ihren Einfluss in Syrien, ihre tiefe Involvierung in Ägypten, im Gaza-Streifen, im Irak. Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Nahostprobleme lösen will, ist es unmöglich, weil das größte Hindernis für die Lösung die Iraner sind.“

Netanjahu nur für Palästinenser-"Selbstverwaltung"?

Ungeachtet der US-Forderungen nach einer Zwei-Staaten-Lösung will Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach einem Zeitungsbericht zunächst nur eine Selbstverwaltung der Palästinenser.

Die israelische Zeitung "Jediot Achronot" meldete am 6. Mai, Netanjahu wolle dem US-Präsidenten Barack Obama bei seinem Besuch am 18. Mai ein entsprechendes Programm vorlegen. Aus seiner Sicht sei die Vision von zwei Staaten, einem für Israel und einem für die Palästinenser, in der nahen Zukunft nicht umsetzbar. Eine endgültige Friedensregelung könne nur schrittweise umgesetzt werden.

Netanjahus Sprecher Mark Regev wollte den Bericht weder bestätigen noch dementieren. Er verwies auf eine Rede Netanjahus vor der pro-israelischen Lobby-Organisation Aipac, bei der er den Palästinensern eine sofortige Wiederaufnahme von Friedensgesprächen angeboten hatte. Dabei bekannte Netanjahu sich jedoch nicht zu einer Zwei-Staaten-Lösung. "Netanjahu hat immer wieder betont, dass Israel die Palästinenser nicht dauerhaft beherrschen will", sagte Regev.

Die Palästinenserführung im Westjordanland hatte mit Skepsis auf Netanjahus Äußerungen reagiert. «Dies ist nicht genug», sagte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat. «Wir brauchen ein Bekenntnis Israels zu einer Zwei-Staaten-Lösung und einen Stopp der Siedlungsaktivitäten.» Die Frage sei, ob Netanjahu bereit sei, über Themen wie Jerusalem, den künftigen Grenzverlauf, die Flüchtlingsfrage und Siedlungen zu verhandeln, sagte Erekat.

Quelle: dpa, 6. Mai 2009



Lieberman rief die Kollegen innerhalb der internationalen Gemeinschaft dazu auf, ihr Denken über Israel und die Region zu erneuen, die Slogans fallen zu lassen und einer Realität ins Gesicht zu blicken, die weit komplexer sei, als es zuzugestehen angenehm ist, sowie der neuen israelischen Regierung etwas Vertrauen und Zeit zu geben, um Vorschläge zu formulieren, die dort erfolgreich sein würden, wo frühere Friedensbemühungen gescheitert sind.

„Israel hat seine guten Absichten bewiesen, unsere Sehnsucht nach Frieden. Seit 1978 haben wir Gebiete aufgegeben, die dreimal so groß sind wie Israel. Wir haben Milliarden von Shekeln in die Palästinensische Autonomiebehörde investiert. Wir haben einen schweren Preis gezahlt. Tausende unserer Bürger sind bei Terroranschlägen getötet worden. Was mehr können wir tun?

Ohne ein Verständnis der wirklichen Gründe für diesen lang dauernden Konflikt können wir uns nicht vorwärts bewegen. So sehe ich es.“

„Was war die Situation vor 1967, bevor wir auch nur eine einzelne Siedlung gebaut haben. Was war vor 48 und 67? War das Frieden, war das der Himmel hier?“

„Wir müssen unsere Position klarstellen. Der wirkliche Grund [für den Stillstand mit den Palästinensern] sind nicht die Besatzung, nicht die Siedlungen und nicht die Siedler. Dieser Konflikt geht wirklich sehr tief. Er begann wie andere nationale Konflikte. Heute ist er mehr ein religiöser Konflikt. Heute hat man den Einfluss einiger irrationaler Akteure, wie Al-Qaida. Was sind die Hamas und der Islamische Jihad? Sie sind Iran in Stellvertretung.

Um diesen Konflikt zu lösen, reicht es nicht aus, Slogans zu wiederholen. Ich sehe keine Abkürzung für irgendwelche umfassenden Lösungen.

