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Iran nach der Wahl:

Reaktionen, Analysen, Perspektiven

Die Stichwahl im Iran am 24. Juni hat der Hardliner Mahmoud Ahmadinedschad, bisher Teheraner Bürgermeister, für sich entschieden. Die Mehrheit fiel deutlich aus: Ahmadinedschad erhielt 61,6 Prozent der Stimmen, sein Gegenspieler, dei bekannte gemäßigte Politiker Rafsandschani kam nur auf 35,9 Prozent.
Im Folgenden dokumentieren wir erste Reaktionen und Pressekommentare.



Keine Wahl gehabt

Von Mahmoud Bersani

Kein frei gewählter Staatspräsident, sondern ein »Manager im Dienste der Machthaber« werde der Sieger der iranischen Präsidentschaftswahl – unabhängig von deren konkretem Ausgang – sein. Das hatten 600 Politiker und Studentenaktivisten aus dem In- und Ausland im Vorfeld des Urnengangs erklärt. Verlauf und Ergebnis der Wahl dürften die Kritiker in ihrer Ansicht bestärken. Mit dem Teheraner Bürgermeister Mahmoud Ahmadinedschad siegte am Wochenende ein bekennender Hardliner des klerikalen Regimes. Der vom Westen bevorzugte und als Favorit gehandelte Expräsident und konservative Geistliche Akbar Haschemi Rafsandschani unterlag in der Stichwahl deutlich.

Ahmadinedschad setzte sich dem offiziellen Ergebnis zufolge mit 61,6 Prozent gegen den sehr viel bekannteren, in der iranischen Bevölkerung allerdings auch völlig verhaßten Rafsandschani durch, der lediglich 35,9 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Mehr als 40 Prozent der rund 46,8 Millionen Wahlberechtigten blieben der Abstimmung fern. Schon im ersten Urnengang am 17. Juni hatten diese indes keine wirkliche Wahl. Lediglich acht der mehr als 1000 Kandidaten, die sich um das Amt des Staatspräsidenten bewerben wollten, waren durch den von der konservativen Geistlichkeit dominierten »Wächterrat« zugelassen worden.

Rafsandschani, hinter dem religiösen Oberhaupt Ajatollah Ali Khamenei der zweitmächtigste – und der reichste – Mann in der Islamischen Republik, beklagte sich nach seiner Niederlage, die konservative Geistlichkeit habe alle Möglichkeiten genutzt, »um in organisierter und illegaler Weise Einfluß auf die Wahl zu nehmen und meine Glaubwürdigkeit zu beschädigen«. Letzteres dürfte allerdings kaum nötig gewesen sein. Der einst engste Vertraute des »Revolutionsführers« Ajatollah Khomeini hat in den 26 Jahren seit Bestehen der Islamischen Republik als Innenminister, Parlamentspräsident, Staatspräsident und Vorsitzender des mächtigen »Schlichtungsrats« zur Genüge gezeigt, wofür er steht: für Korruption, Machtversessenheit und Bereicherung. Den Wahlkampf führte Rafsandschani vor allem mit den Forderungen, die Wirtschaft zu »liberalisieren«, Privatisierungen voranzutreiben und einen Ausgleich mit den westlichen Mächten zu suchen.

Ganz anders präsentierte sich sein Kontrahent Ahmadinedschad. Der ehemalige Kommandeur der paramilitärischen »Revolutionswächter« (Pasdaran) demonstrierte bei jeder Gelegenheit seine Frömmigkeit und Volksverbundenheit. »Ich bin stolz darauf, der kleine Bedienstete zu sein, der Straßenkehrer der iranischen Nation«, behauptete er noch bei der Stimmabgabe. In Wahlspots kritisierte er die Bereicherung einer kleinen Elite auf Kosten der Masse. Bei den vielen Arbeitslosen und in der ländlichen Bevölkerung stieß er damit offenbar auf Zustimmung. Trotz steigender Öleinnahmen liegt die reale Arbeitslosigkeit im Land bei rund 30 Prozent, die Inflation galoppiert.

