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Israel und das "Land der Anderen"

Zunehmende Anerkennung eines Palästinenserstaates beunruhigt Siedlerorganisationen

Von Oliver Eberhardt *

Nach dem Scheitern der Nahostverhandlungsrunde im Herbst erkennen immer mehr Regierungen Palästina als Staat in den Grenzen von 1967 an. Bei der israelischen Rechten sorgt dieser Trend für Beunruhigung, weil ihr Siedlungsprojekt dadurch auch im eigenen Land delegitimiert wird.

Sie wollen Fakten schaffen, so viele wie möglich, so schnell wie möglich: »Wenn wir das nicht machen, dann machen es die anderen«, sagt Daniel Luria. Er ist der Sprecher der Organisation Ateret Kohanim, die die jüdische Besiedlung Ost-Jerusalems vorantreibt.

Zur Zeit baut sie auf dem Gelände des ehemaligen Shepherd-Hotels: Dort sollen 20 Wohnungen für jüdische Familien entstehen – ganz tief im Osten. Wenn das Projekt vollendet ist, schließt sich der Riegel israelischer Siedlungen zwischen Ost-Jerusalem und dem Westjordanland.

Die Siedler sind nervös. Immer wieder verzögern sich die Arbeiten, denn die Regierung versucht, Ateret Kohanim zur Aufgabe des Projekts zu bewegen. Seit im Herbst die jüngste Nahostverhandlungsrunde gescheitert ist, haben sich die diplomatischen Vorzeichen grundlegend gewandelt. Die Proteste aus dem In- und Ausland sind heftig wie selten zuvor; zudem werten immer mehr ausländische Regierungen den Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 auf. Südamerikanische Staaten, darunter Schwergewichte wie Brasilien und Argentinien, haben dies bereits getan. In Europa könnte Spanien folgen, auch Schweden und Norwegen sind nicht abgeneigt. Israel droht international ins Abseits zu geraten. »Wir bauen jetzt nicht mehr in besetzten Gebieten, sondern auf dem Gebiet eines besetzten Staates«, kommentierte die Zeitung »Haaretz«. Dadurch verändere sich in vielen Ländern »die Sichtweise auf den Nahostkonflikt«.

»Auf den ersten Blick ist eine Anerkennung Palästinas durch eine Regierung nur die diplomatische Aufwertung auf der Grundlage einer UN-Resolution«, sagt der US-amerikanische Völkerrechtler Michael Steinberg: »Bereits kurz nach dem Sechstagekrieg 1967 haben die Vereinten Nationen in der Resolution 242 gefordert, Israel solle sich aus den im jüngsten Konflikt eroberten Gebieten zurückziehen.« Doch auf den zweiten Blick sei diese Forderung eine, die sich in der Nahostdiplomatie der internationalen Gemeinschaft der vergangenen 20 Jahre nicht wiedergefunden hat. »In den Osloer Übereinkünften war festgelegt worden, dass die palästinensische Unabhängigkeit auf der Grundlage von Verhandlungen erreicht werden soll, und die internationale Gemeinschaft hat daraus die Verhandlungsprämisse abgeleitet, womit sie im Prinzip ihre eigene Resolution für ungültig erklärt hat«, erläutert Steinberg. Und das hatte praktische Auswirkungen: »Die Annahme, dass die Grenzen des palästinensischen Staates verhandelbar sind, hat dazu geführt, dass Organisationen wie Ateret Kohanim dazu übergegangen sind, möglichst schnell möglichst viele Fakten zu schaffen, um am Ende des Tages möglichst viel Land für Israel beanspruchen zu können«, bestätigt der israelische Politologe Gabi Weitzman.

Dass nun Staaten sehr medienwirksam aus den Palästinensischen Autonomiegebieten den Staat Palästina machen und ihm zudem das gesamte palästinensische Territorium zuerkennen, das Israel 1967 besetzte, dass sie überdies – wie es es gerade in Brasilien geschah – den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas mit allen Ehren als Staatsgast empfangen, hat seine Wirkung auf die öffentliche Meinung in Israel nicht verfehlt: Mehr als 50 Prozent der Israelis heißen die wachsende internationale Anerkennung Palästinas in den Grenzen von 1967 gut. Nach Ansicht Weitzmans spiegelt das den langfristigen Meinungstrend wider, wonach viele Israelis das Westjordanland, aber auch Ost-Jerusalem außerhalb der Altstadtmauern, als das »Land der Anderen« sehen. Dazu kämen der verbreitete Unmut über die hohen Kosten, die die Siedlungen verursachen, und die internationale Kritik am Siedlungsprojekt. »Vor allem in den Köpfen der städtischen, säkularen Jugend sind die Siedler endgültig zum Stachel im Fleisch geworden – und sei es nur, weil man es leid ist, im Ausland wie ein Paria behandelt zu werden«, glaubt Weitzman.

Die Siedler kümmern sich jedoch wenig um die öffentliche Meinung. Sie sind davon überzeugt, dass das Westjordanland und Ost-Jerusalem zu Israel gehören, weil das schon in der Thora so stehe. »Es ist unsere Aufgabe, das Land zu besiedeln, das uns Gott gegeben hat«, sagt Luria – und das werde man auch im Falle des Shepherd-Hotels so schnell wie möglich tun. »Sobald das Dach drauf ist, ziehen die ersten Familien ein. Ein bewohntes Haus kann man nur schwer wieder räumen.«

* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2011


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