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Triumph des Ayatollahs

Bei Parlamentswahl in Iran muss Präsident Ahmadinedschad Federn lassen

Von Jan Keetman, Istanbul *

Bei der Parlamentswahl in Iran stehen die Gegner von Präsident Mahmud Ahmadinedschad vor einem überwältigenden Sieg. Das stramm konservative Bündnis um Parlamentspräsident Ali Laridschani liegt mit 120 Mandaten deutlich vorne, während das ebenfalls konservative Präsidentenlager bisher erst 30 von 290 Sitzen einheimsen konnte.

Nach außen gibt es aus Sicht der iranischen Regierung einen klaren Sieger: die iranische Nation. Die Wahlbeteiligung von 64 Prozent bei den Parlamentswahlen vom Freitag kommentierte der Innenminister Mostafa Mohammed Nadschdschar mit den Worten: »Die große iranische Nation hat die Feinde ins Gesicht geschlagen.« Die als Bestätigung für das Regime gewertete Wahlbeteiligung ließ sich jedoch nicht überprüfen, da die wenigen ausländischen Journalisten im Lande nur von einigen ausgewählten Wahllokalen berichten durften. Mit dem amtlichen Ergebnis wird für Montag (5. März) gerechnet.

Nach innen gibt es auch einen klaren Sieger, doch der ist nicht die Regierung. Im Gegenteil: Die Wahlen sind ein harter Schlag für den Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und sein Kabinett. Nach inoffiziellen Ergebnissen schafften es zunächst nur 13 Unterstützer Ahmadinedschads in das 290 Sitze zählende iranische Parlament. Dagegen habe das konservative Bündnis um Parlamentspräsident Ali Laridschani bereits 120 Mandate gewonnen. Reformer und Unabhängige kommen bislang auf 13 Sitze.

Die Prinzipientreuen um Laridschani unterstützen den religiösen Führer Ayatollah Ali Chamenei. Sie werfen Ahmadinedschad vor, er fahre einen nationalistischen Kurs und wolle die Macht des Klerus beschneiden.

Die meisten Reformer hatten sich für einen Wahlboykott entschieden. Ihre Führer Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karubi stehen seit über einem Jahr zusammen mit ihren Ehefrauen unter Hausarrest und dürfen nur mit einigen Familienangehörigen telefonieren.

Die Wahlen vom Freitag (2. März) waren nur der Auftakt für den politischen Machtkampf im Hinblick auf die Präsidentenwahl im Juni 2013. Bei den vergangenen zwei Präsidentschaftswahlen hatte Chamenei Ahmadinedschad unterstützt - das letzte Mal, obwohl es bereits Spannungen zwischen den beiden Männern gab. Aber lieber Ahmadinedschad als die Reformer, muss sich Chamenei gedacht haben, als er Ahmadinedschad gegen den Vorwurf des Wahlbetruges in Schutz nahm.

Nun ist es Chamenei offenbar gelungen, eine Wahlniederlage Ahmadinedschads zu orchestrieren, ähnlich wie er zuvor den Niedergang der Reformer herbeigeführt hatte. Es stellt sich die Frage, wenn er als Präsidentschaftskandidaten aus dem Ärmel zieht. Parlamentspräsident Ali Laridschani dürfte gute Karten haben.

* Aus: neues deutschland, 5. März 2012


Gestärktes Regime

Parlamentswahlen im Iran: Konservative Regierungskritiker gewinnen, die Reformer verlieren

Von Shayan Arkian **


Im Iran lagen am Sonntag (4. März) Teilergebnisse der am Freitag durchgeführten Parlamentswahlen vor. Demnach liegt die regierungskritische Vereinigte Front der Prinzipialisten (JMO) mit ihren Spitzenkandidaten Parlamentssprecher Ali Laridschani sowie dessen Vorgänger Gholam Ali Haddad Adel vorn. Beide errangen nach bisherigen Informationen auch den Spitzenplatz in ihrem jeweiligen Wahlkreis.

Nichtsdestoweniger wird sich nach diesen Wahlen am Einfluß des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad auf das Parlament nicht viel ändern: Auch die scheidenden Abgeordneten standen nicht rückhaltlos hinter ihm. Oft konnte der Präsident seine Gesetzesvorlagen, das jährliche Haushaltbudget oder gar seine Minister, die allesamt die Zustimmung des Parlaments benötigen, nicht wie gewünscht durchsetzen. Insofern kann man die Spekulationen mancher Medien hinsichtlich eines bevorstehenden Amtsenthebungsverfahrens gegen Ahmadinedschad getrost ins Reich der Märchen verbannen. Überhaupt hat die Darstellung eines angeblichen erbitterten Machtkampfes zwischen dem Präsidenten und dem religiösen Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei keinerlei Substanz. Umso energischer das Parlament sich gegen Ahmadinedschad stellt, desto sicherer kann sich dieser des Schutzes durch Khamenei sein.

Die eindeutigen Verlierer der Parlamentswahlen werden hingegen die Reformer sein. Ihr Sitzanteil wird voraussichtlich weiter schrumpfen. Medien­berichte, denen zufolge die Reformer die Wahlen boykottierten, stimmen in zweifacher Hinsicht nicht. Zum einen handelt es sich nicht um einen offiziellen Boykott – es gab de facto keine öffentlichen Aufrufe. Zum anderen wählten beispielsweise der ehemalige Reformpräsident Mohammad Khatami, und es traten immerhin 700 Reformer als Kandidaten an.

Die Hervorhebung des Unterschiedes zwischen einem offiziellen und einem stillschweigenden Boykott ist wichtig. Denn mit der Vermeidung eines öffentlichen Aufrufs zur Wahlverweigerung wurde versucht, die Chancen der kandidierenden Reformer nicht zu untergraben, um eine Spaltung zu vermeiden. Andererseits mochte man auch keinen endgültigen Bruch mit der Islamischen Republik riskieren.

Die Wahlbeteiligung betrug nach offizieller Schätzung etwa 64 Prozent, ähnlich wie vor vier Jahren. In Anbetracht des »Boykotts« und der sich zuspitzenden Bedrohung von außen kann dies als Erfolg gewertet werden. Anders ausgedrückt: Das Regime geht aus den Wahlen gestärkt hervor.

** Der Autor ist Chefredakteur des Internetportals irananders.de

Aus: junge Welt, 5. März 2012



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