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Continuing demolitions in East Jerusalem / Die Abrissbirne regiert in Ostjerusalem

UN-Organisation zur Koordination Humanitärer Angelegenheiten (OCHA) appelliert an Israel: Beendet die Hauszerstörungen

Am 2. Mai 2009 berichtete die Frankfurter Rundschau (Autorin: Inge Günther) über eine Studie der UN-Organisation zur Koordination Humanitärer Angelegenheiten (OCHA), wonach mindestens jeder vierte Palästinenser in Ostjerusalem mit dem Risiko leben müsse, dass sein Heim eines Tages abgerissen wird. Insgesamt seien es 60.000 Menschen, die im 1967 von Israel annektierten Teil Jerusalems in ungenehmigten Häusern wohnen. In der Tat ein "dramatisches Ergebnis". OCHA appelliert denn auch an Israel, die Abrisspolitik einzustellen und einen Bebauungsplan für Ost-Jerusalem erstellen, der sich am Bedarf der Palästinenser dort orientiert. (Siehe Kasten.)

In dem Artikel von Inge Günther heißt es weiter, von der Abrissbirne aktuell bedroht seien 1500 Häuser in arabischem Besitz. Israels Behörden haben die gefürchtete Demolierungsorder in diesen Fällen bereits erteilt. Sollte sie realisiert werden, würden 9.000 Menschen ihr Dach über dem Kopf verlieren. Allerdings, so vermutet Günther, gehen die Behörden meist nach dem Muster vor, einzelne Häuser herauszugreifen - "zwecks Abschreckung".

Alarmierend ist noch etwas anderes: Eine Baugenehmigung ist für Palästinenser in Ostjerusalem kaum zu erhalten. Laut UN-Studie hat Israel ein Drittel des im Sechs-Tage-Krieg besetzten und später annektierten Ostteils der Stadt für den jüdischen Siedlungsbau "enteignet". Lediglich 13 Prozent sind als palästinensisches Bauland ausgewiesen. Die Zahl der Baugenehmigungen jedenfalls, so heißt es in dem Report, decke bei weitem nicht die Nachfrage. Demnach fehlen jährlich 1.100 Wohnungseinheiten. Inge Günther: "Die Folge: Die Palästinenser in Jerusalem bauen in Ermangelung von Alternativen ohne Erlaubnis. Das gilt für mindestens 28 Prozent der Häuser im arabischen Ostteil.

"Ausgerechnet im vorigen Jahr, das im Zeichen des Friedensprozesses von Annapolis stand, sind die Abrisszahlen gestiegen. 90 Häuser wurden demoliert, 400 Palästinenser obdachlos."

So versucht Israel nicht zuletzt, die demografische Entwicklung zu steuern. Die Zielmarke, den arabischen Bevölkerungsanteil in der Stadt nicht über 30 Prozent wachsen zu lassen, ist längst überschritten. Heute ist jeder dritte Jerusalemer Palästinenser.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 2. Mai 2009 ("Ostjerusalem: Israel soll Abriss von Häusern stoppen"


Der Titel der Studie lautet:
The Planning Crisis in East Jerusalem: Understanding the phenomenon of “illegal” construction.
OCHA Special Focus, April 2009
Hier können Sie den Report (englisch) herunterladen:

[pdf-Datei, externer Link]




Mit der Bibel als Grundbuch

In Jerusalem sollen für einen Park 88 Häuser weichen – palästinensische Häuser

Von Max Böhnel, Jerusalem *

Etwa 45 000 Menschen, fast alle Palästinenser, wohnen in Silwan, einem Stadtteil des 1967 von Israel besetzten arabischen Teils von Jerusalem in unmittelbarer Nähe der Klagemauer. Jetzt sollen dort 88 Häuser mit insgesamt 1500 Bewohnern abgerissen werden, um Platz für einen Archäologiepark zu schaffen. Die Betroffenen wehren sich.

Morgens um acht frisst sich die grelle Frühjahrssonne außerhalb der Jerusalemer Altstadtmauern gnadenlos in den Südhang von Silwan. Zwischen den bescheidenen Häuschen aus Schlackebeton, die sich den steilen Hügel hinaufziehen, räkeln sich zerzauste Katzen. Die Düfte und Essenzen einer Heiligen Stadt lässt dieser Teil Jerusalems vermissen. Die städtische Müllabfuhr scheint den Ort zu umfahren.

