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Merkel sprach deutsch

Merkel in Israel: Der Protest gegen die Knesset-Rede der Kanzlerin zeigt die Ambivalenz israelischer Politmentalität

Von Moshe Zuckermann *

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat im israelischen Parlament eine Rede gehalten - auf Deutsch. Schon im Vorfeld hatte sich in Israel daran eine klein-große Debatte entzündet. Der Rechten zugehörige Knesset-Mitglieder zeigten sich schockiert von der schieren Möglichkeit, dass die "Sprache der Täter" staatsoffiziell im Plenarsaal des Parlaments erklingen werde. Der rechtsextreme Abgeordnete Arie Eldad begründete seinen vehementen Einspruch gegen das linguistisch-politische Vorhaben mit den Worten: "Mein Großvater und meine Großmutter sind auf Deutsch ermordet worden."

Hat es einen Zweck, Arie Eldad erklären zu wollen, dass seine Großeltern nicht auf Deutsch, sondern von Deutschen ermordet worden sind? Und dass die Sprache dieser Deutschen zwar die der Verursacher von Auschwitz war, aber auch die von Theodor Herzl, Sigmund Freud, Albert Einstein, von Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt, Martin Buber und Gerschom Scholem, um nur einige Juden unter den deutschsprachigen Geistes- und Wissenschaftsgrößen zu nennen, deren kultureller Rang in der Welt, mithin in der jüdischen Moderne wohl kaum übertrieben werden kann?

Nun, es hat letztlich keinen Zweck. Denn zum einen ist es sinnlos, dergleichen jemandem erklären zu wollen, der bereit ist, die Ermordung seiner Großeltern zum primitiven Totschlag-Argument verkommen zu lassen - in einer öffentlichen ideologischen Polemik, die mit der mörderischen Gewalt, die seinen Verwandten widerfahren ist, nichts zu tun hat. Man wird gar behaupten dürfen, dass gerade Eldad das Andenken seiner Familienangehörigen kontaminiere, indem er ihr Schicksal in die beschämend krämerhafte Politdebatte zerrt. Gefühle diskutiert man gewiss nicht in solchen Zusammenhängen. Und es besteht kein Grund, sie zu respektieren, wenn sie sich als manipulatives Gerüst einer hohlen Ideologie erweisen, die darauf aus ist, aus dem historischen Grauen politisches Kapital zu schlagen.

Zum anderen ist Erklärung zwecklos, weil die Hypokrisie des Knesset-Abgeordneten keine Grenzen kennt: Arie Eldad hat freimütig bekannt, dass er "froh" wäre, wenn in Deutschland produzierte Schlachtboote an Israel geliefert würden. Wie steht es also mit dem Tauschwert? Warum meint Eldad, dass die staatsoffizielle "Materialisierung der Sühne" legitim sei, die Muttersprache der eingeladenen Kanzlerin, die es zudem in der Hand hat, den Export besagter Schlachtboote, an denen Eldad sich delektiert, anzuordnen, aber nicht?

Arie Eldad vertritt nur eine kleine Fraktion in der Knesset. Und doch kodiert sich in seinen Worten ein Grundmuster israelischer Politmentalität. Israel, das von Anbeginn an das Monopol des kollektiven jüdischen Shoah-Gedenkens beansprucht hat, zeichnete sich immer schon gerade in dieser Hinsicht durch eine von gravierenden Widersprüchen durchsetzte öffentliche Sphäre aus. Zweckrationale Kalkulation und emphatisch bekundete Neuralgie zeitigten jenes Gemisch der Unvereinbarkeiten, welches "Deutschland" zum besten Verbündeten Israels in Europa unter gleichzeitiger Beibehaltung eines fetischisierten Ressentiments "Deutschen" gegenüber werden ließ. So wie Arie Eldad offenbar meint, im Namen aller jüdischen Israelis sprechen zu sollen, ist ihm Angela Merkel auch exemplarisch fürs unerträgliche Deutsche.

Das geht über ihre Person hinaus. Vieles hat sich über Jahrzehnte in der Beziehung zwischen Deutschland und Israel gewandelt. Das von Ben Gurion seinerzeit viel zu früh als ein "anderes" apostrophierte Deutschland darf inzwischen beanspruchen, es in der Tat zu sein. Das weiß die Kanzlerin des vereinigten Deutschland; dessen ist sich auch das Gros der israelischen Politklasse bewusst. Selbst Eldad weiß das. Geblieben ist ihm einzig die ideologisch verdinglichte Idiosynkrasie. Bedenklich nur, dass man in Israel gerade aus diesem frivolen Pseudogedenken an die historische Monstrosität immer noch politisches Kapital schlagen kann.

* Aus: Freitag 12, 20. März 2008




Interview

Wie bewerten Sie den Besuch von Angela Merkel in Israel, Frau Langer?



Befand sich Angela Merkel bei ihrem Israel-Besuch auf Adenauers Spuren?

Mir schien es, als wandelte die Kanzlerin auf den Spuren von George W. Bush. Adenauer hat so eine Politik der blinden Unterstützung, wie es Merkel tut, nicht betrieben.

Merkel ist die erste deutsche Regierungschefin, die eine Rede vor der Knesset halten durfte. Wieso gestattete ihr dies der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert?

Deutschland schenkt Israel de facto U-Boote, gibt Millionen an Entwicklungshilfe und verzichtet darauf, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Mit ihrem Auftitt belohnte sie Israel für dessen völkerrechtswidrige Politik. Seit Jahrzehnten missachtet das Land die Rechte der Palästinenser. Merkel hätte sich in Israel mit Friedensaktivisten treffen sollen, nicht nur mit Staatsmännern.

60 Jahre nach der Staatsgründung Israels will Merkel nun ein "neues Kapitel" in den Beziehungen aufschlagen. Wie müsste das Ihrer Meinung nach aussehen?

Merkel sollte den Israelis nicht nur Lippenbekenntnisse abverlangen, sondern die Räumung der besetzten Gebiete, die Schaffung eines palästinensischen Staates entsprechend des Völkerrechtes und die Einhaltung der Genfer Konvention. Dazu ist Deutschland auch aufgrund seiner Geschichte verpflichtet.

Merkel sagte kürzlich mit Blick auf den Iran: Bedrohungen gegen Israel sind auch Bedrohungen gegen uns ...

Israel ist die viertgrößte Militärmacht der Welt, der militärische Arm der Amerikaner im Nahen Osten und besitzt nukleare Waffen. Die Bedrohung geht von Israel aus.

Nun ist aber auch Israel steten Anschlägen, etwa von Hamas-Aktivisten, ausgesetzt.

Dies geschieht aus Frustration über die Besatzung, die ein Inbegriff von Gewalt ist und die Gewalt erzeugt. So lange die Palästinenser in Ghettos leben, können die Israelis nicht auf Frieden hoffen. Die Hamas-Bewegung stellt - ob es uns passt oder nicht - eine demokratisch gewählte Regierung und pragmatische Leute. Aber statt sie zu respektieren, hat Israel eine Mauer auf palästinensischem Boden errichtet, die die Menschen von medizinischer Hilfe, vom Wasser und Strom abschneidet.

Für Juni hat Merkel in Berlin eine "Palästina-Konferenz" geplant. Was erwarten Sie davon?

So lange Israel nicht zu Frieden und Gerechtigkeit mit den Palästinensern bereit sind, bleiben solche Konferenzen reine Spektakel. Annapolis hat das zuletzt gezeigt.

Das Gespräch führte Dirk F. Schneider

** Felicia Langer ist Menschenrechtsanwältin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises.

Aus: Freitag 12, 20. März 2008





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