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Fußfesseln für Kritiker

Engagement für Frieden und Gerechtigkeit bestraft: Der Theater- und Filmregisseur Samieh Jabbarin steht in Israel unter Hausarrest

Von Karin Leukefeld *

Vertreter der israelischen Friedens- und Menschenrechtsbewegung werden in Deutschland gern mit Preisen geehrt und zu Vorträgen eingeladen. So läßt man andere die Besatzungsmacht Israel kritisieren, ohne selbst Gefahr zu laufen, als »antisemitisch« diffamiert zu werden. Doch israelische Friedenskämpfer gehen ein hohes Risiko ein, wie jetzt der Theaterregisseur Samieh Jabbarin (41) erfahren mußte. Die israelische Staatsanwaltschaft verhängte gegen ihn Hausarrest auf unbestimmte Zeit, weil den Sicherheitskräften sein Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit offenbar zuviel wurde.

Samieh Jabbarin wurde in Um Al-Fahm, der zweitgrößten arabischen Stadt in Israel, geboren und hat die israelische Staatsangehörigkeit. Seine Ausbildung zum Theater- und Filmregisseur machte er in Deutschland, wo er auch aktives Mitglied der globalisierungskritischen Organisation ATTAC wurde. Nach seiner Rückkehr nach Jaffa gab Jabbarin sein politisches Engagement nicht auf. Mit gewaltfreien Protestaktionen engagierte er sich gegen die Vertreibungen arabisch-palästinensischer Mitbewohner, für das Recht der 1948 vertriebenen Palästinenser auf Rückkehr und für einen säkularen, demokratischen Staat Israel, in dem alle Bürger gleiche Rechte haben sollen. Während des israelischen Überfalls auf den Gazastreifen im Dezember 2008 und Januar 2009 organisierte Jabbarin mit Gleichgesinnten öffentliche Trauerkundgebungen und Proteste gegen den Krieg. Im Januar wurde er von den israelischen Sicherheitskräften gewarnt: Wenn er seine Aktivitäten nicht einstelle, würden sie Mittel und Wege finden, ihn zu bestrafen.

Als bei den Parlamentswahlen am 10. Februar eine Gruppe Rechtsextremer die Abstimmung in seinem Heimatort Um Al-Fahm überwachen wollte, beteiligte sich der Filmemacher an einer Protestaktion, die von der Polizei rasch aufgelöst wurde. Jabbarin wurde mit anderen verhaftet, ein Gericht klagte ihn in einem Eilverfahren wegen eines angeblichen »Übergriffs auf den Grenzschutzkommandeur an der Nordgrenze, Uri Mor-Yossef« an. Außer der Aussage des betroffenen Grenzbeamten wurden keine Beweise erbracht, die Staatsanwaltschaft »vergaß« sogar, Samieh Jabbarin und seinem Anwalt die Anklageschrift zu überreichen. 17 Tage lang wurde er im Gefängnis Ki­shon festgehalten, bevor man Jabbarin in seinem Elternhaus unter Arrest stellte. Nun darf der Theatermann das Haus lediglich in Begleitung von zwei Familienangehörigen verlassen, eine elektronische Fußfessel wurde angelegt. Die Maßnahme soll in Kraft bleiben, bis der Gerichtsprozeß abgeschlossen ist. Der nächste Verhandlungstermin ist für den 27. April angesetzt. Die Maßnahme diene der Einschüchterung von Friedensaktivisten, heißt es in einem Appell, den Jabbarins Freunde veröffentlichten. Rede- und Versammlungsfreiheit müsse für alle Bürger Israels gelten, für Juden wie für Araber.

Die israelische Demokratie sei eine »dreigeteilte Hierarchie«, urteilt der Herausgeber von »Aron’s Israel Peace Weblog«. »Für Juden ist Israel eine einigermaßen demokratische Gesellschaft, für die arabischen Bürger Israels nicht so sehr. Die Palästinenser in der Westbank und in Gaza unterliegen einer totalitären Herrschaft«, schreibt Aron Trauring in seinem Internettagebuch. Er stimme nicht mit allen politischen Ansichten von Samieh Jabbarin überein, Meinungsfreiheit aber sei das »Markenzeichen einer wahren Demokratie«.

Die Einschüchterung Samieh Jabbarins macht deutlich, wie sich das Vorgehen einer Besatzungsmacht innenpolitisch spiegelt. Gideon Levy, unerschrockener Kritiker der israelischen Besatzungspolitik, wird für seine Kolumnen in der als liberal geltenden Tageszeitung Haaretz regelmäßig beschimpft und erhält Todesdrohungen. Ilan Pappe, der mit seinem Buch »Die ethnische Säuberung Palästinas« die offizielle israelische Geschichtsschreibung entlarvte, verließ das Land, weil seine Kinder für die Arbeit ihres Vaters in Schule und Gesellschaft geächtet wurden. Die Frauen von Machsom Watch, die täglich das demütigende Verhalten israelischer Soldaten an den Kontrollposten protokollieren, werden als »Verräterinnen« diffamiert, und Jeff Halper vom »Israelischen Komitee gegen die Zerstörung von Häusern« landete für sein Engagement für die Palästinenser schon mehr als einmal in israelischer Haft. Immerhin gibt es für Jeff Halper demnächst ein Trostpflaster. Am 9. Mai wird ihm – gemeinsam mit dem brasilianischen Bischof von Barra, Dom Luiz Cappio – in Freiburg der »Immanuel Kant Weltbürgerpreis« verliehen, wegen »vorbildlichem Einsatz für die Menschenrechte«.

* Aus: junge Welt, 15. April 2009

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