Gegenüber dem Protestzelt, in dem sich gegen Mittag palästinensische Männer einfinden werden, zerren verwilderte Hunde an Knochen herum, die sie sich aus dem herumliegenden Müll geholt haben. Kein Schild weist auf die Existenz Silwans unterhalb der jüdischen Klagemauer und der muslimischen Al-Aqsa-Moschee hin. Und doch leben hier rund 45 000 Palästinenser.

Schlaftrunken blinzelt der 33-jährige Jamal Abu Chalil in die Sonne und schlürft an seinem Kaffee. »Sie kriegen uns hier nicht weg«, sagt er. Vor ein paar Tagen war der Familie von irgendjemand ein Abrissbefehl über das Hoftor geworfen worden. Das Schlimmste kann jede Minute erfolgen – wenn plötzlich israelische Polizisten mit Megaphonen vor dem Haus stehen und zum Packen von Hab und Gut auffordern, dahinter ein Bulldozer mit laufendem Motor, bereit, das Familienhaus innerhalb einer Stunde dem Erdboden gleichzumachen, bewacht von schwer bewaffnetem Militär.

Die Vertreibung – eine Verwaltungsmaßnahme

Die Bilder kennt jeder Palästinenser. Seit der Besatzung des Gaza-Streifens, des Westjordanlands und Ost-Jerusalems vor nunmehr 42 Jahren haben die israelischen Behörden Tausende von palästinensischen Familien obdachlos gemacht. Drei Arten der Häuserzerstörung werden angewandt: als »operativer Eingriff« bei einer Militäraktion, als »Vergeltungsmaßnahme« und Kollektivstrafe für eine ganze Familie sowie als »Verwaltungsmaßnahme«.

Letzteres ist in Silwan der Fall. Wird der Plan umgesetzt, dann handelt es sich um die größte Zwangsräumung in Ost-Jerusalem seit dem Juni-Krieg 1967. Denn die Chalils sind nicht die einzigen, die befürchten müssen, demnächst vor einem Trümmerhaufen zu stehen. Auf der Liste der Jerusalemer Stadtverwaltung stehen 88 Familienhäuser mit rund 1500 Bewohnern, die zwangsgeräumt werden sollen. Der Grund: »illegal errichtet«. Der Hintergrund: Die palästinensischen Familien von Silwan stehen einem Historienpark namens »Ir David« (»Davidsstadt«) im Weg. Das Projekt wird seit Jahren von der nationalistisch-religiösen Siedlergruppe »Elad« betrieben.

Einige hundert der jüdischen Fanatiker haben in Silwan bereits triumphierend die israelische Fahne in Siedlungen gehisst, die sie Palästinensern mit Hilfe der Behörden mit Tricks und unter Drohungen »legal« abgenommen haben. Unter Silwan befindet sich angeblich der Palast König Davids, der laut Bibel an diese Stelle die Bundeslade gebracht haben soll. Was in dem ominösen Buch steht, nehmen die religiösen Fundamentalisten für bare Münze – die Bibel als Grundbuch.

Unterstützt werden die Siedler, die sich erstmals 1991 in Silwan niedergelassen haben, von den Jerusalemer Stadtbehörden und von der staatlichen Altertumsbehörde. »Elad« fungiert als schwer zu durchschauende Organisation, finanziert von reichen Spendern in den USA und Russland. Der neue Jerusalemer Bürgermeister Nir Barkat gibt nicht einmal vor, sich für die Interessen der palästinensischen Minderheit einzusetzen. Er sei ein Anhänger von »Ir David«, beteuert er immer wieder und vergleicht das Projekt absurderweise mit dem Central Park in New York.

Ein Protestzelt gegen die Abrissbagger

Aus dieser Sicht stehen die Palästinenser der »Davidsstadt«, der »Modernisierung« und »dem Tourismus« wie lästige Hürden entgegen. Dass viele der Wohnhäuser, die er abreißen lassen will, »illegal« errichtet wurden, ist formal richtig. Aber »illegal« zu wohnen ist für einen Teil der palästinensischen Bevölkerung Ost-Jerusalems mangels Alternativen die einzige Möglichkeit. Denn die Jerusalemer Stadtverwaltung weigert sich seit 1967, für die meisten arabisch bewohnten Viertel einen Bebauungsplan zu erstellen. Dies hieße, Nicht-Juden ein Dauerrecht auf die »ewige Hauptstadt« einzuräumen und auf jüdische Besiedlung zu verzichten. »Zionismus in Aktion« nennt Jamal Abu Chalil die Wohnungspolitik in Jerusalem. Im März waren in Silwan bereits die ersten Abrissbagger angerückt und hatten das Haus der Abasi-Familie zerstört. Die Eltern und die Kinder leben seitdem in einem Behelfszelt neben der Ruine.

Das Protestzelt ist mit Plastikstühlen, geographischen Karten und Slogans an den Wänden ausgestattet. Auf arabisch, englisch und hebräisch heißt es »Keine Brandstiftung in Jerusalem« und »Rettet Silwan«. Immer wieder laden die Silwaner Vertreter ausländischer Konsulate ins Zelt ein, die dann auch erscheinen und sich aufklären lassen. Hin und wieder lassen sich auch Knesset-Abgeordnete von linken und arabischen Parteien blicken. Ein Hoffnungsschimmer ist die neue USA-Regierung. Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete die Häuserzerstörung bei ihrem Nahostbesuch als »eindeutig nicht mit den Pflichten vereinbar, wie sie in der Roadmap festgelegt sind«.

Unterdessen treffen an der archäologischen Siedlungsstätte die ersten Touristenbusse ein. Eine Gruppe italienischer Volksschullehrer, die soeben ausgestiegen ist, lässt sich von einer jungen israelischen Reiseführerin über »Ir David« aufklären: »Zweites Buch Samuel: David eroberte Jerusalem mit den Seinen von den Jebusitern, daraufhin erbaute Hiram von Tyros dem jüdischen König in der Stadt einen prachtvollen Palast.« Die Reiseführerin lässt allerdings unerwähnt, dass die Herkunft der gut 1,80 Meter dicken Mauersteine, die sie vorführt, umstritten ist.

Aber in Ost-Jerusalem geht es den Israelis nicht um Wissenschaft, sondern um Siedlungspolitik – »in der einen Hand die Schaufel, in der anderen die Bibel«, wie Jamal Abu Chalil sagt.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2009

OCHA OPT special focus: The planning crisis in East Jerusalem - Understanding the phenomenon of “illegal” construction

Date: 30 Apr 2009

This OCHA Special Focus addresses the phenomenon of "illegal" Palestinian construction in East Jerusalem resulting from the failure of the Israeli authorities to provide adequate planning for Palestinian neighbourhoods. This Special Focus provides a statistical overview of Israel's demolition of unauthorized structures since 2000, provides background on some of the key difficulties facing Palestinian residents of East Jerusalem in their efforts to build, and identifies a number of at-risk communities. In addition, it provides an overview of various NGO and community initiatives that aim to challenge and eventually overcome obstacles in the current municipal planning process.

Executive Summary

In 1967, Israel occupied the West Bank and unilaterally annexed to its territory 70.5 km2 of the occupied area, which were subsequently integrated within the Jerusalem municipality. This annexation contravenes international law and was not recognized by the UN Security Council or UN member states.2 Irrespective of Israel's annexation, the area of East Jerusalem continues to form part of the occupied Palestinian territory (oPt) and its Palestinian residents remain protected by international humanitarian law (IHL).

Throughout its occupation, Israel has significantly restricted Palestinian development in East Jerusalem. Over one third of East Jerusalem has been expropriated for the construction of Israeli settlements, despite the IHL prohibition on the transfer of civilians to the occupied territory. Only 13 percent of the annexed area is currently zoned by the Israeli authorities for Palestinian construction, within which Palestinians have the possibility of obtaining a building permit. However, much of this land is already built-up, the permitted construction density is limited and the application process is complicated and expensive.

Moreover, the number of permits granted per year to Palestinians does not meet the existing demand for housing. The gap between housing needs based on population growth and the legally permitted construction is estimated to be at least 1,100 housing units per year.

As a result, Palestinian residents of East Jerusalem find themselves confronting a serious housing shortage caused by Israel's failure to provide Palestinian neighbourhoods with adequate planning.