Meiner Ansicht nach sind wir an drei Dingen interessiert. Zuallererst ist uns als israelischen Bürgern die Sicherheit am wichtigsten. Ich will nicht jeden Tag, jeden Morgen palästinensische Raketen in Sderot einschlagen sehen.

Was ist, zweitens, am wichtigsten für die Palästinenser? Ich denke, auch das ist klar – die Wirtschaft. Als Siedler sage ich, wir sind der größte Arbeitgeber in unserer Gegend. Ich habe mich oftmals mit Palästinensern aus den umliegenden Dörfern getroffen, die absolut nicht an irgendeinen politischen Prozess, einen Friedensprozess glauben – nicht an Gipfel, nicht an Konferenzen, nicht an Erklärungen…

Sie haben eine Arbeitslosigkeit von 30 bis 40 Prozent, insbesondere im Gaza-Streifen, Familien müssen mit 200 Dollar im Monat leben. Wie alle normalen Menschen wollen sie zuallererst Jobs, um ihre Familien zu ernähren, ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, Gesundheitsfürsorge, persönliche Sicherheit. Der höchste Wert für die Palästinenser ist also die Wirtschaft.“

„Das dritte Element ist selbstverständlich Stabilität. Wirtschaft, Sicherheit, Stabilität. Es ist unmöglich, künstlich irgendeine politische Lösung zu erzwingen. Sie wird mit Sicherheit scheitern. Man kann einen Friedensprozess nicht aus dem nichts heraus starten. Man muss die richtige Situation schaffen, den richtigen Schwerpunkt, die richtigen Bedingungen.“

„Annapolis war der falsche Ansatz. Bei der Road Map lässt sich ein logischer Weg erkennen: Zuallererst [muss die Palästinensische Autonomiebehörde] die Terrororganisationen entwaffnen, illegale Waffen einsammeln, ein Rechtssystem und normale staatliche Behörden einrichten. Es gibt drei Phasen in der Road Map, mit 48 bis 49 Paragraphen. Nur die letzte Phase, die letzten Paragraphen beschäftigen sich mit Verhandlungen für eine endgültige Lösung. Geradewegs [wie unter Annapolis] zum letzten Paragraph zu springen und auf alle palästinensischen Verpflichtungen zur Bekämpfung des Terrors zu verzichten – das ist ein sehr seltsamer Ansatz.“

„Das israelische Volk hat seine Entscheidung gefällt [in den Wahlen], und dies ist wirklich die richtige Zeit neue Ideen zu prüfen, neue Ansätze, neue Visionen. Wir versuchen gegenwärtig diesen neuen Ansatz zu formulieren. Und der erste Zeitpunkt, an dem wir darüber sprechen werden, damit jeder sehen kann, was die neue Politik sein wird, ist der 18. Mai, wenn Ministerpräsident Netanyahu Präsident Obama trifft.

Wir haben vor die Initiative zu ergreifen. Es ist unser Interesse, die Initiative in unseren Händen zu behalten, und wir werden die Palästinenser und die Europäer und das Quartett und die Vereinigten Staaten davon überzeugen, dass dies der richtige Weg ist.

Aber ich möchte betonen, dass das größte Problem, das größte Hindernis für jede umfassende Lösung nicht Israel ist. Es sind auch nicht die Palästinenser. Es sind die Iraner.

Heute sehen wir, wie groß die iranische Bedrohung in unserer Region ist – nicht nur in Bezug auf die palästinensische Frage. Auch im Libanon. Und was wir in den letzten Wochen in Ägypten gesehen haben, ist vielleicht die beste Illustration der iranischen Bedrohung für die gesamte Region.

