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Aufruf zum Mord

Israelischer Transportminister Shaul Mofaz fordert, Hamas-Regierung von Gaza "persönlich zu eliminieren"

Von Karin Leukefeld *

»Israel muß aufhören zu reden und damit beginnen, die Hamas-Regierung persönlich zu eliminieren«, forderte der israelische Transportminister Shaul Mofaz am Sonntag (in der israelischen Internetzeitung Ynet News). Mofaz reagierte mit diesem öffentlichen Aufruf zum Mord an demokratisch gewählten palästinensischen Politikern auf den erneuten Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen, der am Wochenende in südisraelischen Siedlungen eingeschlagen war. Eine Person war nach israelischen Armeeangaben leicht verletzt worden. Vergeltungsschläge von israelischer Seite hatten im Laufe des Wochenendes vier Militante der »Widerstandskomittees des Volkes« getötet und Zivilisten verletzt. Mofaz, der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte (1998–2002) und Verteidigungsminister unter Ariel Scharon war, hatte sich schon für die Tötung von Yassir Arafat ausgesprochen. Während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister (2002–2005) hatte Mofaz wiederholt hochrangige Hamaspolitiker und -aktivisten gezielt töten lassen.

Ein seit dem 19. Juni geltender Waffenstillstand, der von Hamas und Militanten eingehalten worden war, war am 5. November durch die Invasion israelischer Truppen gebrochen worden. Sieben Hamasmitglieder waren dabei getötet worden. Seitdem liefern sich beide Seiten einen ungleichen Kampf, die israelische Luftwaffe reagiert auf selbstgebaute Kassamraketen und umgekehrt. Israel hat seine seit 2006 dauernde Willkürkontrolle der Grenzübergänge zum Gazastreifen verschärft, Lebensmittel, Medikamente, Treibstoff, Elektrizität und Wasser werden nicht mehr durchgelassen. Scharfe Kritik von Politikern aus aller Welt, von Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen werden von Israel ignoriert.

Ministerpräsident Ehud Olmert griff zwar den mörderischen Vorschlag seines Transportministers nicht auf, erklärte aber zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung, die Verantwortung für den Bruch der Waffenruhe liege »einzig und allein bei der Hamas und anderen Terrorgruppen in Gaza«. Er habe die Armee angewiesen, verschiedene Pläne gegen die »Terrorherrschaft der Hamas« vorzulegen, so Olmert. Verteidigungsminister Ehud Barak erklärte hingegen, Israel solle bereit sein, zum Waffenstillstand zurückzukehren.

Das forderte auch Hamasführer Ismail Hanija bei der Beerdigung der vier getöteten Militanten am Sonntag. Israel habe den Waffenstillstand verletzt und müsse beweisen, daß es sich an seine Verpflichtungen aus der Vereinbarung halte. »Israel muß seine Worte über den Waffenstillstand in die Tat umsetzen«, sagte Hanija. Es müsse die »Aggressionen stoppen und die ungerechte Blockade aufheben«.

Die doppelzüngige Politik Israels und seines stärksten Bündnispartners USA hatte die israelische Tageszeitung Haaretz in ihrer Ausgabe vom Sonntag bloßgestellt. Haaretz veröffentlichte einen Brief, den Ismail Hanija am 6. Juni 2006 kurz nach seiner Wahl an US-Präsident George W. Bush geschrieben hatte. Hanija verwies auf die Tatsache, daß seine Regierung »in einem demokratischen Prozeß gewählt wurde«. Weiter heißt es: »Stabilität und Sicherheit in der Region sind uns so wichtig, daß wir nicht gegen einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 sind. Dafür bieten wir einen lang anhaltenden Waffenstillstand an.« Bush möge den Dialog mit der Hamas-Regierung aufnehmen, so Hanija weiter: »Wir sind keine Kriegstreiber, sondern wollen Frieden, und wir rufen die amerikanische Regierung auf, direkte Verhandlungen mit der gewählten Regierung aufzunehmen.« Weiter forderte Hanija Bush auf, den internationalen Boykott gegen seine Regierung zu beenden, weil das zu »Gewalt und Chaos in der ganzen Region« führe.

Der Brief wurde vom langjährigen Vermittler im Mittleren Osten, Dr. Jerome Segal von der Maryland Universität, dem US-Außenministerium und dem Nationalen Sicherheitsrat übergeben. Die Einwilligung in einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 und das Angebot eines Waffenstillstandes seitens der Hamas könne de facto als »Anerkennung des Staates Israel« angesehen werden, so Segal. Die US-Administration hat jedoch nie auf den Brief reagiert. Im Gegenteil, die Boykottpolitik gegen Hamas und ihre Diffamierung als »Terrororganisation« wurde auch von Staaten der Europäischen Union übernommen und führte mit der einseitigen Finanzierung und Anerkennung der Fatah von Mahmoud Abbas schließlich zur Spaltung der Palästinenser.

* Aus: junge Welt, 18. November 2008


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