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Der atomare Wink

Der französische Präsident verschärft den Konflikt mit dem Iran

Von Andreas Zumach, Genf*

Was trieb den französischen Präsidenten Jacques Chirac Ende letzter Woche zu seinen Aufsehen erregenden atomaren Drohgebärden? Was bezweckte er mit seinen atomaren Warnungen an die «Schurkenstaaten», die «Terrorismus unterstützen» oder sich «unter Verletzung internationaler Abkommen atomare Waffen beschaffen»? Seine Äusserungen haben den Krieg der Worte zwischen dem Westen und der iranischen Regierung auf jeden Fall weiter eskalieren lassen. Eine politische Lösung des Konflikts um das iranische Atomprogramm ist erschwert worden.

Auf die Frage nach Chiracs Motiven gibt es keine eindeutige Antwort. Berater des Präsidenten erklären, Chirac habe keineswegs eine neue Einsatzdoktrin für die Force de frappe verkündet. Schon gar nicht sei Frankreich nun auf den Kurs präventiver Militärschläge eingeschwenkt, den Chiracs US-amerikanischer Amtskollege Georg Bush im September 2002 in der «Neuen nationalen Sicherheitsstrategie» für die USA verkündet hatte. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete Chiracs Äusserungen als Ausdruck der «Kontinuität» der bisherigen Nuklearstrategie Frankreichs. Sie stellte sich ohne Einschränkung hinter den französischen Präsidenten und gab sich – zum Entsetzen einiger ihrer christdemokratischen ParteifreundInnen – «verwundert» über kritische Reaktionen in Deutschland.

Simple, aber törichte Gleichung

In französischen Medienkommentaren hiess es, der erfolglose, von Skandalen gebeutelte Präsident suche sich mit spektakulären Auftritten wieder etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das Ganze wäre somit ein harmloser Vorgang von lediglich innenpolitischer Bedeutung für Frankreich. Allerdings: Ausgerechnet im Iran und in den USA haben die Staatschefs sehr ähnliche innenpolitische Probleme. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat in den letzten sieben Monaten massiv an Unterstützung in der iranischen Bevölkerung eingebüsst. Dies vor allem deshalb, weil er keines der Versprechen für Sozialreformen umgesesetzt hat, mit denen er im Juni letzten Jahres die Präsidentschaftswahl für sich entschieden hatte. Auch vonseiten konser onservativer Kleriker erfährt er zunehmend Kritik. Ahmadinedschads Drohungen gegen Israel und seine dümmlichen Äusserung zur Negierung oder Verharmlosung des Holocausts sind der Versuch,das Volk wieder hinter sich zu scharen und seine Machtbasis zu stärken. PolitikerInnen in den USA und in Europa interpretierten die Äusserungen des iranischen Präsidenten jedoch anders: Für sie sind sie der Beweis dafür, dass man Teherans Beteuerungen über den ausschliesslich zivilen Charakter des iranischen Atomprogramms nicht trauen könne. Wer so rede wie Ahmadinedschad, der baue auch die Bombe, lautet die simple, aber törichte Gleichung. Sie dient den westlichen Regierungen zur Rechtfertigung, die eigene Position im Streit um das iranische Atomprogramm weiter zu verschärfen. Chiracs Äusserunen sind Ausdruck dieser Verschärfung.

Die Versuchung wächst

Chiracs Worte werden das Regime von Ahmadinedschad nur stärken und die ir iranischen Reformkräfte demgegenüber schwächen. Denn noch mehr als mit israelfeindlicher Propaganda kann der iranische Präsident das Volk mit dem Atomstreit mobilisieren und die innenpolitische politische Opposition disziplinieren. Dies insbesondere, solange der Westen sich auf die Forderung nach endgültigem Verzicht Teherans auf die Urananreicherung versteift und damit auf eine Einschränkung der Souveränität Irans.

In den USA ist die Popularität von Präsident George Bush wegen des Desasters seiner Irakpolitik und immer neuer innenpolitischer Skandale inzwischen auf einem historischen Tiefpunkt angelang. Seiner republikanischen Partei drohen bei den Kongresswahlen im November erhebliche Verluste. Damit wächst die Versuchung in Washington, die Bekämpfung der angeblichen atomaren Bedrohung durch Iran zu nutzen, um von anderen Problemen abzulenken und die Bevölkerung wieder mehrheitlich hinter Präsident Bush zu bringen. Das kann nur gelingen, wenn die iranische Bedrohung noch weiter aufgebauscht wird und der Streit eskaliert. Wie die Eskalation weitergeht, lässt sich voraussehen: Die EU und die USA setzen eine Resolution in der Internationalen Atomenergie-Organisation durch, die zur Überweisung des Iran-Dossiers an den Uno-Sicherheitsrat führt; der Iran nimmt im Gegenzug die vollumfängliche, industrielle Urananreicherung wieder auf; die USA beantragen danach im Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Iran; die iranische Regierung unterbricht daraufhin die Öllieferung.

Es gibt keine Garantie dafür, dass sich diese Eskalation kontrollieren und begrenzen lässt. Zwar sind derzeit in den Machtapparaten Washingtons und der europäischen Hauptstädte alle möglichen Einwände und Bedenken gegen militärische Massnahmen zu hören. Man verweist auf die politische Vernunft, die operative Machbarkeit und die geringen Erfolgsaussichten. Aber das hörte man auch schon im Jahr 2002 – vor dem Irakkrieg.


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