Es ist ein dreifaches Problem: Iran mit Atomwaffen; Iran mit Langstreckenraketen; und Iran in Stellvertretung – vom Süden, vom Gaza-Streifen her, mit Hamas und Islamischem Jihad, und vom Norden her mit der Hisbollah. Sie können jede Lösung torpedieren und jedes Abkommen.“

„Was ist das größte Problem für die Palästinenser? Es ist nicht Israel. Es ist ihr internes palästinensisches Problem. Wir haben so viele Gewalttaten gesehen. Es gibt so eine große innere Gefahr – zwischen Hamas und Fatah. Ihr größtes Problem von allen ist die Hamas. Die Hamas in Judäa und Samaria, die Hamas in Gaza – unterstützt von den Iranern.

Die Iraner sind der größte Sponsor des weltweiten Terrors, sei es die Hisbollah oder die Hamas oder der Islamische Jihad oder die Muslimbrüderschaft in Ägypten oder sonst wo auf der Welt.“

„Wir müssen mit den palästinensischen Angelegenheiten beginnen, da es in unserem Interesse liegt, dieses Problem zu lösen. Aber man darf sich keinen Illusionen hingeben. Ein Abkommen, ein Ende des Konflikts zu erreichen, mit keinem Blutvergießen, keinem Terror, keinen Ansprüchen mehr, ist unmöglich, bevor nicht der Iran als einer der größten Akteure in unserer Arena angesprochen wird.“

„Es muss klar sein, dass wir mit der Hamas in keiner Weise verhandeln können. Nicht direkt. Nicht indirekt. Wir haben unsere Position Europa klar zu machen versucht. Die [drei] Quartett-Bedingungen müssen auf dem Tisch bleiben [Anerkennung Israels; Akzeptanz der früheren Abkommen; Absage an die Gewalt]. Wir haben klargemacht, dass sie [Europa] sich nicht davon wegbewegen, diese Bedingungen nicht ändern sollten. Die Hamas kann kein Partner für Verhandlungen sein.“

„Wie wir gesehen haben, ist die Hamas nur ein hiesiger Stellvertreter der Iraner, und sie wiederholen täglich ihre Absicht uns zu vernichten; sie sind nicht bereit unser Existenzrecht anzuerkennen. Aus meiner Sicht gibt es nur einen Weg: die Hamas abzuwürgen.“

„Ich finde nicht, dass wir uns in innere palästinensische Probleme einmischen müssen. Es liegt in ihrem Interesse, die Palästinensische Autonomiebehörde nach Gaza zurückzubringen.“

„Es gibt zwei klare Modelle, eines in Judäa und Samaria und eines im Gaza-Streifen. Das Beispiel der Koexistenz mit Salam Fayad in Judäa und Samaria ist wirklich verschieden von unserer Erfahrung mit Gaza. Es ist das Judäa und Samaria-Modell, das ich mir aneigne. Wir müssen etwas Ähnliches im Gaza-Streifen aufbauen, um normale, rationale Partner auf der Gegenseite zu stärken, die unser Existenzrecht anerkennen. Auch das palästinensische Volk sieht, wie der Lebensstandard in Judäa und Samaria ist, und sie können diese Situation mit der im Gaza-Streifen vergleichen.“

Jeglichen Plan, der das ‚Recht auf Rückkehr’ der Palästinenser zur Grundlage hat, schließt Lieberman aus: „Es ist inakzeptabel. Ich bin noch nicht einmal bereit, über das ‚Recht auf Rückkehr’ auch nur eines einzelnen Flüchtlings zu diskutieren. Es kann nicht gleichzeitig ein jüdisches Land und ein ‚Recht auf Rückkehr’ geben.“

„Vor einem Frieden müssen wir Sicherheit, Stabilität und Wohlstand schaffen. Man keinen künstlichen Frieden herbei führen. Frieden ist das Ergebnis von Sicherheit, Stabilität und Wohlstand. Man kann Frieden nicht in eine Gegend bringen, wo es täglich Kämpfe und Blutvergießen und 50 Prozent [palästinensische] Arbeitslosigkeit gibt. Es ist unmöglich. Frieden muss in der richtigen Weise geschaffen werden, sobald diese Bedingungen erfüllt sind und eine neue Atmosphäre geschaffen ist.“

