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Zwangsausweisung nach Gaza

Neuer Erlass Israels über "illegalen" Aufenthalt im Westjordanland

Die israelischen Behörden haben einen palästinensischen Gefangenen in den Gaza-Streifen ausgewiesen, statt ihn im Westjordanland freizulassen, wo er und seine Familie leben.

Der 40-jährige Gefangene Ahmed Sabah weigerte sich am Mittwoch (21. April), den Übergang Eres zu verlassen. Nach Angaben des palästinensischen Ministers Issa Karaki wurde Sabah im Rahmen eines neuen umstrittenen Militärerlasses deportiert, der die Ausweisung von Palästinensern aus dem Westjordanland ermöglicht, wenn sie im von der Hamas kontrollierten Gaza-Streifen geboren wurden oder auf ihrem Ausweis eine dortige Adresse vermerkt ist.

»Das ist unmenschlich, Sabah verbindet nichts mit dem Gazastreifen, er hat dort keine Angehörigen, keine Freunde, nichts«, sagte Karaki, der in der Regierung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas für Häftlingsangelegenheiten zuständig ist. Das israelische Militär nahm zu den Vorwürfen zunächst keine Stellung. Die israelische Zeitung »Haaretz« hatte vor einigen Tagen über den neuen Erlass berichtet. Ihren Informationen zufolge ermöglicht das Dekret die Ausweisung von Palästinensern, die sich nach israelischer Sicht »illegal« im Westjordanland aufhalten. Theoretisch wären laut dem Blatt Zehntausende Palästinenser davon betroffen. Ein Armeesprecher wies diese Angaben damals zurück, nach seiner Aussage fallen nur »ganz wenige« Palästinenser unter den Erlass. Wie Sabahs Angehörige berichteten, wurde er in Jordanien geboren und lebt mit seiner Frau und seiner Familie in Tulkarem im Westjordanland. Sein Ausweis jedoch wurde im Gaza-Streifen ausgestellt.

Unterdessen hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die US-Forderung nach einem Siedlungsstopp im arabischen Ostteil Jerusalems erneut zurückgewiesen. Die US-Zeitung »Wall Street Journal« berichtete am Donnerstag, Netanjahu habe dies dem Weißen Haus mitgeteilt. Die Palästinenser wollen die Friedensgespräche mit Israel nur fortsetzen, wenn alle israelischen Bauaktivitäten in Ostjerusalem gestoppt werden. Der Streit über den Bau in Ostjerusalem belastet die Beziehung Israels mit den USA stark. Netanjahu war im März im Weißen Haus mit US-Präsident Barack Obama zusammengetroffen. Nach Medienberichten forderte Obama dabei einen Baustopp sowie weitere Gesten Israels an die Palästinenser. Nach Informationen des »Wall Street Journal« ist Netanjahu zu einer Reihe von Konzessionen bereit, darunter die Freilassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen, eine Erleichterung des Warentransports in den blockierten Gaza-Streifen sowie der Abbau von Militärsperren im Westjordanland.

Auch bei einem Gespräch mit dem US-Sender ABC hatte Netanjahu einen Baustopp in jüdischen Vierteln in Ostjerusalem abgelehnt. Der US-Gesandte George Mitchell wird nächste Woche in der Region erwartet.

* Neues Deutschland, 23. April 2010


"Freiheits"-Strafe

Von Roland Etzel **

Kann man jemanden mit Freilassung bestrafen? Das israelische Militär schafft es. Es entließ am Mittwoch den Palästinenser Ahmed Sabah aus der Haft. Ob die Strafe verbüßt war oder er amnestiert wurde – wir wissen es nicht; nicht einmal, weshalb er ins Gefängnis kam und ob dies rechtens war. Aber eines wissen wir: Spätestens jetzt geschieht ihm Unrecht, schreiendes Unrecht.

