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Pilger-Boom im Nahen Osten

Auch in Israels Tourismussektor spiegelt sich der Konflikt mit den Palästinensern wider

Von Johannes Zang *

Pilgerziele im Nahen Osten werden immer beliebter. Doch obwohl in der Region zunehmend Fremdenführer für die Pilgergruppen benötigt werden, liegt der Knesset ein Gesetzentwurf vor, wonach Einwohnern von Ostjerusalem verboten werden soll, als lizenzierte Reiseleiter zu arbeiten.

»Es ist so wie Ende Mai bei uns«, stellt Werner Laminger aus Graz fest, während er im Kurzärmelhemd die schon warme Februarsonne in Qumran, einer antiken, in Ruinen erhaltenen Siedlung im Westjordanland, genießt. Sein Reiseleiter zählt routinemäßig die Busse auf dem Parkplatz: 15 große und drei kleine Reisebusse. Daraus folgert er: »Zwischen 500 und 600 Menschen halten sich gerade im Nationalpark Qumran, dessen Restaurant oder dem angrenzenden Souvenirgeschäft auf.«

So wie Qumran erleben alle Pilgerziele in der Region von Nazareth über Kafarnaum bis Jerusalem und Bethlehem einen nie gekannten Ansturm. Das Bayerische Pilgerbüro in München beispielsweise brachte im vergangenen Jahr 40 Katalog- und 65 Sondergruppen nach Israel und in die Palästinensergebiete, für das laufende Jahr plant man mit insgesamt etwa 150 Gruppen.

Der Anstieg der Besucherzahlen führt bisweilen gar zu Engpässen – bei freien Hotelbetten, verfügbaren Busfahrern und den sogenannten Guides, den lizenzierten Reiseführern. »Es gibt für manche Sprachen nicht genügend Reiseleiter, vor allem für Deutsch, Portugiesisch und Italienisch«, sagt Ibrahim Al-Atrash, Besitzer der Reiseagentur Crown Tours in Bethlehem und Kooperationspartner des Bayrischen Pilgerbüros. Niemand habe mit diesem Ansturm von Pilgern gerechnet, sagt der palästinensische Christ.

Hinter den Kulissen tobt derweil, unsichtbar für Touristen und Pilger, ein erbitterter Kampf darum, wer die Pilger führen darf. Der Knesset liegt ein Gesetzentwurf vor, der es Einwohnern von Ostjerusalem, wo mehr als 250 000 Araber leben, verbieten soll, als lizenzierte Reiseleiter zu arbeiten. Zudem übt der israelische Reiseleiterverband Druck auf das Tourismusministerium aus, die Zahl der kirchlichen Reiseführer-Lizenzen einzuschränken. »Das Ministerium will gar keine haben«, sagt ein Priester der Christlichen Pilgerkommission in Jerusalem, die die kirchlichen Lizenzen vergibt. Diese, wegen ihrer Farbe »Green Card« genannt, haben derzeit etwa 500 Kleriker und 40 Laien, allesamt Professoren der Theologie. Alle anderen erhalten derzeit keine Verlängerung ihrer Lizenz.

Michael Doll von »Biblische Reisen« in Stuttgart ist davon betroffen. Er weiß aus erster Hand, dass der Druck des Reiseleiterverbandes auf das Tourismusministerium von diesem an die Pilgerkommission weitergegeben wurde. Diese vergibt die Lizenzen deshalb neuerdings nicht nach fachlicher Qualifikation, sondern einzig und allein nach der Maxime »Priester vor Laien«. »Uns werden immer mehr Steine in den Weg gelegt«, ärgert sich Doll über die Hindernisse des Ministeriums und die der Pilgerkommission.

Spricht man auf palästinensischer Seite mit Reiseführern oder jungen Menschen in entsprechenden Studiengängen, trifft man ebenfalls auf Frustration und Wut. Diese hat zwei Adressaten: Das palästinensische Tourismusministerium, das sich regelmäßig dem Druck des israelischen Tourismusministeriums beuge, und Israel selbst. Denn 4000 lizenzierten israelischen Guides stehen gerade einmal etwa 350 palästinensische gegenüber. Von diesen, erklärt Reiseführer Hassan, hätten lediglich 42, darunter vier Deutschsprachige, die Genehmigung, auch in Israel Gruppen zu führen. Ein palästinensischer Reiseleiter-Student, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ergänzt: »Seit 15 Jahren ist zu den 42 kein einziger dazugekommen.« Israel hält diese Zahl nach Meinung des Palästinensers bewusst niedrig.

Werner Lamingers Reiseleiter hatte Anfang März eine Anfrage aus Stuttgart bekommen: »Für die Wanderreise Israel vom 28. März bis 8. April suchen wir dringend einen Ersatzreiseleiter. Könnten Sie sich vorstellen, die Reiseleitung zu übernehmen?« Der Reiseführer, der bis 2013 ausgebucht ist, hatte jedoch im April schon zwei anderen Gruppen zugesagt. Die Frage, ob nicht kurzfristig ein Fremdenführer einspringen könne, dürfte dieses Jahr noch öfters gestellt werden. Qualifizierte palästinensische Reiseleiter sowie Ausländer mit nicht verlängerter christlicher Lizenz sitzen derweil tatenlos zu Hause.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2011

Tausende Israelis demonstrieren für Anerkennung Palästinas **

Tausende Israelis haben am Samstag abend (4. Juni) an einer Friedensdemonstration teilgenommen, mit der sie die Regierung aufforderten, einen Vorschlag Obamas zu akzeptieren, wonach Friedensverhandlungen mit den Palästinensern auf der israelischen Grenzziehung vor dem Krieg von 1967 aufbauen sollten. Einige der Teilnehmer bezogen sich auf die Rebellionen in der arabischen Welt: »Wir kämpfen wie die Ägypter gegen eine rassistische Regierung!« Auf Schildern hieß es »Yes We KEN«, was wiederum »Ja« auf Hebräisch heißt (Foto). Mit Blick auf die Standing Ovations, mit denen Parlamentarier in Washington die jüngste Rede von Israels Staatschef Benjamin Netanjahu feierten, kritisierte der israelische Dramatiker und Schriftsteller Joschua Sobol: »Mitglieder des US-Kongresses werden nicht diejenigen sein, die den Preis für den nächsten Krieg zahlen werden. Als Netanjahu Nein zu den Grenzen von 1967 gesagt hat, hat er Nein zum Frieden gesagt.«

An der Aktion, zu der linke Parteien und Bewegungen aufgerufen hatten, beteiligten sich zwischen 5000 und 9000 Menschen.

** Aus: junge Welt, 6. Juni 2011




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