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Blut um Blut

Mossad vs. Hamas - Nahost-Verhandlungen wieder an den Anfang zurückgeworfen

Von Andrej Fedjaschin *

Die Aufregung um den Mord am Hamas-Funktionär Mahmud al-Mabhuh im Januar in Dubai ebbt nicht ab.

Bis zum 19. Februar gab es elf Verdächtige, jetzt hat ihre Zahl 26 erreicht. Die Polizei des Emirats verkündete, dass weitere 15 verdächtige Teilnehmer der "Dubai-Aktion" ermittelt worden seien, deren Namen am 25. Februar an Interpol weitergegeben wurden.

Sie betonte erneut, dass sie zu 99 Prozent überzeugt sei, dass bei der Aktion die Handschrift des israelischen Geheimdienstes Mossad zu erkennen ist. Wenn die "Überzeugung" 100 Prozent erreicht habe, werde das Emirat die Festnahme des Mossad-Chefs Meir Dagan verfügen, sagte Dubais Polizeichef Dahi Khalfan Tamim.

Stellen Sie sich einmal vor, dass ein Mordanschlag durch die russischen oder chinesischen Geheimdienste in Frage kommen würde, egal ob in den Emiraten oder woanders. Unter ähnlichen Umständen und mit ähnlichen Methoden, wenn es von Agenten mit britischen oder deutschen Pässen verübt worden wäre. Was wäre dann? Der Gedanke ist zwar politisch ungesund, aber es darf solche Gedanken geben, selbst wenn es besser wäre, dass niemand daran denken würde. In Bezug auf diesen Skandal lösen diese Gedanke keine Erschütterungen aus. Doch er ruft sehr viele Fragen hervor.

Nahezu alle "Inhaber" der für die Einreise nach Dubai "ausgeliehenen" Reisepässe haben eine Doppelbürgerschaft. Die meisten von ihnen - zwölf Personen - haben britische und israelische Papiere. Die Reisepässe für die anderen Agenten wurden von den Außenministerien Irlands, Frankreichs, Australiens und Deutschlands "ausgestellt".

Die Mitglieder der Gruppe benutzten Kreditkarten von US-Banken, flogen nach Dubai aus Paris, Rom, Frankfurt und Zürich, gingen in Österreich oder Belgien einkaufen ... Auch nach der Operation flogen die einen nach Hongkong, die anderen nach Iran oder sonst wohin. In Wirklichkeit aber haben sie sich einfach in der Luft aufgelöst.

Besonders merkwürdig ist dabei, dass absolut alle Pässe tatsächlich existierenden Bürgern der erwähnten Länder gehören, die entweder in Israel leben oder dieses Land besucht haben. Israels Botschafter in London, Dublin, Canberra, Paris sowie seine Vertreter in der EU wurden bereits von den Außenministerien der jeweiligen Länder zur Aufklärung der Umstände vorgeladen.

Nach Auffassung der Diplomaten, die sich mit der Nahost-Lösung, mit dem Atomstreit mit Iran, mit der Situation in Afghanistan und im Irak befassen, könnte für die Operation in Dubai kein ungünstigerer Zeitpunkt ausgesucht werden. Ein Skandal löst immer neue Wellen aus, die in diesem Fall für die Situation im Nahen Osten noch schädlicher sind als Säure: Sie verschärfen die Konfrontation zwischen Israelis und Arabern und bringen Prozesse in Gang, die die Nahost-Verhandlungen wieder an den Anfang zurückwerfen.

Dabei muss man erwähnen, dass die israelische Regierung von Benjamin Netanjahu extrem rechtskonservativ positioniert ist. Bei diesem Kabinett war es auch früher schwer, die Araber zu möglichen "Kompromissen" zu bewegen, egal ob es um den Nahen Osten oder um die Sanktionen gegen Iran und dessen atomare Ansprüche gehen sollte. Jetzt wird es noch schwieriger.

Nach der "Geschichte von Dubai" sind die Araber kaum nachgiebiger geworden: Was für Kompromisse sind möglich, wenn man uns so frech und unverschämt vernichtet?! Dabei haben die Araber nicht einmal Angst vor der Empörung des Westens - die Passfälschung gilt in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Irland immerhin als Verbrechen.

Man muss einräumen, dass aus rein professioneller Sicht beides (Frechheit und Unverschämtheit) vorhanden ist. Der Mossad liebt (wie auch alle anderen Geheimdienste der Welt) die Nacht beziehungsweise Dämmerung. Nach der Operation im Zimmer 230 des Al-Bustan Rotana Hotels in Dubai (sie fand am 19. Januar statt, aber einzelne Details wurden erst Mitte Februar bekannt) wurden zu viele Spuren hinterlassen (Beobachtungskameras im Hotel, im Flughafen, Augenzeugen, Schecks, Tickets, Kreditkarten), die die Suche nach den Tätern erleichtern können.