Denn der israelische Staat »entlässt« ihn in den Gaza-Streifen, wo er nicht geboren ist, nie gewohnt hat und seine Familie nicht ist – allein deshalb, weil sein palästinensischer Pass einen Gaza-Stempel trägt. Warum dies so ist, wissen wir auch nicht. Was wir allerdings wissen, ist, dass dieser Umstand kaum jemanden etwas angeht, allenfalls Herrn Sabah, auf keinen Fall aber israelische Behörden. Und eines wiederum weiß jeder Mensch in der Region: dass der Gaza-Streifen infolge israelisch-ägyptischer Abriegelung in dem makabren Rufe steht, das größte Freiluftgefängnis des Nahen Ostens zu sein. Nun auch für Sabah.

Warum tut der israelische Staat so etwas? Man findet keine vernünftige Erklärung. Es scheint fast so, als triebe ihn die Sorge um, der Hass, den Palästinenser auf ihn hegen, könne durch einfache Freilassung eines Gefangenen eine Winzigkeit kleiner werden. Laut der Zeitung »Haaretz« wolle Israel dafür sorgen, dass Gaza-Palästinenser sich nicht unberechtigt im Westjordanland aufhalten. Dieser Satz enthält mehrere Unverschämtheiten. Nur soviel sei ihm entgegnet: Es halten sich derzeit sehr viele Personen widerrechtlich im Westjordanland auf; am allermeisten sogenannte israelische Siedler und das sie schützende Militär.

** Neues Deutschland, 23. April 2010 (Kommentar)

Protest der IPPNW

Gegen die neuen Aufenthaltsregelungen der israelischen Regierung, denen der in dem Artikel genannte Palästinenser zum Opfer gefallen ist, protestierte bereits vorher die Ärzteorganisation IPPNW. Wir dokumentieren im Folgenden den Offenen Brief ihrer Vorsitzenden an Bundeskanzlerin Merkel.

Offener Brief: Neue israelische Aufenthaltsregelungen für das Westjordanland

Berlin, 15. April 2010

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

am 13. April 2010 sind die Änderungen zweier israelischer Militärverordnungen in Kraft getreten. Die geänderten Verordnungen "Prevention of Infiltration" und "Security Provisions" definieren u.a. den Begriff "Infiltrant" neu. "Infiltrant" erfasst jetzt jede Person, die sich in der Westbank aufhält und keine "Erlaubnis" besitzt. Zugleich geben die Militärverordnungen nicht an, was diese "Erlaubnis" ist. Damit werden unter die neue Regelung alle jene Palästinenser und Palästinenserinnen fallen, die keine israelische "Erlaubnis" besitzen, weil sie auch vorher nicht im Besitz einer solchen waren, zum Teil aber schon Jahrelang dort leben.

Die friedenspolitische Ärzteorganisation IPPNW befürchtet, dass es im Westjordanland aufgrund der Neuregelungen zu weiteren zahlreichen Verhaftungen und Ausweisungen von Palästinensern und Palästinenserinnen durch die israelische Armee kommen wird. Die Neuregelungen betreffen z.B. auch Ausländer, die legal ins Westjordanland gekommen sind und dort geheiratet haben. Weiterhin berührt es Palästinenser, die für ein Studium ins Ausland gegangen sind und denen Israel in der Folge ihre Aufenthaltserlaubnis entzogen hat. Oder es tangiert diejenigen, die in den 1970er und 1980er Jahren ausgewiesen wurden und später im Zuge der Familienzusammenführung legal zurück gekommen sind. Von den neuen Regelungen könnten nach Angaben von Elad Cahana, Anwalt einer israelisch-palästinensischen Menschenrechtsorganisation, zehntausende Palästinenser betroffen sein.

