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Nach den Verhandlungen von Camp David

Kaum Chancen auf Frieden im Nahen Osten

Der folgende Text wurde Ende Juli verfasst. Inzwischen wurden die Nahost-Verhandlungen wieder aufgenommen - allerdings nicht auf höchster Ebene, aber doch auch wieder unter US-Beteiligung. Dennoch stehen die Chancen auf eine baldige Friedensregelung nicht gut. Auch Arafat wird auf die Ausrufung eines eigenen Staates weiter warten müssen, nachdem ihm die internationale Unterstützung hierfür weitgehend versagt bleibt. Noam Chomsky beleuchtet die Verhandlungen, denen er das Wort "Friedensverhandlungen" verweigert, aus gewohnt kritischer Sicht. Er erwähnt Beispiele, bei denen allein schon die Beteiligung der USA an einem "Friedensprozess" Anlass zur Sorge um den Frieden geben sollten. Diese Sorge ist auch im Falle von Camp David-2 und seiner jetzigen Fortsetzung nicht von der Hand zu weisen.

Israel-Palästina: Aussichten des «Friedensprozesses»

Von Noam Chomsky

Die AP-Meldung aus Camp David vom Abend des 25. Juli beginnt mit den Worten: «Die Nahost-Friedensgespräche in Camp David scheiterten am Dienstag an den konkurrierenden Ansprüchen auf Ost-Jerusalem. Präsident Clinton sagte enttäuscht, er habe verschiedene Ansätze versucht, doch sei es ihm nicht gelungen, eine Lösung zu finden.» Clinton gab der Hoffnung Ausdruck, dass der Prozess bis zur Lösung der Schlüsselfrage Ost-Jerusalem weitergehen werde.

Um zu verstehen, was da vor sich geht, hilft es, ein paar Schritte zurückzutreten und das unmittelbare Geschehen in einer etwas größeren Perspektive zu betrachten. Bei jeglicher Diskussion über einen sogenannten «Friedensprozess» - ob nun den von Camp David oder irgendeinen anderen - sollte die operative Bedeutung des Begriffs im Auge behalten werden: ein «Friedensprozess» ist per definitionem das, was die US-Regierung betreibt.

Hat man dieses Grundprinzip einmal begriffen, versteht man, dass ein Friedensprozess auch durch offen bekundete Bemühungen Washingtons befördert werden kann, den Frieden zu unterminieren. So berichtete im Januar 1988 die Presse über die «Friedensfahrt» des damaligen US-Außenministers George Shultz nach Mittelamerika unter der Schlagzeile: «Shultz plant lateinamerikanische Friedensfahrt». Die Unterzeile erklärte das Ziel: «Ein letzter verzweifelter Versuch, den Widerstand gegen Hilfe für die Contras zu brechen». Vertreter der Administration betonten, dass die «Friedensmission» «die einzige Möglichkeit» sei, die Contra-Hilfe angesichts «wachsender Opposition im Kongress» zu retten.

Das Timing ist bedeutsam. Im August 1987 war es den Präsidenten der mittelamerikanischen Staaten gelungen, eine friedliche Lösung für die erbitterten Konflikte in der Region zu finden: die Übereinkunft von Esquipulas. Die USA wurden sofort tätig, um sie zu untergraben, was ihnen bis Januar dann auch weitgehend gelungen war. Sie hatten den einzigen von der Übereinkunft «unentbehrlich» genannten Vertragsbestandteil gekippt: die Beendigung der US-amerikanischen Unterstützung für die Contras (die CIA-Hilfsflüge wurden sofort verdreifacht und der Contra-Terror nahm zu). Washington hatte auch das zweite Grundprinzip der Übereinkunft beseitigt: dass nämlich die Menschenrechtsregelungen für die US-Satelliten ebenso gelten sollten wie für Nicaragua (nach US-Gebot waren sie nur auf Nicaragua anzuwenden). Desgleichen war es Washington gelungen, die geschmähte internationale Beobachtermission zu beenden, die das Verbrechen begangen hatte, wahrheitsgemäß zu beschreiben, was seit der Annahme des Plans im August geschehen war. Zur Verblüffung der Reagan-Administration akzeptierte Nicaragua dennoch die unter dem Druck der USA zustande gekommene Version der Übereinkunft - was dann zu Shultz' «Friedensmission» führte; sie sollte den «Friedensprozess» fördern, indem sie dafür sorgte, dass sich niemand an dem Zerstörungswerk versündigen würde.