In Bezug auf die Aussage von Ministerpräsident Netanyahu, dass Israel nicht über jedwede Palästinenser herrschen wolle, meint Lieberman: „Ich stimme völlig zu.“

Auf die Frage, wie der Iran gestoppt werden könne, entgegnet der Außenminister: „Erst einmal muss es sehr harte Sanktionen von Seiten der internationalen Gemeinschaft geben. Es ist nicht zu spät für Wirtschaftssanktionen. Wenn der Sicherheitsrat harte Resolutionen und harte Sanktionen verabschiedet, ist es möglich [den Iran bei der Entwicklung von Atomwaffen] zu stoppen.“

Zur Annäherung Amerikas an Syrien und den Iran meint Lieberman: „Wir sehen die Fakten. Es muss einige Zeichen des guten Willens geben. Wir sehen keinerlei guten Willen auf der syrischen Seite. Nur Drohungen wie „Wenn Ihr nicht bereits seid zu reden, werden wir den Golan militärisch wieder erobern’. Wir sehen eine sehr aggressive Politik und sehr aggressive Erklärungen. Ich sehe keine wirklichen Bedingungen für Gespräche mit Syrien.“

Seinen politischen Vorschlag zu einem Loyalitätseid für israelische Staatsbürger erklärt er wie folgt: „Dasselbe passiert in Amerika, wo man den Eid schon von der ersten Klasse an schwört. Selbst Erstklässler in Schulen kennen vom ersten Tag an die Prozedur, bei der sie schwören müssen.“

„Dasselbe wie in den Vereinigten Staaten. Man muss kein Formular ausfüllen, aber als Staat haben wir das Recht, von unseren Bürgern und Studenten zu fordern, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Land erfüllen und eine Art Militär- oder Zivildienst leisten. Die Trennlinie ist nicht zwischen Juden, Christen oder Muslimen, sondern ob man eine loyaler Bürger seines Landes ist oder nicht, ob man seine Pflicht für das Land erfüllt oder nicht. Wir müssen diesen Prozess ermuntern, zum Beispiel in Form eines Zivildienstes für Orthodoxe und die Minderheiten. Wir müssen das adaptieren, was sie in den Vereinigten Staaten haben – den Eid in den Schulen in der ersten Klasse. Sie haben ein besonderes Gesetz für Leute im Armeedienst. Sie haben bessere Bedingungen zum studieren und an den Universitäten, auf dem Wohnungsmarkt und bei Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst.“

Wie fühlte es sich an, am Holocaustgedenktag die Kommentare des iranischen Präsidenten Ahmadinejad zu hören?

„Für mich ist es wirklich furchtbar. Ich habe eine Familie mit Wissen über den Holocaust aus erster Hand. Mein Vater war Soldat in der Roten Armee vom ersten Tag an bis 1946. Mein Onkel wurde in Stalingrad getötet.

Für uns ist es wirklich verrückt, dass wir 60 Jahre später einen neuen Hitler haben, einen verrückten Typen mit derselben Ideologie, denselben Absichten und denselben Zielen. Als Hitler ‚Mein Kampf’ veröffentlichte, sagte jeder: ‚Er meint es nicht ernst, er ist nur ein Verrückter.’ Und als er an die Macht kam, sagten die Leute: ‚Er wird sich ändern, sobald er an der Macht ist.’ Und dasselbe sagte man im Hinblick auf Khomeini. Und nun erleben wir es mit Ahmadinejad.

Ich glaube, dass wir ihn stoppen müssen. Ich glaube, dass es möglich ist. Das ist das Problem der Welt; sie wollen die Wirklichkeit nicht sehen.

Wir wollen der Wirklichkeit entfliehen. Wir haben diesen verrückten Typen. Er ist entschieden, er ist charismatisch, mit großer Entschlossenheit und mit großem politischem Willen, und er bewegt sich stetig in Richtung des Zieles seines Programms, eine Atommacht mit unkonventionellen Waffen zu sein. Nicht nur Atomwaffen, auch biologische.“

„Ich denke nicht, dass es lediglich von der Frage abhängt, ob er sie benutzen will, sondern auch davon, was für eine Botschaft dies der Region übermittelt, den Golfstatten. Die Botschaft ist: ‚Wer ist die Hauptmacht? Wer führt die muslimische Welt?’

