Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Weiterer Paukenschlag in Nahost

Mögliche Zugeständnisse Netanjahus vor Verhandlungen sorgen in Israel für politische Irritationen

Von Benjamin Rosendahl, Tel Aviv *

Öffentlich zugeben will Israels Premier Netanjahu es nicht. Aber auch so ist die Kritik aus der Regierung am Einfrieren des Siedlungsbaus groß. Doch für einen neuen Friedensprozess ist Netanjahu zu weiteren Schritten bereit. Palästinensische Gefangene sollen freigelassen werden.

Noch hält sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bedeckt. Dabei hat er laut der israelischen Nachrichtenseite Ynet einiges zu erzählen. Diese zitiert eine palästinensische Quelle und berichtet, Netanjahu habe dem US-amerikanischen Außenminister John Kerry in einem Telefonat angeboten, den Siedlungsbau einzufrieren. Eine öffentliche Bestätigung gebe es aber nicht.

Damit wäre die rechtsgerichtete Regierung Israels vor vollendete Tatsachen gestellt. Zudem wäre Netanjahu, so die Quelle, die außer bei Ynet auch im US-amerikanischen »Wall Street Journal« zitiert wurde, bereit, palästinensische Gefangene bereits vor neuen Friedensverhandlungen freizulassen. Einschließlich einiger, die bereits seit 30 Jahren in israelischer Haft sitzen.

Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira bestätigt diese Bereitschaft und beruft sich dabei auf den israelischen Minister für Strategiefragen, Juval Steinitz.

Diese überraschende Bereitschaft für eine Erneuerung der Friedensverhandlungen und zu konkreten Schritten gegen die Siedlungen ist wohl auch eine Reaktion Netanjahus auf einen Beschluss der Europäischen Union. Die EU hatte vergangene Woche entschieden, die Finanzierung für sämtliche israelischen Projekte, die in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten liegen, zu beenden. Netanjahu und die meisten Regierungsmitglieder hatten zunächst gegen diese Entscheidung der Europäer protestiert.

Die gewünschte Geheimhaltung von Netanjahus Absichten war nicht von langer Dauer. Allerdings sagte der Sprecher der israelischen Regierung, Mark Regev, er könne diese Berichte »weder bestätigen noch dementieren«.

Die Reaktionen der Gegner in den eigenen Reihen ließen aber nicht lange auf sich warten.

So meinte der stellvertretende Verteidigungsminister Danny Danon (wie Netanjahu von der Likud-Partei) gegenüber Ynet, dass es unmöglich sei, zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren. Auch wäre es ein Fehler, die Ungerechtigkeit des Rückzugs aus dem Gaza-Streifen 2005 zu wiederholen und Tausende Juden von ihrer Heimat zu entwurzeln.

Miri Regev, ebenfalls vom Likud, forderte Netanjahu auf, seine Intentionen offenzulegen statt Geheimdiplomatie zu betreiben.

Bereits am Freitag wurde Wirtschaftsminister Naftali Bennet in der israelischen »Haaretz« mit den Worten zitiert, die EU-Entscheidung sei »Wirtschaftsterror«. Seine Partei HaBajit haJehudi ist strikt gegen eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern. Sie stellt auch das Wohnungsministerium, das den Siedlungsbau vorantreibt.

Diese Stimmen repräsentieren die Mehrheit in der israelischen Regierung. Lediglich die kleine Fraktion von Hatnua unterstützt Friedensverhandlungen mit den Palästinensern öffentlich: Sie stellt jedoch lediglich zwei Minister.

Von Jesch Atid, der Überraschung der jüngsten Wahlen, gab es bis dato noch keine Kommentare. Außenpolitik ist in der Partei um Finanzminister Jair Lapid aber sowie beinahe ein Tabuthema.

Unterstützung bekam Ministerpräsident Netanjahu unterdessen von der politischen Opposition: So gab die Vorsitzende der Arbeitspartei, Sheli Jechimowitz, gegenüber dem zweiten israelischen Fernsehen bekannt, dass ihre Partei zwar nicht in die Regierung eintreten, sie aber von der Opposition aus bei Friedensverhandlungen mit ihren Stimmen unterstützen würde.