Kurz, die «Friedensmission» war ein «letzter verzweifelter Versuch», den Frieden zu blockieren und den Kongress für die Unterstützung jener «rechtswidrigen Gewaltanwendung» zu mobilisieren, deretwegen die USA kurz zuvor vom Internationalen Gerichtshof verurteilt worden waren. Der «Friedensprozess» im Nahen Osten nahm einen ähnlichen, obgleich noch extremeren Verlauf. Seit 1971 stehen die USA in der internationalen Arena als die buchstäblich Einzigen da, die eine diplomatische Verhandlungslösung des israelisch-palästinensischen Konflikts blockieren: der «Friedensprozess» ist die Chronik dieser Entwicklung. Lassen wir die wesentlichen Punkte kurz Revue passieren. Im November 1967 nahm der UN-Sicherheitsrat auf US-Initiative hin die «Land für Frieden»-Resolution 242 an. UN 242 verlangte nach dem ausdrücklichen Verständnis der USA und der anderen Signatarmächten eine volle Friedenslösung auf der Grundlage der vor dem Juni 1967 bestehenden Grenzen, mit allenfalls kleineren und wechselseitigen Korrekturen und ohne Zugeständnisse an die Palästinenser. Als Ägyptens Präsident Sadat die offizielle US-Position im Februar 1971 akzeptierte, revidierte Washington UN 242 insofern, als die Resolution jetzt nur noch einen Teilrückzug der Israelis nach Gutdünken der USA und Israels bedeuten sollte. Diese einseitige Revision ist das, was heute «Land für Frieden» genannt wird - Ausdruck der Macht der USA auf dem Gebiet von Doktrin und Ideologie.

In der eingangs zitierten AP-Meldung zum Scheitern der Camp-David-Verhandlungen heißt es, die offizielle Abschlusserklärung habe, «als eine Geste gegenüber Arafat», betont, «der einzige Weg zum Frieden seien die vom UN-Sicherheitsrat nach den Nahostkriegen 1967 und 1973 angenommenen Resolutionen. Diese fordern Israel auf, im Austausch für sichere Grenzen auf den Arabern abgenommene Gebiete zu verzichten.» Die Resolution von 1967 ist UN 242, die den vollen Rückzug der Israelis bei allenfalls kleineren und wechselseitigen Grenzkorrekturen fordert; die Resolution von 1973 bestätigt lediglich unverändert UN 242. Doch die Bedeutung von UN 242 hat sich aufgrund der Washingtoner Diktate seit Februar 1971 grundlegend verändert.

Sadat warnte, die Ablehnung von UN 242 durch die USA und Israel würde zum Krieg führen. Aus Überheblichkeit und ihres Rassismus wegen nahmen, was später in Israel scharf verurteilt wurde, weder die USA noch Israel ihn ernst. Ägypten zog im Oktober 1973 in den Krieg. Er brachte Israel an den Rand der Katastrophe, und die Welt gleich mit: ein nuklearer Schlagabtausch war zum Greifen nahe. Der Krieg von 1973 machte selbst Henry Kissinger klar, dass Ägypten kein hilfloser Krüppel war, über den man einfach hinweggehen konnte. So griff Washington zu der gängigen Doppelstrategie: Ägypten wurde aus dem Konflikt herausgenommen, so dass Israel mit wachsender US-Unterstützung sich daran machen konnte, die besetzten Gebiete zu annektieren und Libanon anzugreifen. Dieses Ergebnis wurde in Camp David 1978 erreicht und seither stets als der Höhepunkt des «Friedensprozesses» gefeiert.

Währenddessen legten die USA ihr Veto ein gegen alle Sicherheitsratsresolutionen, die unter Berücksichtigung von UN 242, jetzt aber auch palästinensischer Rechte eine diplomatische Konfliktlösung verlangten. Sie stimmten - zusammen mit Israel und manchmal dem einen oder anderen Satellitenstaat - gegen ähnliche Resolutionen der UNO-Vollversammlung und blockierten im Übrigen alle Bemühungen um eine friedliche Konfliktlösung seitens Europas, der arabischen Staaten oder der PLO. Diese hartnäckige Ablehnung einer diplomatischen Lösung ist der «Friedensprozess». Die wirklichen Tatsachen werden von den Medien seit langem tabuisiert und wurden sogar den Gelehrten weitgehend vorenthalten, aber sie lassen sich unschwer entdecken. Nach dem Golfkrieg waren die USA schließlich in der Lage, ihren einseitigen Ablehnungsstandpunkt durchzusetzen, und sie taten dies auch: zuerst in Madrid Ende 1991, dann in den Abkommen zwischen Israel und der PLO ab 1993. Damit war der «Friedensprozess» endlich bei den Bantustan-artigen Regelungen angekommen, welche die USA und Israel wünschten. Soviel müsste jedem, der die Augen offen hält, klar geworden sein, und von den Akten sowie, wichtiger noch, von der Wirklichkeit wird es eindeutig belegt. Das führt uns zum heutigen Stand: Camp David, Juli 2000.