Entweder wollten sie selbst auffallen oder hatten keine Angst, aufzufallen. Solche Operationen gelten als "Warnsignale", damit die Opfer verstehen, dass sie überall in der Welt aufgespürt werden können.

Die Dimension der jüngsten Aktion war allerdings nicht ganz üblich. Israel war schon in der Vergangenheit in Skandale um die Fälschung von britischen Pässen für seine Agenten verwickelt, die an Morden an palästinensischen Politikern beteiligt waren. So war im Jahr 1973 in Beirut, als der Mossad mehrere Anführer von palästinensischen Gruppierungen tötete. So war es auch 1986, als Mossad-Agenten den israelischen Atomphysiker Mordechai Vanunu kidnappten, der alle Geheimnisse des israelischen Atomprogramms der britischen Presse verraten hatte.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die britische Premierministerin Margaret Thatcher bereits Mitte der 80er Jahre (und das weiß kaum jemand) verfügte, das Mossad-Büro in London zu schließen, weil seine Agenten es nicht einmal für nötig hielten, die Vorbereitung von Morden an in London ansässigen palästinensischen Asylanten geheim zu halten.

Der Mossad hatte früher ziemlich häufig kanadische, schweizerische, norwegische und französische Pässe benutzt. Doch damals handelte es sich normalerweise um Pässe von Toten. Jetzt sind aber sehr viele Namen von gesunden und munteren Bürgern aus EU-Ländern und Australien in die Sache verwickelt.

Israel hat aber die von allen Geheimdiensten der Welt vielfach erprobte Taktik gewählt: Keine Stellungnahmen, weil niemand richtige Beweise hat. Obwohl die Art und Weise der Operation, der Konspirationsumfang, die Orte, die Zahl der Beteiligten, die Methoden und schließlich die Person des Opfers darauf hinweisen, dass der Verdacht nicht unbegründet ist.

Kein einziger Geheimdienst der Welt mag die Fragen, die die "Dubai-Aktion" aufwirft. Denn fast jeder Geheimdienst der Welt hat irgendwann "Exekutivaktionen" (Liquidierung von Menschen) arrangiert.

Die erste und wohl wichtigste Frage ist und bleibt: Warum wurde die Operation so nachlässig durchgeführt? Warum wurden für die "Legende" die Pässe von lebendigen Bürgern Israels, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und Irlands gefälscht? Höchstwahrscheinlich wurden die Daten schlicht aus den Computern der israelischen Ausländerbehörde kopiert. Die Namen wurden sogar in den Zeitungen veröffentlicht.

Es ist allgemein bekannt, dass die Verwendung von Berufen wie Journalist, Wissenschaftler, Mitarbeiter von Wohltätigkeitsorganisationen als "Deckmantel" für Agenten oft den Tod von unschuldigen Menschen zur Folge hatte, die in diesen Berufen tätig waren. Viele Geheimdienste haben in letzter Zeit auf diese Praxis verzichtet (das behaupten sie jedenfalls).

Für die arabischen Geheimdienste ist jetzt jeder Europäer ein mutmaßlicher israelischer Agent. Also wurde das unbedacht und ohne Berücksichtigung von möglichen Folgen gemacht? Oder wurde die Situation speziell für mehrere Schritte vorkalkuliert, damit sie eben diese Folgen hat?

Den Mossad gibt es seit dem Jahr 1948. Einer der ersten Leiter des Geheimdienstes war Jitzchak Schamir, späterer Premierminister Israels. Mossad-Kritiker behaupten, dass der Geheimdienst während der Amtszeit von Premier Ariel Scharon besonders zu "politischen Morden" neigte, nachdem er 2002 Meir Dagan zum Mossad-Chef gemacht hatte. Zur Person Dagan sagt man in Israel, er sei zum Mossad "mit dem Messer im Mund" gekommen. Als Netanjahu im Juni 2009 die Amtszeit Dagans um ein Jahr verlängerte, trat sein erster Vize sofort zurück.

Die Israelis sind stolz auf die Operation des Mossad. Sie räumen aber ein, dass neues Blutvergießen zu erwarten ist. Diesmal geht es aber um israelisches Blut. Ganz typisch für den Nahen Osten.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 26. Februar 2010; http://de.rian.ru


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