Es ist eine sehr schlechte Botschaft. Heute ist er stärker und gefährlicher als gestern, und morgen wird er stärker und gefährlicher sein als heute.“

„Ich glaube nicht, dass dies eine Frage allein Israels ist. Es ist eine Frage für die internationale Gemeinschaft. Die Welt muss heute verstehen, dass es nicht nur um Israel und den Iran geht.“

(The Jerusalem Post, 28.04.09)

* Quelle: Newsletter der Israelischen Botschaft in Berlin, 6. Mai 2009


Des Kaisers alte Kleider

Von Uri Avnery **

JEDER SPRICHT über die ersten hundert Tage von Barack Obama. Und darüber gibt’s eine Menge zu sagen.

Wie ein junger Bulle stürmte er in die Arena. Eine Flut neuer Ideen auf jedem Gebiet, ein Tsunami praktischer Initiativen, um deren Umsetzung in einigen Fällen bereits begonnen wurde. Offensichtlich hatte er über sie schon lange nachgedacht und beabsichtigte, sie vom ersten Augenblick im Amt in die Praxis umzusetzen. Er hatte sein Team schon lange im voraus zusammengestellt, und seine Leute begannen zu handeln, bevor er seinen triumphalen Einzug in das Weiße Haus hielt. Während seiner ersten Tage ernannte er die Minister, von denen er die meisten schon lange im voraus bestimmt hatte. Dies scheint ein effektives Kabinett zu sein, dessen Mitglieder ihren Aufgaben gewachsen sind.

Dies folgt einer Regel, die seit langem gültig ist: was ein neuer Präsident nicht in den ersten hundert Tagen initiiert, wird er auch später nicht erfüllen. Am Anfang ist alles leichter, weil die Öffentlichkeit für einen Wandel bereit ist.

Ein Israeli kann natürlich nicht der Versuchung widerstehen, Obama mit Binyamin Netanyahu, unserm alt-neuen Ministerpräsidenten, zu vergleichen, der nicht geradezu in die Arena stürmte. Er kroch hinein.

MAN KÖNNTE erwartet haben, dass Netanyahu in dieser Hinsicht sogar Obama übertrumpfen würde.

Schließlich ist er schon da gewesen. Vor zehn Jahren saß er auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten und sammelte Erfahrungen. Und aus Erfahrungen – besonders aus schlechten – kann, ja sollte man lernen.

Außerdem war Netanyahus Sieg keine Überraschung. Der einzige unerwartete Teil der Wahlergebnisse war, dass seine Opponentin, Zipi Livni, einige Stimmen mehr gewann. Doch das war nicht genug, ihn daran zu hindern – zusammen mit seinen Partnern – eine Mehrheit zu erlangen.

Deshalb hatte er eine Menge Zeit, seinen Aufstieg zur Macht vorzubereiten, Experten zu befragen, Pläne auf jedem Gebiet vorzubereiten, sein Team zu wählen, über die Ernennung von Ministern aus seiner eigenen und den mit ihm verbündeten Parteien nachzudenken.

Doch unglaublicherweise scheint es, dass nichts davon - wirklich nichts - von alledem geschah. Keine Pläne, keine Berater, kein Team, rein gar nichts.

Bis zum heutigen Tag ist es Netanyahu nicht gelungen, sein persönliches Team zusammen zu stellen – eine grundlegende Vorbedingung für jede effektive Handlung. Er hat nicht einmal einen Stabschef, eine sehr wichtige Position. In seinem Amtssitz herrscht äußerstes Chaos vor.

Die Ministerwahl wurde zu einer einzigen Abfolge von Skandalen. Nicht nur, dass er ein fürchterlich aufgedunsenes Kabinett zusammenstellte (39 Minister und stellvertretende Minister, von denen die meisten nur protzige, fiktive Titel tragen); er setzte in fast alle wichtigen Ministerien total ungeeignete Leute ein.