* Aus: neues deutschland, Montag, 22. Juli 2013


Kerrys Sieg

Abbas gibt dem Druck der arabischen Monarchien nach und stimmt »direkten Verhandlungen« mit Israel zu

Von Knut Mellenthin **


In nächster Zeit, vielleicht schon in dieser Woche, sollen in Washington »direkte Verhandlungen über eine endgültige Regelung« zwischen Israel und der Palästinenserführung beginnen. Das gab John Kerry am Freitag abend in Amman bekannt. Der US-Außenminister hatte seinen Aufenthalt in der jordanischen Hauptstadt überraschend noch einmal verlängert und sich am Nachmittag zu einem weiteren Treffen mit Präsident Mahmud Abbas nach Ramallah fliegen lassen. Dieser stimmte unter dem Druck der von den reaktionären Monarchien beherrschten Arabischen Liga schließlich der Verhandlungsaufnahme zu. Noch am Donnerstag abend hatten seine eigene Organisation, die Fatah, und das Exekutivkomitee der PLO eine Entscheidung bis zur Klärung offener Fragen, insbesondere nach der Verhandlungsgrundlage, vertagt. Mit welcher Legitimation Abbas, dessen reguläre Amtszeit als Präsident schon seit Januar 2009 abgelaufen ist, am Freitag trotzdem den Verhandlungen zustimmte, war auch am Sonntag immer noch unklar.

Die direkten Gespräche wurden vor über zwei Jahren abgebrochen. Die PLO hatte eine Wiederaufnahme bisher davon abhängig gemacht, daß die Verhandlungen »auf Grundlage der Grenzen von 1967« geführt werden müßten. Das hat die israelische Regierung immer wieder kategorisch abgelehnt und statt dessen auf »Verhandlungen ohne Vorbedingungen« bestanden. Anonyme Personen, bei denen es sich angeblich um palästinensische »officials« handeln soll, behaupten gegenüber den Medien, daß Israel dem Prinzip der 1967er Grenzen nun doch zugestimmt habe und daß Kerry eine »persönliche Garantie« dafür abgegeben habe. Außerdem habe Israel »sich stillschweigend verpflichtet«, auf weitere Bautätigkeit in den besetzten Gebieten zu verzichten.

Israelische Regierungspolitiker, darunter Verteidigungsminister Mosche Jaalon, erklären dagegen triumphierend, daß Israel sich mit der Forderung nach »Verhandlungen ohne Vorbedingungen« durchgesetzt habe. Premier Benjamin Netanjahu hatte schon am Donnerstag dementieren lassen, daß er zu Gesprächen »auf Grundlage der 1967er Grenzen« bereit sei. Außerdem hat die rechtsextreme Partei Bajit Jehudi für diesen Fall ihren Austritt aus der Regierungskoalition angekündigt.

In seinem Statement vor der internationalen Presse teilte Kerry am Freitag in Amman mit, beide Seiten hätten sich mit ihm verständigt, daß nur er selbst offizielle Erklärungen über den Gang der Verhandlungen abgeben dürfe. Die Gespräche sollen »privat«, das heißt ohne die geringste Transparenz nach außen, geführt werden, sagte der Außenminister. Das sei »der allerbeste Weg«, Zeit und Raum für das Erreichen von Ergebnissen zu gewinnen. In der Realität führt dieses Vorgehen allerdings, wie jetzt schon deutlich ist, zum Blühen widersprüchlicher Gerüchte. Statt durch eine nachvollziehbare Debatte Verständnis für vielleicht mögliche Kompromisse zu schaffen, wird in der Öffentlichkeit beider Seiten von Anfang an Mißtrauen geschürt.

Um Abbas ein Argument für die Verhandlungsaufnahme an die Hand zu geben, wurde anscheinend intern die Freilassung einer unbekannten Zahl von Gefangenen aus israelischer Haft vereinbart. Während die anonymen palästinensischen »officials« verbreiten, es werde sich um 350 Personen handeln, sprach Israels zuständiger Minister Juwal Steinitz nur unbestimmt von »einigen Gefangenen«, die »schrittweise« entlassen werden sollen. Er machte aber gleichzeitig deutlich, daß dies erst dann und nur in dem Umfang geschehen werde, wie die Gegenseite »ihren Willen zu ernsthaften Verhandlungen unter Beweis stellt«.

Auf palästinensischer Seite wird das Einlenken von Abbas vorhandene politische Gräben vertiefen. Die fundamentalistische Hamas, die den Gazastreifen beherrscht, erklärte, daß Abbas dafür keine Legitimation habe. »Die Wiederaufnahme der Gespräche dient der Besatzung und gibt ihr ein Alibi für die Ausdehnung der Besiedlung.«

** Aus: junge Welt, Montag, 22. Juli 2013

Lesen Sie auch:

Die Europäische Union redet Klartext - Israel reagiert empört ...
... und kontert mit Verhandlungsangebot. Von Peter Strutynski (23. Juli 2013)




Zurück zur Israel-Seite

Zur Palästina-Seite

Zur Nahost-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage