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Der Zug ist abgefahren: Israel hat seine Chancen verspielt

Ein Reisebericht aus Nahost

von Judith Bernstein *

Das Gefühl, im Nahen Osten angekommen zu sein, begann und endete für mich am Münchner Flughafen.

Beim Abflug im April musste ich mich in einer geschlossenen Kabine entkleiden und geschlagene 45 Minuten warten, weil meine Handtasche angeblich „Sprengstoffspuren“ aufweise. Mir wurden mein deutsches und mein israelisches Mobiltelefon abgenommen (und wahrscheinlich mit allen Daten kopiert). Beim Rückflug aus Tel Aviv musste ich feststellen, dass mein Koffer nach der routinemäßigen Überprüfung auf dem Weg vom Schalter zur ElAl- Maschine einer erneuten Kontrolle unterzogen wurde – und in München auch nach vier Tagen nicht ankam.

Wie kaum zuvor empfand ich diese Reise noch bedrückender als in der Vergangenheit.

Auf israelischer Seite scheinen Chaos und Hysterie weiter gewachsen zu sein. Statt Logik und Recht – Willkür, Apathie und Gleichgültigkeit, ob an den Checkpoints, in Ost-Jerusalem oder am Flughafen. Von ihnen sind in erster Linie die Palästinenser betroffen, mittlerweile aber auch politisch links stehende Israelis und seit kurzem Flüchtlinge aus Afrika. Säkulare Israelis haben keine Chance gegenüber den Nationalisten, den Siedlern und orthodoxen Juden. Während die israelische Regierung nach dem Eintritt von „Kadima“ mit nunmehr 94 der 120 Abgeordneten im Rücken fester den je im Sattel sitzt, müssen die Friedensgruppen einräumen, dass ihre und unsere jahrelangen Bemühungen, zu einer Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern beizutragen, zu gar nichts geführt haben. Der Dialog zwischen palästinensischen und israelischen Friedensgruppen ist fast zum Erliegen gekommen.

Dagegen feiern die Siedler ihren großen Sieg in der Westbank und vor allem in Ost-Jerusalem. Dort gibt es kaum noch ein arabisches Viertel ohne Siedler, während der Haus- und Wohnungsbau für Palästinenser so gut wie brachliegt, die Bevölkerung immer ärmer wird und die Hoffnung auf eine Hauptstadt für einen Staat Palästina von Tag zu Tag schwindet.

Auf palästinensischer Seite sind mir verschiedene Gruppen begegnet. Die einen, die seit drei Generationen nur die Besatzung kennen, haben vollkommen resigniert. Andere suchen ihr Heil in der Religion. Und doch gibt es eine wachsende Zahl derer, die der israelischen Besatzung trotzen, die sich entschieden haben, weder auf die arabischen Regierungen noch auf den Westen zu warten. Sie nehmen ihr Leben selbst in die Hand, ignorieren Israel – soweit das möglich ist –, ermöglichen ihren Kindern eine gute Ausbildung und feiern ihre Feste. Lasst uns mit Projekten in Ruhe, lautete die Botschaft eines bekannten Palästinensers. Sie machen uns zu Bittstellern, fördert die Korruption unter uns und vertieft unsere Abhängigkeit. Helft uns lieber, dass die Besatzung aufhört, damit wir für uns selber sorgen können. Wir brauchen endlich eine politische Lösung statt der dauernden Finanztransfers aus dem Ausland.

Während in der deutschen Politik noch an der Zwei-Staaten-Lösung festgehalten wird, diskutieren die Palästinenser immer häufiger über 1948, über einen Staat Palästina zwischen Mittelmeer und Jordan mit einer jüdischen Minderheit. Sie wollen mit den Israelis nichts mehr zu tun haben. Zu dieser traurigen Tatsache haben sowohl die Israelis von heute beigetragen, die sich weder mit der Flucht und Vertreibung von 750.000 Arabern und der Zerstörung ihrer Dörfer, noch mit der Siedlungsgeschichte seit 1967 befassen wollen.

Mit seiner falschen Rücksichtnahme auf die israelische Politik hat es der Westen versäumt, die Regierenden in Jerusalem auf eine vernünftige Politik zu verpflichten. Persönlich ist mir nicht klar, wieso die internationale Staatengemeinschaft die tägliche Verletzung der schließlich auch für die Palästinenser gültigen Menschenrechte rund um die Trennungsmauern, die Siedlungen und die Checkpoints zulässt.

Ein älterer Palästinenser hat mir seine Verzweiflung wie folgt zum Ausdruck gebracht: „Wir hätten mit den Israelis leben können, aber sie behandeln uns wie Tiere. Sie bestimmen unser tägliches Leben, und es gibt niemand bei uns, der unter ihnen nicht leidet. Deshalb hasse ich sie so sehr, dass ich mir wünsche, der Iran möge sie angreifen, auch wenn wir Palästinenser dabei draufgehen.“ Ich war schockiert. Als er erfuhr, dass ich in Jerusalem geboren bin, sagte er zu meinem Mann: „Ihre Frau ist die erste Jüdin, die mir überhaupt zuhört und mir mit Respekt begegnet.“ Soll ich darauf stolz sein? Nein, es hat mich traurig gestimmt. Die Israelis sind mehrheitlich so blind, dass sie nicht sehen wollen, was sie sich, ihren Kindern und Enkeln antun.

Sosehr ich den Palästinensern wünsche, dass sie ihr Leben in Frieden und Freiheit selbst gestalten können, so sehr blicke ich in die Zukunft Israels mit großer Skepsis.

* Manuskript Abgeschlossen am 03. Juni 2012.
Veröffentlicht auf der Website: www.judith-bernstein.de



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