Zur Zeit einer weltweiten Wirtschaftskrise ernannte er einen Finanzminister, der keine Ahnung von Wirtschaft hat. Anscheinend dachte er, dass er selbst das Finanzministerium managt – ganz unmöglich für einen Mann, der für den Staat als Ganzes verantwortlich ist. Ins Gesundheitsministerium setzte er einen orthodoxen Rabbiner als stellvertretenden Minister. Mitten in einer weltweiten Epidemie haben wir keinen Gesundheitsminister – und nach dem Gesetz muss der Ministerpräsident auch diese Funktion ausüben. In fast allen anderen Ministerien – vom Transport- bis zum Tourismusministerium – sind Amtsinhaber, die nichts über ihr Verantwortungsgebiet wissen und nicht einmal vorgeben, daran interessiert zu sein – sie warten nur auf die Gelegenheit, aufzusteigen und bessere Ämter zu bekommen.

Es ist nicht nötig, viel Worte über die Ernennung von Avigdor Lieberman als Außenminister zu verschwenden. Der professionelle Skandalprovokateur produziert täglich einen neuen Skandal im sensibelsten Bereich der Regierung. Dem Bullen im Porzellanladen ist es bereits gelungen, alle Diplomaten in kleine Bullen zu verwandeln, die herumrennen und alles Porzellan in ihrer Nähe zerschlagen. Im Augenblick sind sie eifrig dabei, Israels Beziehungen zu der EU durch einander zu bringen.

All diese Ernennungen sehen wie die verzweifelte Bemühung eines zynischen Politikers aus, der sich um gar nichts weiter kümmert, als wieder an die Macht zu kommen und dann schnell ein Kabinett zusammen zu stellen, egal wie seine Zusammensetzung ist, der bereit ist, jeder Partei jeden Preis zu zahlen, um sie dazu zu bewegen, sich ihm anzuschließen; dabei opfert er sogar die lebenswichtigsten Interessen des Staates.

AUCH WAS die Planung betrifft, ähnelt Netanyahu Obama nicht. Er kam ohne irgend welche Pläne auf irgendeinem Gebiet zur Macht. Man gewinnt den Eindruck, dass er Jahre in der Opposition verbrachte, während sein Kopf Winterschlaf hielt.

Vor einer Woche präsentierte er einen grandiosen „wirtschaftlichen Plan“, um unsere Wirtschaft vor den Verheerungen der Weltwirtschaftkrise zu retten. Wirtschaftwissenschaftler runzelten die Stirn. Der ‚Plan’ besteht aus nichts als aus einer Sammlung müder, alter Slogans und einer Steuer auf Zigaretten. Seine verlegenen Assistenten stotterten, dass dies nur ein ‚allgemeiner Grundriss“ sei und noch nicht ein Plan, und dass sie jetzt an einem wirklichen Plan arbeiteten.

Die Öffentlichkeit regt sich nicht wirklich über das Fehlen eines Wirtschaftsplanes auf. Sie glaubt an Improvisation, das wunderbare israelische Talent, das die Unfähigkeit, etwas zu planen, deutlich macht.

Aber auf dem politischen Feld ist die Situation sogar noch schlimmer. Weil dort das Unvorbereitetsein Netanyahus auf das Übervorbereitetsein Obamas trifft.

Obama hat einen Plan für den Wiederaufbau des Nahen Ostens, und eines seiner Elemente ist ein israelisch-palästinensischer Frieden, der sich auf dem Prinzip „Zwei Staaten für zwei Völker“ gründet. Netanyahu behauptet, dass er nicht in der Lage sei, darauf zu antworten, weil er noch keinen Plan hat. Schließlich sei er ja ganz neu im Amt. Nun arbeitet er an solch einem Plan. Sehr bald, in einer Woche oder in einem Monat oder in einem Jahr wird er einen Plan, einen wirklichen Plan, fertig haben und ihn Obama vorlegen.

