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Israels Abschiebedeal ist geplatzt

Afrikanische Staaten sollten von der Aufnahme von Flüchtlingen "überzeugt" werden

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Nach Protesten gegen ihre Unterbringung in Abschiebelagern im Süden Israels sind in Jerusalem 180 Afrikaner festgenommen worden. Das Ansinnen, sie an afrikanische Länder »weiterzugeben«, misslang.

2500 Flüchtlinge für 200 000 Schekel, ungefähr 41 430 Euro. Es war ein lukrativer Deal, den Boaz Bismuth, Journalist und Exbotschafter in Mauretanien, mit seinem Freund, Regierungschef Benjamin Netanjahu, ausgehandelt hatte: Bismuth, so der Vertrag, sollte seine Kontakte zu afrikanischen Regierungen nutzen, um sie zur Aufnahme afrikanischer Flüchtlinge zu bewegen, egal woher sie ursprünglich stammten. Dafür sprach ihm der Vertrag ein reichhaltiges Budget für »Entwicklungshilfemaßnahmen« zu.

Am Mittwoch endete die Vereinbarung in einem Fiasko: Mitarbeiter des Außenministeriums hatten nicht nur den Vertrag, sondern auch die Stellungnahme des Staatskontrolleurs, in der die Vereinbarung als »Gehen-Sie-sofort-ins-Gefängnis-Karte« bezeichnet wird, an die Medien weitergegeben. Die dann recht schnell herausfanden, worum es sich bei den »Entwicklungshilfemaßnahmen« tatsächlich handelt.

»Es wurden Bestechungsgelder angeboten«, sagt Tedros Adhanom Ghebreyesus, Außenminister Äthiopiens, gegenüber »nd«. »Mitarbeiter verschiedener Ministerien haben uns berichtet, dass ihnen Geld dafür angeboten wurde, dass sie Einreisevisa ausstellen oder einen Flüchtling als Äthiopier einstufen. Der Westen muss endlich lernen, dass es auch in Afrika Länder gibt, in denen man für Geld nicht alles kaufen kann.«

Die Affäre belastet Israels Beziehungen zu den Staaten Afrikas nun noch ein bisschen stärker, und das in einer Zeit, in der sich Iran, aber auch extremistische arabische Gruppierungen darum bemühen, Basen im Norden des Kontinents aufzubauen. Israel auf der anderen Seite wird hier misstrauisch beäugt, und verantwortlich dafür ist hauptsächlich die Art und Weise, wie der jüdische Staat mit den Flüchtlingen umgeht, die im Laufe der vergangenen Jahre zu Zehntausenden über die Grenze zu Ägypten ins Land gekommen sind.

Erst Anfang der Woche war die Flüchtlingspolitik wieder weltweit zum Thema geworden, nachdem sich an die 400 Flüchtlinge zu Fuß auf den Weg aus einem offenen Internierungslager am Rande der Negev-Wüste auf den Weg nach Jerusalem gemacht hatten; am Dienstag demonstrierten sie vor dem Büro des Premierministers gegen ihre Lebensbedingungen, bis sie von Beamten der Barak, einer polizeiähnlichen Sondereinheit von Einwanderungs- und Innenministerium, vor laufenden Kameras mit Gewalt in Busse verfrachtet und zurück in die Negev-Wüste gebracht wurden – allerdings diesmal in eine geschlossene Einrichtung, die zwar nicht Gefängnis genannt wird, aber faktisch eines ist, obwohl es dort keine Zellen gibt. Den Weg nach draußen versperren Wächter und hohe Zäune.

Eigentlich sollten in solchen Einrichtungen überhaupt keine Flüchtlinge untergebracht werden. So hat es der Oberste Gerichtshof bereits vor Monaten beschlossen. Doch die Regierung umgeht dies, indem sie eines der Internierungslager in ein Übergangswohnheim umdefiniert hat, das tagsüber unter strengen Auflagen verlassen werden kann. Werden diese Regeln verletzt, unter anderem eine Meldepflicht dreimal täglich, ist die geschlossene Unterbringung aus Sicht der Regierung gerechtfertigt. Klagen dagegen sind anhängig. So oder so ist der Unterschied für die Menschen gering. Weit und breit gibt es nichts, was diese Leute außerhalb der Einrichtung tun könnten, zumal sie, falls überhaupt, über nur wenig Geld verfügen.

Israel hat keine Asylgesetzgebung und braucht nach Ansicht der derzeitigen Mitte-Rechts-Koalition auch keine. »Bei diesen Leuten handelt es sich zu 90 Prozent um Personen, die hierher kommen, um ein besseres Leben zu haben«, sagte Innenminister Gideon Sa'ar am Dienstag. Woher er das weiß, ist unklar. Es gibt keine Prüfung des Einzelfalls, keine Anhörungen. Sa'ar kündigte an, die Barak-Einheit werde weiterhin Flüchtlinge, die keinen Aufenthaltsstatus haben, festnehmen und in die Wüsteneinrichtungen bringen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Dezember 2013


Zustände in Lampedusa »entsetzlich«

Empörung über Umgang mit Flüchtlingen auf der Insel **

Die Europäische Kommission hat sich erschüttert über den Umgang mit Flüchtlingen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa geäußert und juristische Schritte angedroht.

»Wir haben eine Untersuchung zur entsetzlichen Behandlung in zahlreichen Auffanglagern eröffnet«, erklärte Innenkommissarin Cecilia Malmström am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter. Ihre Behörde werde auch »nicht zögern, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten«, warnte sie. Italiens Regierungschef Enrico Letta versprach »gründliche« Ermittlungen zu dem Fall, um »die Verantwortlichen zu bestrafen«.

Beide Politiker reagierten auf einen Bericht des italienischen Fernsehsenders Rai2, der am Montagabend ausgestrahlt worden war. Zu sehen waren Aufnahmen, die ein Flüchtling auf Lampedusa mit versteckter Kamera gefilmt hatte. »Die Migranten müssen Schlange stehen zum Duschen, nackt, in der windigen Kälte, um sich mit einem Desinfektionsmittel abbrausen zu lassen«, fasste die Zeitung »Corriere della Sera« anschließend zusammen. Die Bürgermeisterin von Lampedusa sprach von Zuständen wie in einem »Konzentrationslager«, andere Politiker und Menschenrechtler zeigten sich ebenfalls entsetzt.

Für afrikanische Flüchtlinge, die jedes Jahr zu Tausenden versuchen, über das Mittelmeer in die Europäische Union zu gelangen, ist Lampedusa eines der wichtigsten Ziele. Ihre oft kaum seetauglichen Boote geraten dabei regelmäßig in Seenot, alljährlich sterben Hunderte Menschen auf dem Weg über das Meer.

Seit der Flüchtlingstragödie Anfang Oktober dieses Jahres vor Lampedusa mit mehr als 360 Toten steht die Einwanderungspolitik der Europäischen Union verstärkt in der Kritik, da sie vor allem auf noch striktere Abschottung setzt.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Dezember 2013


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