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Einstürzende Grenztürme

60 Jahre Israel, 60 Jahre Nakba: Palästinensisch-israelisches Filmfestival in Berlin

Von Sophia Deeg *

Ein Festival vermag keine Mauern einzureißen, doch manche der Beiträge des palästinensisch-israelischen Filmfestivals »checkpoint«, das am heutigen Samstag (17. Mai) in Berlin beginnt, zeigen, wie es gehen kann. Zum Beispiel die Doku »Bi’lin Habibti« von 2006. Der israelische Videoaktivist Shai Carmeli-Pollak verfolgte mit der Kamera über ein Jahr lang den Kampf des Westbank-Dorfes Bil‘in gegen Landnahme, Zerstörung und Vertreibung der Bewohner durch die Mauer. Als einer der »Anarchists Against the Wall« ist Carmeli-Pollak nicht »objektiver« Beobachter und will es auch nicht sein. Sein Film leistet einen Beitrag zum ungebrochenen Widerstand palästinensischer Bauern, israelischer und internationaler Aktivisten. Die Waffen, die dabei zum Einsatz kommen, sind List, Klugheit und Phantasie.

Weder durch Tränengas, Prügel und Beschuß noch durch Verhaftungen und horrende Gerichtskosten läßt sich diese Allianz aus Bauern und Anarchisten kleinkriegen. Damit nimmt sie etwas vorweg, das alle Festivalbeiträge auf ganz unterschiedliche Art feiern: die solidarische Kooperation zwischen Palästinensern, Israelis und vielen anderen, die einen friedlichen, multikulturellen Nahen Osten für möglich halten – ohne Apartheid, Besatzung und Terror.

Das checkpoint-Festival findet statt, während auch in Berlin die Staatsgründung Israels vor 60 Jahren bejubelt wird. Es möchte daran erinnern, daß dieses Jubiläum für die Palästinenser eines der Vertreibung und Entrechtung ist (»60 Jahre Nakba«). Dennoch ist es in erster Linie keine Anklage, sondern zeigt, durchaus auch humorvoll, Facetten zweier Gesellschaften, die geprägt sind von der zermürbenden Besatzung und den diversen Feldzügen, die geführt wurden, um einen Vorposten des Westens in der Region zu etablieren und auszubauen.

Der Titel des Festivals – checkpoint –, spielt nicht nur auf die Straßensperren und Kontrollpunkte an, die das Leben der Palästinenser bestimmen; er lädt auch dazu ein, starre Argumentationslinien zu verlassen, sich von fremden Erfahrungen und neuen Eindrücken überraschen zu lassen. Dazu eignen sich Beiträge wie »Alles was ich an euch liebe« (Spanien 2004, Regie: Teresa de Pelegri und Dominic Harar) über eine gefrorene Suppe, die fast den Schwiegervater erschlagen hätte. Oder die Komödien von Elia Suleiman (»Chronicle of a Disappearance« von 1996, und »Devine Intervention« von 2002, beide Palästina/Frankreich). Sie enthalten unvergeßliche Szenen, etwa von einer Frau, die allein kraft ihrer Schönheit einen Kontrolltower an der Grenze zum Einsturz bringt. Oder Udi Alonis philosophischer Eröffnungsfilm »Forgiveness« (USA/Israel 2006). Später wird noch Alonis’ »Local Angel« (2002) gezeigt.

Überall auf der Welt wird das Anliegen der Palästinenser als eine universelle Frage begriffen, was einer der Beiträge vielstimmig zum Ausdruck bringt: »Schriftsteller der Grenzen« (Frankreich 2004), ein Zeugnis der Kraft des literarischen Wortes, gegen Ausgrenzung und Isolierung. In sieben Sprachen. Diese Dokumentation von Samir Abdallah und José Reyes entstand, als der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish 2002 namhafte Literaten aus aller Welt nach Palästina einlud, zu einer »Konspiration des Wortes« gegen die Barbarei.

Zahlreiche Gäste werden auf dem checkpoint-Festival lesen, erzählen, Rede und Antwort stehen und ihre Erfahrungen teilen. Betroffene, Augenzeugen und Aktivisten, Regisseure, Künstler und Journalisten wie Amira Hass, die für die israelische Tageszeitung Ha’aretz aus den besetzten Gebieten berichtet, oder der französische Autor und Verleger Eric Hazan, der seine Eindrücke einer »Reise nach Palästina« vorstellen und diskutieren wird.

Schwer verdaulich ist das Programm für »die arabische Seite« ebenso wie für »die bedingungslosen Freunde Israels« oder für Die Linke, die sich inzwischen wie Frau Merkel mit der Räson eines Staates identifiziert, der zur Aufrechterhaltung einer demographischen Logik jedes Recht brechen zu dürfen meint. Verbissen Politische dürften größere Probleme haben als die, denen die Wortmüllhalden um den Nahostkonflikt nur noch auf die Nerven gehen.

»checkpoint – das einzige palästinensisch-israelische Filmfestival« vom 17. bis 23. Mai im Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin-Mitte, babylonberlin.de

* Aus: junge Welt, 17. Mai 2008


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