Natürlich hat Netanyahu einen Plan. Er besteht aus einem Wort, das er von seinem Mentor Yitzhak Shamir gelernt hat: ‚Nein!’ oder noch genauer: das ‚Nein, Nein, Nein!’ des israelischen Khartum: oder ‚Frieden: nein! Rückzug: nein! Verhandlungen: nein!’ Man erinnere sich, dass auf der arabischen Gipfelkonferenz von 1967 in Khartum, direkt nach dem Sechstagekrieg, eine ähnliche Resolution verabschiedet wurde).

Der Plan, an dem er gerade arbeitet, betrifft nicht wirklich das Wesentliche dieser Politik, sondern nur seine Verpackung. Wie soll man Obama etwas präsentieren, das nicht einfach wie ‚Nein’ klingt, sondern eher wie ‚Ja, aber’. Etwas, das alle Leibeigenen der Israel-Lobby im Kongress und den Medien schmerzlos schlucken können.

ALS VORGESCHMACK für den ‚Plan’, hat Netanyahu schon einen seiner Bestandteile vorgelegt: die Forderung, dass die Palästinenser und die anderen Araber Israel als ‚den Staat des jüdischen Volkes’ anerkennen müssen.

Die meisten Medien in Israel und im Ausland haben diese Forderung verdreht und berichtet, dass Netanyahu die Anerkennung Israels als eines ‚jüdischen Staates’ verlange. Entweder aus Ignoranz oder aus Faulheit haben sie den bedeutenden Unterschied zwischen den beiden Formeln verwischt.

Der Unterschied ist nämlich immens. Ein ‚jüdischer Staat’ ist eine Sache, ein ‚Staat für das jüdische Volk’ etwas radikal anderes.

Unter einem ‚jüdischen Staat’ kann man einen Staat verstehen, in dem die Mehrheit der Bürger sich selbst als Juden definieren und/oder dessen Hauptsprache Hebräisch ist, dessen Hauptkultur jüdisch ist, dessen wöchentlicher Ruhetag der Samstag ist, der in der Knesset-Cafeteria nur koschere Speisen anbietet etc.

Ein ‚Staat des jüdischen Volkes’ ist eine vollkommen andere Geschichte. Es bedeutet, dass der Staat nicht nur seinen Bürgern gehört, sondern zu etwas, das sich ‚das jüdische Volk’ nennt, etwas, das innerhalb und außerhalb des Landes existiert. Das kann weitreichende Implikationen mit sich bringen. Zum Beispiel: die Ungültigkeitserklärung der israelischen Staatsbürgerschaft aller Nicht-Juden, so wie es Lieberman vorgeschlagen hat. Oder die Verleihung der israelischen Staatbürgerschaft an alle Juden in aller Welt.

Die erste Frage, die auftaucht, ist die: ‚Was bedeutet ‚das jüdische Volk’? Der Terminus ‚Volk’ – ‚am’ im Hebräischen, ‚people’ im Englischen – hat keine akzeptierte genaue Definition. Im allgemeinen meint man damit eine Gruppe von Menschen, die in einem bestimmten Gebiet leben und eine bestimmte Sprache sprechen. Das ‚jüdische Volk’ ist anders.

Vor zweihundert Jahren war es klar, dass die Juden eine religiöse Gemeinschaft waren, die in der ganzen Welt zerstreut lebten und durch religiösen Glauben und durch religiöse Mythen (darunter der Glauben an eine gemeinsame Abstammung) verbunden waren. Die Zionisten entschlossen sich, diese Selbstwahrnehmung zu ändern. ‚Wir sind ein Volk, e i n Volk,’ schrieb Theodor Herzl, der Gründer des Zionismus, auf Deutsch und verwendete das Wort ‚Volk’.

