"Es gibt keinen Frieden und Besatzung"
Givat Haviva setzt sich in Israel für jüdisch-arabische Verständigung ein
Von Wolfgang Weiß *
Seit nunmehr fast 60 Jahren gibt es in Israel eine Institution, die sich
für das jüdisch-arabische
Verständnis, für eine friedliche und tolerante Gesellschaft engagiert.
Gegen viele Widerstände im
eigenen Land hat sich Givat Haviva zu einer anerkannten Bildungs- und
Begegnungsstätte
entwickelt. Kürzlich weilten Vertreter der Einrichtung in Berlin.
Sie blicken ernst, ein wenig verlegen in die Objektive der Kameras.
Schauplätze sind ein
Klassenzimmer, ein Schulhof, die gute Stube in einer Privatwohnung. Als
Akteure fungieren auf den
Fotos jüdische und arabische Jugendliche, die an einem Workshop unter
dem Titel »Mit den Augen
des anderen« teilgenommen haben. In den dazu gehörigen Texten ist immer
wieder von »den
anderen«, der »anderen Seite« die Rede. die man »besser kennenlernen«
wolle. Das Projekt, das
von Givat Haviva - der ältesten und größten Organisation, die sich in
Israel für die Verständigung
zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung einsetzt - voriges
Jahr organisiert wurde,
will dazu beitragen, dass die jungen Menschen durch das gemeinsame
Fotografieren die Welt des
jeweils »Anderen« besser kennenlernen, sich sozusagen auf dem Weg der
Fotografie annähern.
Givat Haviva - der Name stammt von dem hebräischen Wort für Hügel
(Givat) und der
tschechischen Jüdin Haviva Reik, die von den Nazis ermordet wurde - war
1949 als
Weiterbildungszentrum der Kibbuzbewegung Ha'artzi gegründet worden.
Deren Prinzipien von
Freiheit und Gleichheit standen jedoch in krassem Gegensatz zur
israelischen Wirklichkeit im
Verhältnis von Juden und Arabern. Deshalb schuf Givat Haviva 1963 ein
Jüdisch-Arabisches
Zentrum für den Frieden. Dessen Ziel, durch gegenseitiges Kennenlernen
zum Verstehen zu
gelangen, steht heute noch im Mittelpunkt, ebenso die Integration der
arabischen Minderheit in Israel
und die Friedensforschung im Nahen Osten.
Der Mitarbeiterstab der zwischen Haifa und Tel Aviv gelegenen Bildungs-
und Begegnungsstätte
setzt sich jeweils zur Hälfte aus Juden und Arabern zusammen, und auch
das Direktorium ist geteilt.
Pädagogen aus beiden Bevölkerungsteilen arbeiten in Bereichen wie
Friedensforschung, Dialog,
Kunst und Sozialarbeit. Allein an den zur Zeit laufenden 35 Programmen
nehmen mehr als 25 000
Personen teil, vor allem Jugendliche und Erzieher. Die Schwerpunkte
dabei sind: jüdisch-arabische
Koexistenz, Geschichte des Nahen Ostens, Zionismus, arabische und
hebräische Sprache und
Kultur, Konfliktforschung, Holocaust und jüdischer Widerstand.
Oberstes Ziel von Givat Haviva ist unter der Maxime »Frieden braucht
Verständigung« die
Friedenserziehung. In diesem Zusammenhang kommt der Sarah und Yaacov
Eshel Peace Library,
die unter einem Dach drei verschiedene Bibliotheken vereint, eine große
Bedeutung zu. Herzstück
der Friedensbibliothek ist sicherlich eine weltweit unerreichte Sammlung
von Dokumenten über
Palästinenser und israelische Araber und von ihnen. Hier befindet sich
zum Beispiel das einzige
Archiv arabischer Zeitungen, die im Mandatsgebiet Palästina und in
Israel seit 1920 publiziert
wurden.
Einen besonderen Rang im Rahmen der Bemühungen von Givat Haviva nimmt
der 2004 zusammen
mit dem palästinensischen Verlagshaus Biladi (Jerusalem Times)
gegründete Radiosender »All for
peace« (hebräisch: Col HaShalom, arabisch: Sawt al-Salam) ein. Das
Programm, das in einem
Ostjerusalemer Studio produziert und von Ramallah im besetzten
Westjordanland ausgestrahlt wird,
will eine Gegenöffentlichkeit zu den von den jeweiligen Interessenlagen
dominierten anderen Medien
anbieten.
Der Radiostimme für den Frieden komme gerade jetzt, wo die
israelisch-palästinensischen
Beziehungen wieder einer sehr schwierigen Zeit entgegen gingen, eine
wichtige Rolle zu, sagte
Hanna Siniora, Mitglied des Palästinensischen Nationalrates, während
eines Podiumsgesprächs in
der Berliner Landesvertretung von Rheinland-Pfalz. Der Träger des
Malteser-Ordens und ehemalige
Gesandte der PLO, als diese noch verboten war, kündigte an, dass die
Palästinenser jetzt erstmals
versuchen werden, die moderaten Parteien durch Anzeigen in israelischen
Zeitungen zu
unterstützen.
Yael Dayan, Vizebürgermeisterin von Tel Aviv, die ebenso wie Siniora auf
Einladung des
Auswärtigen Amtes in Berlin weilte, bedauerte, dass so viele
Friedenspläne in den Schubläden
verschwunden seien. Für sie stehe fest: »Es gibt keinen Frieden u n d
Besatzung, es gibt keinen
Frieden u n d Siedlungen«.
Die Tochter des einstigen Außenministers und Generals Moshe Dayan sieht
in Givat Haviva eine
Brücke für Verständigung, für friedliche Koexistenz zwischen Arabern und
Israelis.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2008
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