Die IPPNW appelliert an Sie, Frau Merkel, sich gegenüber der israelischen Regierung für die Rücknahme der Verordnungen einzusetzen. Laut internationalem Recht sind israelische Gesetze im Westjordanland nicht anzuwenden, da es sich um besetztes Gebiet handelt. Als engstem Verbündeten Israels fällt Deutschland die besondere Verantwortung zu, die israelische Regierung auf mögliche Völkerrechtsverletzungen hinzuweisen und vor Handlungen zu bewahren, die den Friedensprozess im Nahen Osten gefährden könnten.

Wir bitten darum, uns mitzuteilen, was Sie in dieser Angelegenheit unternehmen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angelika Claußen
Für den Vorstand der IPPNW



Independent UN rights expert warns Israeli orders may breach Geneva Convention

[Richard Falk, UN Special Rapporteur on Human Rights Situation in the occupied territories]

19 April 2010 – Two orders by the Israeli military relating to movement in the occupied Palestinian territory (oPt) may breach the fourth Geneva Convention and violate the International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR), an independent United Nations human rights expert said today.

“The orders appear to enable Israel to detain, prosecute, imprison and/or deport any and all persons present in the West Bank,” said Richard Falk, UN Special Rapporteur on the situation of human rights in the occupied Palestinian territory.

Mr. Falk said his concern was based on Israel’s new definition of the term ‘infiltrator.’ The term is defined as “a person who entered the Area unlawfully following the effective date, or a person who is present in the Area and does not lawfully hold a permit.”

“Even if this open-ended definition is not used to imprison or deport vast numbers of people, it causes unacceptable distress,” the UN independent expert said in a statement, noting that “it is not at all clear what permit, if any, will satisfy this order.”

Mr. Falk said that “a wide range of violations of international human rights and international humanitarian law could be linked to actions carried out by the Government of Israel under these orders, with particular gravity in the event that young persons become victims of their application.”

He added: “Illustrative of the potential for cruel abuse is a provision of the order requiring the person deported to pay the costs of his or her deportation, and suffer confiscations of property if unable to pay.”

Mr. Falk warned that deportations under the two new orders could take place without judicial review, and that detained persons can be imprisoned for seven years, unless they are able to prove that their entry was lawful, in which case they would be imprisoned for three years.

The special rapporteur recalled that Israel is party to the fourth Geneva Convention, which outlines its obligations as the Occupying Power in the West Bank. Article 49 of the Convention states that “individual or mass forcible transfers, as well as deportations of protected persons from occupied territory to the territory of the Occupying Power or to that of any other country, occupied or not, are prohibited, regardless of their motive.”

Mr. Falk also noted that, despite the fact that Israel is party to the ICCPR, “the orders establish a system that allows Israel to deport people without having their right to judicial review properly fulfilled, or possibly not reviewed at all.”

He stressed that “the orders do not even ensure that detainees will be informed in their own language that a deportation order has been issued against them.”

The independent expert, who is mandated by the UN Human Rights Council to monitor the situation of human rights and international humanitarian law in Palestinian territories occupied since 1967, also expressed his serious concern on “whether a military committee, as the one established by one of the orders, is the kind of mechanism appropriate to satisfy requirements of judicial review, in the case that detained persons are not deported before having their situation reviewed.”

Meanwhile, the UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) reports that in the West Bank, rioting and other incidents over the past month resulted in four Palestinians killed and 349 injured. Forty-four injuries were reported among Israeli forces.

The Gaza Strip also saw a significant increase in the number of casualties, with four deaths and 39 injuries, as well as damage to civilian homes and agricultural property. Most of the violence resulted from a series of air strikes launched by the Israeli Air Force, OCHA said in its monthly report on the humanitarian conditions in the oPt.

Poor living conditions in Gaza were exacerbated by a deterioration in the supply of electricity which resulted from a continuing decline in the import of fuel for the Gaza power plant following a funding crisis that began in December 2009, according to OCHA.

In a related development, the office of the UN Special Coordinator for the Middle East Peace Process reports that crossings into Gaza will be closed today and tomorrow.

Source: UN News Centre, www.un.org




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