Die Idee des ‚Staates des jüdischen Volkes’ ist entschieden antizionistisch. Herzl träumte nicht von einer Situation, in der ein jüdischer Staat und eine jüdische Diaspora koexistieren würden. Nach seinem Plan würden alle Juden, die Juden bleiben wollen, in ihren Staat immigrieren. Die Juden, die bevorzugen würden, außerhalb dieses Staates zu leben, würden aufhören, Juden zu sein und in ihren Gastländern aufgehen, also schließlich richtige Deutsche, Briten und Franzosen werden. Es wurde angenommen, dass die Umsetzung der Vision des ‚Staatsvisionärs’ (wie er offiziell in Israel bezeichnet wird) die Auflösung der jüdischen Diaspora, also der Juden außerhalb des ‚Judenstaates’, mit sich bringen würde.

David Ben Gurion war ebenfalls ein Mitstreiter dieser Vision. Er behauptete, dass ein Jude, der nicht nach Israel immigriere, kein Zionist sei und auch keine Rechte in Israel erhalte – außer dem Recht, dorthin zu immigrieren. Er forderte auch die Auflösung der zionistischen Organisation, da er in ihr nur das Gerüst für den Aufbau des Staates sah. Sobald der Staat errichtet sei, so dachte er ganz richtig, solle das Gerüst abgebaut werden.

NETANYAHUS FORDERUNG, dass die Palästinenser Israel als den Staat des jüdischen Volkes’ anerkennen sollen, ist lächerlich, sogar als eine Taktik, den Frieden zu verhindern.

Ein Staat erkennt einen (anderen) Staat an, nicht seine Ideologie oder sein politisches Regime. Keiner erkennt Saudi Arabien, die Heimat der Pilgerfahrt, als den ‚Staat der muslimischen Umma’ an (Umma bedeutet im Arabischen die Gemeinschaft der Gläubigen).

Außerdem würde diese Forderung die Juden in aller Welt in eine unmögliche Position bringen. Wenn die Palästinenser Israel als ‚den Staat des jüdischen Volkes’ anerkennen müssten, dann müssten dies alle Regierungen in aller Welt auch tun. Die Vereinigten Staaten zum Beispiel. Das würde heißen, dass die jüdischen US-Bürger Rahm Emmanuel und Davis Axelrod, Obamas engste Berater, offiziell von der Regierung Israels vertreten sind. Dasselbe gilt für die Juden in Russland, Großbritannien und Frankreich.

Selbst wenn Mamoud Abbas überzeugt würde, diese Forderung zu akzeptieren – und deshalb indirekt die Staatsbürgerschaft der 1,5 Millionen Araber in Israel in Zweifel ziehen würde – würde ich dies energisch zurückweisen. Ja, ich würde dies sogar als einen unfreundlichen Akt ansehen.

Der Charakter des Staates Israel muss von den Bürgern Israels entschieden werden, (die verschiedene Meinungen zu dieser Sache haben). Vor dem israelischen Gerichtshof ist ein Antrag von Dutzenden israelischer Patrioten anhängig, denen auch ich angehöre. Dieser verlangt, dass der Staat die ‚israelische Nation’ anerkennt. Wir fordern den Gerichtshof auf, die Regierung davon zu instruieren, uns im offiziellen Bevölkerungsregister unter dem Stichwort ‚Nation’ als ‚Israelis’ einzuschreiben. Die Regierung weist dies hartnäckig zurück und besteht darauf, dass unsere Nation jüdisch sei.

Ich bitte Mahmoud Abbas, Obama und jeden anderen, der kein israelischer Bürger ist, darum, sich nicht in diese innere Debatte einzumischen.

Netanyahu weiß natürlich, dass seine Forderung von niemandem ernst genommen wird. Es ist ganz offensichtlich ein weiterer Sprengkörper, um ernsthafte Friedensgespräche scheitern zu lassen. Wenn er gezwungen ist, sie fallen zu lassen, wird es nicht lange dauern, bevor er mit einem anderen Vorwand kommt.

Um mit Groucho Marx zu sagen: ‚Dies ist mein Vorwand. Wenn du ihn nicht magst, gut, ich habe noch eine Menge andere.’

02.05.2009

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)

Quelle: www.uri-avnery.de



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