Während der mehrwöchigen Beratungen wurde stets berichtet, Jerusalem sei der wesentliche Stolperstein. Der Abschlussbericht wiederholt diese Behauptung. Sie ist nicht falsch, aber doch etwas irreführend. Es wurden «kreative» Lösungen vorgeschlagen, um eine symbolische palästinensische Autorität in Jerusalem - bzw. in Al-Quds, wie die Stadt auf arabisch heißt - zu ermöglichen. Darunter die palästinensische Verwaltung arabischer Viertel (was Israel, wenn vernünftig, vorziehen würde), bestimmte Regelungen für islamische und christliche heilige Stätten und eine palästinensische Hauptstadt in dem Dorf Abu Dis bei Jerusalem, das man dann mit etwas Trickserei in Al-Quds umbenennen könnte. Ein solches Bemühen hätte gelingen können, und könnte immer noch gelingen. Doch ein weit schwierigeres Problem taucht auf, sobald wir eine grundlegende Frage stellen: Was ist Jerusalem?

Als Israel im Juni 1967 die Westbank eroberte, annektierte es Jerusalem - auf nicht gerade höfliche Art; so wurde beispielsweise erst vor kurzem in Israel enthüllt, dass die Zerstörung des arabischen Mughrabi-Viertels nahe der Klagemauer am 10. Juni in solcher Hast erfolgte, dass eine unbekannte Anzahl von Palästinensern in den Ruinen begraben wurde, welche die Bulldozer hinterließen.

Israel verdreifachte rasch das Gebiet der Stadt. Die folgenden Entwicklungsprogramme, wie sie fast unterschiedslos von allen Regierungen betrieben wurden, zielten darauf ab, die Grenzen von «Groß-Jerusalem» noch wesentlich weiter auszudehnen. Heutige israelische Karten sprechen eine deutliche Sprache. Am 28. Juni veröffentliche die führende israelische Tageszeitung Ha'aretz eine Karte, die «Israels Vorschlag für die dauerhafte Ansiedlung» detailliert darlegt. Er ist buchstäblich identisch mit der «Karte für den endgültigen Status», den die Regierung einen Monat zuvor vorgelegt hatte. Das Gebiet, das um das stark erweiterte «Jerusalem» herum annektiert werden soll, dehnt sich in alle Richtungen aus. Im Norden reicht es deutlich über Ramallah, und im Süden deutlich über Bethlehem hinaus, die beiden größeren benachbarten palästinensischen Städte. Diese sollen unter palästinensischer Kontrolle bleiben, aber an israelisches Gebiet grenzen und im Fall Ramallahs auch im Osten von palästinensischem Gebiet abgeschnitten sein. Wie das gesamte palästinensische Gebiet sind beide Städte von Jerusalem, dem Zentrum des Lebens in der West Bank, durch von Israel annektierte Territorien getrennt. Im Osten umfasst das Annexionsgebiet die rasch wachsende israelische Stadt Ma'ale Adumim und erstreckt sich weiter bis nach Vered Jericho, eine kleine Siedlung, die an die Stadt Jericho grenzt. Der Korridor reicht bis zur jordanischen Grenze. Die ganze Grenze zu Jordanien soll, zusammen mit dem «Jerusalem»-Korridor, der die Westbank teilt, an Israel fallen. Ein weiterer Korridor, der weiter nördlich annektiert werden soll, erzwingt faktisch eine zweite Teilung.

