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Israelische Provokation

Kontroversen vor geplanter OECD-Konferenz in Jerusalem

Von Karin Leukefeld *

Der Streit um eine bevorstehende Konferenz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Jerusalem weitet sich aus. Großbritannien hat seine Teilnahme an der Konferenz zum Thema nachhaltiger Tourismus (20.-22.10.2010) nach Äußerungen des israelischen Tourismusministers Stas Misezhnikov abgesagt, dementiert aber, daß dies aus politischen Gründen erfolgt sei. Misezhnikov hatte die Wahl Jerusalems als Konferenzort als »Zustimmung und Einverständnis mit der Tatsache« gewertet, »daß wir einen Staat haben, dessen anerkannte Hauptstadt Jerusalem ist«. Misezhnikov gehört der reaktionären Partei »Unser Haus Israel« an, die als zweitstärkste Kraft in der Regierung von Benjamin Netanjahu dafür sorgt, daß der »jüdische« Charakter des 1948 in Palästina gegründeten Staates Israel juristisch und politisch durchgesetzt wird. Erst am Sonntag hatte das Kabinett mit großer Mehrheit einem »Loyalitätseid« zugestimmt, den Einwanderer künftig auf »Israel als jüdischen und demokratischen Staat« ablegen müssen, wenn sie die Einbürgerung beantragen wollen.

Im Rahmen einer Zweistaatenlösung für Israel und Palästina soll Jerusalem einen internationalen Status erhalten und Hauptstadt für beide Länder sein. Ostjerusalem soll demnach die Kapitale eines zukünftigen palästinensischen Staates werden, was von der amtierenden Regierung Netanjahu konsequent ignoriert. Sie fordert dagegen die ein ungeteiltes Jerusalem als »ewige Hauptstadt der Juden«.

Die Organisatoren der OECD-Konferenz reagierten empört auf die Äußerungen des Tourismusministers. Die Konferenz werde abgesagt, erklärte OECD-Generalsekretär Angel Gurria in einem Brief an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, sollte Misezhnikov seine mißverständliche Äußerung nicht korrigieren »und die Konferenz in ihren richtigen Zusammenhang stellen«. Das Tourismusministerium bedauerte inzwischen jedes »Mißverständnis«. Man gehe aber davon aus, daß die Konferenz wie geplant in Jerusalem stattfinde.

Nach jahrelangen Versuchen, Mitglied in der OECD zu werden, war Israel erst im Mai 2010 einstimmig in den reichen Klub der nun 32 Staaten aufgenommen worden. Ministerpräsident Netanjahu feierte damals den neuen »Zugang zu Investitionsquellen, die nur entwickelten Ökonomien zur Verfügung stehen«. Kritiker Israels werteten dagegen die Aufnahme als deutliches Signal gegen eine immer stärkere internationale Bewegung, die Tel Aviv mit Boykottkampagnen zur Einhaltung von Völker- und Menschenrecht zwingen will. Palästinenser warfen der OECD vor, sie habe mit der Aufnahme Israels dessen Besatzungspolitik legitimiert. Bedingungen für die Mitgliedschaft seien verwässert worden, die OECD habe einen Staat aufgenommen, der »Wirtschaftsapartheid« praktiziere.

Palästinensische, israelische und internationale Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen haben derweil Proteste angekündigt, sollte die OECD die geplante Tourismuskonferenz in Jerusalem abhalten. Die palästinensische Initiative für verantwortungsbewußten Tourismus forderte die Organisation auf, die eigene Vision einer fairen Weltwirtschaft ernst zu nehmen und die Konferenz in eine andere Stadt zu verlegen. Unter Bezug auf den illegalen Siedlungsbau und die Vertreibung von Palästinensern aus Ostjerusalem kritisierte die Internationale Solidaritätsbewegung (ISM) die OECD-Konferenz als »weiteres Beispiel dafür, wie die internationale Gemeinschaft absichtlich die Augen vor dem langsamen Prozeß ethnischer Säuberungen in Jerusalem verschließt«.

* Aus: junge Welt, 12. Oktober 2010


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