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"Irland ist heute weder unabhängig, noch neutral"

Die irische "Peace and Neutrality Alliance" kämpft gegen die Militarisierung Europas. Ein Gespräch mit Roger Cole *


Roger Cole ist Gründer und Vorsitzender der irischen »Peace and Neutrality Alliance« (PANA).


Seit Gründung der irischen »Peace and Neutrality Alliance« (PANA, Allianz für Frieden und Neutralität) sind Sie deren Vorsitzender – was ist das Ziel Ihrer Vereinigung und warum haben Sie sie gegründet?

PANA gibt es seit 1996, wir haben uns von Anfang an dafür eingesetzt, daß Irland eine eigenständige und unabhängige Außenpolitik verfolgt, deren Kernstück die Neutralität ist. Grund dafür war, daß wir erkennen mußten, daß die politische Klasse dabei war, die Unabhängigkeit des Landes aufzugeben, die Demokratie zu zerstören und Irland in einen europäischen Superstaat einzugliedern – zentral regiert und militarisiert.

Hat die Neutralität Irlands durch den Beitritt zur EU Schaden genommen?

Als Irland Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wurde – des Vorläufers der EU –, hatte die Regierung versprochen, die Neutralität werde nicht angetastet. Seitdem haben wir aber viele Abstriche an unserer Souveränität hinnehmen müssen – so wie es auch Deutschland und anderen Ländern geschehen ist. Wir sind so weit gekommen, daß Irland heute weder unabhängig, noch demokratisch oder neutral ist – unser Land wurde in den militärisch-industriellen Komplex integriert, den die EU, die USA und die NATO bilden.

PANA setzt sich dafür ein, daß die US-Luftwaffe vom irischen Flughafen Shannon verbannt wird. Welche Bedeutung hat er für das US-Militär?

Neutralität ist kein beliebiger Begriff, völkerrechtlich wurde er 1907 in der Haager Konvention definiert. Demnach darf ein neutraler Staat sein Territorium nicht für Kriegshandlungen anderer Staaten zur Verfügung stellen. Seit 2002 sind aber hundertausende US-Soldaten per Zwischenlandung in Shannon zu ihren Einsätzen in Afghanistan, im Irak und wahrscheinlich vielen anderen Ländern geflogen worden.

Die PANA kämpft auch gegen die Militarisierung Europas, Sie selbst haben die EU kürzlich als »Empire« bezeichnet – warum?

Das stammt nicht von mir, sondern von dem Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso. Die EU wird nämlich nicht von den Völkern der Mitgliedsstaaten regiert, sondern von einer europäischen Politkaste. Sie sieht sich selbst nicht mehr als irisch, deutsch oder niederländisch an, sondern nur noch als europäisch. Sie versteht sich als Führungsschicht eines Staates mit über einer halben Milliarde Menschen, der dabei ist, eine eigene Armee aufzubauen, die weltweit einsetzbar ist.

Wie beurteilen Sie die Rolle Deutschlands in Europa?

Deutschland ist die dominierende Kraft in Europa, ihre politische Elite setzt sich offen für die Gründung europäischer Streitkräfte ein. Allerdings scheint die Bundesregierung weniger scharf wie Frankreich oder Großbritannien auf militärische Einsätze im Ausland zu sein. Das hat sicher auch mit dem Einfluß der deutschen Friedensbewegung zu tun, bestimmt aber auch damit, daß vielen Menschen noch bewußt ist, wie der Versuch Deutschlands endete, die Weltherrschaft zu erringen.

Militär aus EU-Staaten wird seit Beginn der 90er Jahre immer häufiger weltweit eingesetzt. Soll dadurch ein Gegengewicht zu Rußland oder China aufgebaut werden?

Es gibt in der EU ohne Zweifel einflußreiche Kreise, die so denken – sie wollen es aber nur machen, wenn sich die USA beteiligt. Beste Beispiele dafür sind die gemeinsam Aggression von USA, EU und NATO gegen Syrien oder die Sanktionen gegen den Iran. Es gibt nur wenige, die europäische Alleingänge befürworten.

Es wird erwartet, daß auch die bisher neutralen Länder Schweden und Finnland in einigen Jahren der NATO beitreten. Ist das auch für Irland zu erwarten? Über eine solche Möglichkeit hat Ihre PANA kürzlich in Dublin beraten.

Die Debatte darüber haben wir auf www.pana.ie dokumentiert. Damit sich nicht auch Irland diesem Militärbündnis anschließt, setzt sich PANA dafür ein, eine möglichst große zivilgesellschaftliche Opposition aufzubauen. Dazu brauchen wir aber auch die Unterstützung aus anderen Ländern Europas, etwa von der deutschen Friedensbewegung. Der Kampf gegen den NATO-Beitritt darf sich nicht auf die Iren beschränken, es muß ein europäischer Kampf sein, der auf irischem Boden ausgetragen wird.

Interview: Àngel Ferrero

* Aus: junge Welt, Freitag, 5. Juli 2013


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