Die intensiven Bau- und Siedlungsprojekte der vergangenen Jahre zielten darauf ab, «Fakten zu schaffen», die zu dieser «Dauerbesiedlung» führen sollten. Das war das offenkundige Anliegen aller Regierungen seit dem ersten «Oslo-Abkommen» im September 1993. Entgegen vielen Kommentaren widmeten sich die offiziellen Tauben (Rabin, Peres, Barak) diesem Projekt mit mindestens ebenso großer Hingabe wie der viel geschmähte Binyamin Netanyahu, auch wenn sie dieses Projekt unter weniger Protest verfolgen konnten; eine vertraute Geschichte, auch hier. Im Februar dieses Jahres berichtete die israelische Presse, dass sich die Zahl der Neubauten zwischen 1998 (Netanyahu) und dem laufenden Jahr (Barak) um fast ein Drittel erhöht hat. Eine Untersuchung des israelischen Korrespondenten Nadav Shagrai enthüllt, dass nur ein kleiner Teil des Landes, das den Siedlungen zugeschlagen wird, tatsächlich für landwirtschaftliche oder andere Zecke genutzt wird. Im Fall Ma'ale Adumims zum Beispiel ist die zugeteilte Fläche 16 Mal so groß wie die tatsächlich genutzte, und ähnliche Verhältnisse gelten anderswo. Palästinensische Klagen vor dem Obersten Gericht Israels gegen die Expansion von Ma'ale Adumim wurden abgewiesen. Ein Oberster Richter erklärte bei der Abweisung einer Klage im letzten November, dass «die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung von Ma'ale Adumim», die die Westbank tatsächlich teilt, «den Bewohnern der [palästinensischen] Nachbardörfer ja wohl etliche Vorteile brächte». Durchgeführt wurden diese Projekte mit großzügiger Unterstützung durch die amerikanischen Steuerzahler, wobei der Umstand, dass US-Hilfe für diese Zwecke offiziell nicht zulässig ist, dank einer Reihe «kreativer» Kunstgriffe umgangen wurde.

Das beabsichtigte Ergebnis ist, dass ein künftiger palästinensischer Staat aus vier Bezirken bestehen würde: (1) Jericho, (2) der Südbezirk, der bis Abu Dis, dem neuen arabischen «Jerusalem», reichen würde, (3) ein Nordbezirk mit den palästinensischen Städten Nablus, Jenin und Tulkarm und (4) ein Zentralbezirk mit Ramallah. Die Bezirke sollen völlig von israelisch annektiertem Territorium umgeben sein. Die Gebiete, in denen sich die palästinensische Bevölkerung konzentriert, sollen unter palästinensische Verwaltung gestellt werden; so wird das traditionelle Kolonialmuster übernommen, in den Augen Israels und der USA die einzig vernünftige Lösung. Die Pläne für den Gaza-Streifen, einen fünften Bezirk, sind noch ungewiss: vielleicht verzichtet Israel auf ihn, vielleicht behält es auch die südliche Küstenregion und noch einen Korridor und teilt so den Streifen unterhalb der Stadt Gaza.

Diese Konturen stimmen überein mit den Vorschlägen, die seit 1968 gemacht wurden, als Israel den «Allon-Plan» annahm, der zwar nie formell vorgelegt wurde, aber offenkundig darauf abzielte, 40 Prozent der Westbank zu Israel zu schlagen. Seither wurden von dem ultrarechten General Sharon, der Arbeitspartei und anderen immer wieder spezifische Pläne vorgelegt, die sich konzeptionell ziemlich ähnlich sind. Ihr Grundprinzip ist stets, dass das nutzbare Land in der Westbank und die entscheidenden Ressourcen (vor allem Wasser) unter israelischer Kontrolle bleiben, während die Bevölkerung von einem palästinensischen Satellitenregime kontrolliert werden soll, das man sich korrupt, barbarisch und willfährig erhofft. Die palästinensisch verwalteten Bezirke können die israelische Wirtschaft dann mit billigen und leicht ausbeutbaren Arbeitskräften versorgen. Oder die Bevölkerung wird auf längere Sicht, in Übereinstimmung mit lang gehegten Hoffnungen, vielleicht auch auf diese oder jene Art anderswohin «transferiert».

Man kann sich «kreative» Schemata zur Lösung des Problems der heiligen Stätten und der Verwaltung der Palästinenserviertel Jerusalems vorstellen. Doch die wirklich grundlegenden Probleme sind andere. Ob sie sich überhaupt vernünftig lösen lassen innerhalb des nationalstaatlichen Gefüges, das die Eroberungszüge und die Herrschaft des Westens einem Großteil der Welt aufgezwungen haben und das innerhalb Europas selbst Jahrhunderte lang mörderische Folgen zeitigte - von den bis heute fühlbaren Auswirkungen in andern Erdteilen ganz zu schweigen -, ist ganz und gar nicht ausgemacht.
Aus: ZNet-Kommentar vom 27. Juli. Aus dem Englischen übersetzt von Hermann Kopp.

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