This shortage has been exacerbated in recent years by the reported influx of Palestinian Jerusalemites into the city due to Barrier construction and the threat of losing residency status in the city if they move outside the Israeli-defined municipal borders of Jerusalem.

Because of the difficulties Palestinians encounter trying to obtain building permits from the Israeli authorities, and due to the lack of feasible alternatives, many Palestinians risk building on their land without a permit in order to meet their housing needs. At least 28 percent of all Palestinian homes in East Jerusalem have been built in violation of Israeli zoning requirements. Based on population figures, this percentage is equivalent to some 60,000 Palestinians in East Jerusalem, who are at risk of having their homes demolished by the Israeli authorities. This is a conservative estimate and the actual figures may be much higher.

Continuing demolitions in East Jerusalem

Since 1967, the Israeli authorities have demolished thousands of Palestinian-owned structures in the oPt, including an estimated 2,000 houses in East Jerusalem. According to official statistics, between 2000 and 2008 alone, the Israeli authorities demolished more than 670 Palestinian-owned structures in East Jerusalem due to lack of permit. Of these, approximately 90 structures were demolished in 2008, displacing some 400 Palestinians. In 2009, OCHA has recorded the demolition of 19 Palestinian-owned structures in East Jerusalem, including 11 inhabited residential structures, due to lack of permit. As a result, some 109 Palestinians, including 60 children, were displaced.

Of particular concern are areas in East Jerusalem that face the prospect of mass demolitions. For example, the execution of pending demolition orders in the Tel al Foul area in Beit Hanina, Khalet el 'Ein in At Tur, Al Abbasiya in Ath Thuri, and Wadi Yasul between Jabal al Mukabbir and Ath Thuri, affect a combined total of more than 3,600 persons.3 In the Bustan area of the Silwan neighbourhood, which has received considerable media attention, some 90 houses are threatened with demolition, potentially displacing a further 1,000 Palestinians. In addition, some 500 residents of the Sheikh Jarrah neighborhood potentially face eviction as their homes are located on land whose ownership is contested by Israeli settlers.

Similar policy in Area C

Israel's policy of home demolitions is not limited to East Jerusalem. Each year, hundreds of Palestinian-owned structures are demolished in Area C of the West Bank for lack of a building permit. Thousands of other Palestinian families in Area C face the constant threat of demolition due to outstanding demolition orders. In spite of a number of differences, the reality in both East Jerusalem and Area C is quite similar: Palestinian construction in most of these areas is severely limited, Palestinian families face ongoing displacement, and there is reduced space for the development of Palestinian communities.

Impact on the Palestinian population

The demolition of houses causes significant hardship for the people affected. Not only must displaced families overcome the psychological distress of losing their homes, they are usually burdened with debt after the loss of their primary asset, the demolished house, and, if they have retained a lawyer, the payment of legal fees. In the case of East Jerusalem, families also face heavy fines imposed by the Jerusalem municipality and, in some cases, prison sentences.

Children, who represent over 50 percent of the Palestinian population, are particularly affected by the displacement of their families. In the immediate aftermath of demolitions, children often face gaps in education and limited access to basic services, such as health care and clean water. Longer-term impacts include symptoms of psychological distress and diminished academic performance.

Highlighting the damaging impact of Israel's home demolitions and evictions in East Jerusalem, the UN Special Coordinator's Office noted in March 2009 that "(t)hese actions harm ordinary Palestinians, heighten tensions in the city, undermine efforts to build trust and promote negotiations, and are contrary to international law and Israel's commitments."

Recent events indicate that the Jerusalem municipality will maintain, and possibly accelerate, its policy on house demolition.

The way forward

As the occupying power, Israel must ensure that the basic needs of the Palestinian population of the occupied territory are met. In order to meet this obligation, the Israeli authorities should immediately freeze all pending demolition orders and undertake planning that will address the Palestinian housing crisis in East Jerusalem. At the same time, support should be directed towards organizations and agencies working to meet the immediate and longer-term needs of families displaced as a result of demolitions. In addition, assistance is required for Palestinian communities that are attempting to challenge the restrictions in the current system through legal aid, planning initiatives and advocacy.

Source: United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA); Full_Report: pdf format - 8,1 Mbytes [EXTERNER LINK]




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