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Tacheles statt Schmusekurs?

Deutsch-israelische Verhandlungsrunde

Von Roland Etzel *

Die jährlichen deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, begründet von der Bundeskanzlerin und ihrem Amtskollegen und heutigen Gast, konnten bisher der Öffentlichkeit als Termin harmonischen Einvernehmens präsentiert werden. Ob das diesmal gelingt, ist fraglich. Das Offizielle Thema des Treffens lautet übrigens »Innovation – Bildung – Nachhaltigkeit«.

Netanjahu ante portas - in früheren Jahren ein steter Quell der Freude im Kanzlerinnenamt. Doch diesmal dürfte er der Hausherrin ungelegen kommen, und es kann gut sein, dass Angela Merkel den schwachen Tag verwünscht, als sie Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu einer Art Ritual erhob. Mit diesem Gast gemeinsam möchte im Moment kaum jemand in der Welt in Kameras lächeln.

Seit der UNO-Aufwertung Palästinas am Donnerstag zu einem Nichtmitglied- oder Beobachterstaat und der rüden Reaktion Israels darauf ist prima Klima von der Kanzlerin nicht so einfach wie sonst herbeizuzaubern. Zu gründlich haben sich Israels Regierungsvertreter - in Jerusalem wie in New York - daneben benommen. Netanjahus Ankündigung neuen Landraubs unmittelbar nach der Abstimmung ist bei Befreundeten und selbst Verbündeten ausgesprochen schlecht angekommen. Sie hatten versucht, Netanjahu Brücken zu bauen. Dennoch zogen der es vor, sich dafür bei den Europäern mit einem Tritt gegen das Schienbein bedanken.

Eine zusätzliche Ohrfeige aus Israel gab es für Deutschland. Merkel wird das besonders ärgern. Schließlich hat Berlin Präsident Mahmud Abbas bis zuletzt unter Druck gesetzt, den palästinensischen Antrag noch zurückzunehmen. Dennoch klagte die israelische Zeitung »Haaretz«, sei »der schwerste Schlag« von den Deutschen gekommen. Netanjahu hätte sich bis fast zuletzt darauf verlassen, dass Berlin wegen seiner historischen Sonderbeziehung zu Israel den Antrag der Palästinenser ablehnen werde. Noch bis zum Morgen des Donnerstag, des Tages der Abstimmung, hätten die Signale aus Berlin in diese Richtung gedeutet, behauptet das Blatt.

Ob Täuschung oder Selbsttäuschung, Wahrheit oder Wunschdenken, auf jeden Fall ist es eine für Berlin kaum erwünschte Folge der Privilegierung der Beziehungen. Das Auswärtige Amt, von dem kaum vorstellbar ist, dass es die israelische Regierung im Unklaren ließ, reagierte genervt: »Das war für die Israelis mit Sicherheit keine Überraschung«, hieß es dort.

Man hatte lange gepokert, wollte gemeinsam mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton versuchen, die anderen Mitgliedstaaten auf eine Israel genehme Linie einzuschwören. Das misslang. So entschied sich Berlin dafür, bei einer ohnehin nicht zu gewinnenden Abstimmung eine Isolation zu vermeiden. Dennoch hatten die Kanzlerin und ihr Außenminister Guido Westerwelle bei Netanjahu und Co. Verständnis erwartet und ein Mindestmaß an diplomatischer Contenance - und wurden unangenehm eines Besseren belehrt.

Doch es gibt auch andere Stimmen in Israel. Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert, Ministerpräsident 2006 bis 2009, bezeichnete die Abstimmung in der UN-Vollversammlung als nützlicher für Israel als für die Palästinenser. Denn Hoffnungen auf eine Zwei-Staaten-Lösung erhielten dadurch Auftrieb. Der von der israelischen Regierung nach der Abstimmung angekündigte Bau von Wohnungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem würde dagegen Israel wohlgesinnte Entscheidungsträger in den USA gegen sich aufbringen. Berlin, auch das widerspiegelt Olmerts Äußerung, gehört für ihn keineswegs zu den »Entscheidungsträgern« im Nahostkonflikt.

Über Medien ließ die Bundesregierung am Dienstag durchsickern, es stehe ein »offenes Gespräch unter Freunden an«, und da werde auch »Tacheles« geredet. Die bisherigen Äußerungen zur Sache ließen das allerdings nicht vermuten. Während die Regierungen in Kopenhagen, London, Madrid und Paris den einbestellten israelischen Botschaftern beschieden, dass man den israelischen Beschluss, weitere Wohnungen im besetzten Gebiet zu bauen, kritisiere und seine Rücknahme erwarte, kam das Amt von Westerwelle über halbseidene Formulierung nicht hinaus. »Die Diskussion um eine Ausweitung der Siedlungspolitik macht uns große Sorgen«, erklärte Westerwelle am Sonntag in Berlin - also nicht die Siedlungspolitik an sich, sondern nur die Diskussion darüber? Geradezu kurios die Begründung seines Amtes, warum man in Berlin auf die Einbestellung des israelischen Botschafters als einer gemäßigten Form eines offiziellen Protestes verzichtet habe: »Der israelischen Regierung«, sagte eine Sprecherin, »ist die Haltung der Bundesregierung bekannt.«

Aber auch die SPD weiß offenbar nicht, wie sie mit der Angelegenheit umgehen soll: Der stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Gernot Erler erklärte am Dienstag dem »Kölner Stadtanzeiger«, die Fortsetzung der israelischen Siedlungspolitik untergrabe alle Hoffnungen auf einen baldigen Frieden. Darüber müsse Merkel mit Netanjahu Klartext reden. Dagegen forderte Erlers Fraktionskollege Reinhold Robbe »Stillschweigen« über die Verhandlungen. Für ihn gilt es, Sorge zu tragen, »dass niemand das Gesicht verliert«. Auf die Siedlungspolitik ging er gar nicht ein. Robbe ist Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Dass ein derartiges Amt Kritik an Israel keineswegs ausschließt, machte der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, Jerzy Montag, von den Grünen deutlich: »Die jetzige israelische Regierung«, so der Bundestagsabgeordnete, »ist verfangen in einem Denken der gegenseitigen Konfrontation.« Netanjahus Baupläne dienten nicht den Interessen Israels.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. Dezember 2012

Beziehungen zu Palästina Antrag der Linksfraktion im Bundestag

Die Linksfraktion hatte bereits im Januar einen Antrag eingebracht, in dem es unter anderem heißt:

... Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
  • unverzüglich mit der Palästinensischen Autonomiebehörde Verhandlungen über die gegenseitige Aufwertung des Status der Generaldelegation Palästinas in Deutschland und der deutschen Generaldelegation in Ramallah aufzunehmen;
  • die bisherigen diplomatischen Vertretungen beider Länder in den Stand regulärer diplomatischer Missionen aufzuwerten und der jetzigen Generaldelegation Palästinas in Deutschland den Rang einer »Mission Palästinas« zu verleihen; ...
  • die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ramallah in eine »Diplomatische Mission« sowie deren Leiter in den Rang eines »Botschafters, Leiter der Mission« aufzuwerten ...
Der Antrag wurde am vorigen Donnerstag (29. Nov.) im Bundestag abgelehnt – zur selben Stunde, da die Mehrheit der Staaten in der UNO Palästina in den Rang eines Beobachterstaats erhob.




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