Die westlichen Regierungen reagierten erwartungsgemäß wenig erfreut auf das Wahlergebnis. Iran stelle sich den »Strömungen der Freiheit« entgegen, die in Irak, Libanon und Afghanistan sichtbar seien, fabulierte eine Sprecherin des US-Außenministeriums. Auch die Regierenden Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, die mit dem Iran über dessen Atomprogramm verhandeln, äußerten sich skeptisch. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer (Grüne) stellte »erhebliche Mängel im Wahlprozeß« fest und verlangte »objektive Garantien« für die friedlichen Ziele des iranischen Atomprogramms. Ein Sprecher des Teheraner Außenministeriums reagierte am Sonntag mit den Worten: »Die Europäer sollten es vermeiden, ein Urteil zu fällen, noch ehe der neue Präsident seine Arbeit aufgenommen hat.«

Aus: junge Welt, 27. Juni 2005


Politischer Erdrutsch in Iran

VON KARL GROBE

Iran hat einen Erdrutsch nach rechts erlebt. Es ist unerheblich, ob bei der Wahl des fundamentalistischen Teheraner Bürgermeisters Mahmud Ahmadinedschad noch mehr als landesüblich gefälscht und betrogen wurde. Die Wahlkommission selber und die meisten unterlegenen Kandidaten - selber Angehörige des Establishments - haben eine ungewöhnlich umfangreiche Manipulation öffentlich benannt, doch das Ergebnis zählt, und es entspricht dem Willen der tatsächlich Mächtigen, die das in der Gestalt des Wächterrats so dekretiert haben.

Ahmadinedschad hat indes nicht nur durch Betrug gewonnen. Es wäre ein Selbstbetrug der Opposition und eine Verharmlosung des Vorgangs, sich mit der einfachen Diagnose zufrieden zu geben. Der Erfolg des ersten Kandidaten seit der Revolution von 1979, der keine hohen geistlichen Würden hat, legt eine gesellschaftliche Spaltung des Landes bloß. Ahmadinedschad hat die Unterschicht mobilisiert, die ärmeren Provinzen und eine Reihe benachteiligter Stämme für sich gewonnen und die vielfältigen Strömungen der Reformer als das erkennen lassen, was sie immer waren: Ausdruck der Unzufriedenheit in den oberen Klassen, denen der Zugang zur Macht gleichwohl verwehrt war.

Sein Vorgänger Mohammad Khatami, der zweimal amtierte, ist Geschichte. Diejenigen, die ihn 1997 erstmals gewählt hatten, mussten in seinem Scheitern die systemimmanenten Grenzen der Lockerung erkennen. Sie haben daraus zwei einander widersprechende Schlüsse gezogen: Erstens Boykott der Wahl, weil deren Ausgang durch die Vorauswahl im Grundsatz feststand; alle Kandidatinnen und rund tausend religionspolitisch Unzuverlässige hatte der Wächterrat nicht zur Kandidatur zugelassen. Zweitens ein Dennoch: Mobilisierung erst für Mustafa Moin, dann für das vermeintlich "kleinere Übel" Rafsandschani.

Beide Strategien hoben einander auf. Entscheidend für Ahmadinedschads Sieg war die Ökonomie. Die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen hat der Sieger genutzt mit Parolen, in denen einige lange Kapitel iranischer Geschichte widerhallen. Die Einnahmen aus dem Ölgeschäft umzulenken zum Nutzen aller statt zum Vorteil der Superreichen war ein Antriebsargument der Revolution von 1979. Es griff seinerseits zurück auf die frühen Fünfziger Jahre, Mohammed Mossadeks Nationalisierung der Ölquellen zu Lasten der britischen Vorbesitzer, was letztlich zum Sturz Mossadeks durch den Eingriff der USA führte.

Ahmadinedschad nahm das Argument auf, kulturimperialistische Einflüsse des Westens (also der USA) zerstörten die islamisch-iranische Identität. Seine Forderungen, den Tschador wieder nach strenger Vorschrift zu tragen, Popmusik und West-Denken bis hinauf zum universitären Niveau zu verbieten, die Geschlechtertrennung sogar in Fahrstühlen durchzusetzen und Ähnliches verweisen auf den vormodernen und auf seine Weise zugleich elitär und egalitär auftretenden Bewusstseinszustand der Verarmten. Das ist mit Recht Talibanisierung genannt worden; es ist aber mehr: Umlenkung einer sozialen Tiefenströmung ohne klares Bewusstsein für die Stabilisierung des Systems.

Dabei verändert das System sich selbst. In diesem Sinne hatte der unterlegene Bewerber Mustafa Moin Recht, als er Vergleiche mit dem Faschismus zog. Für die Einordnung der paramilitärischen Milizen und der Revolutionsgarden ins gesellschaftliche Gefüge bieten sich ähnliche Vergleiche durchaus an.

Diese Vorgänge werden außenpolitische Folgen haben. Der Wahlsieger hat einige Hinweise vor dem ersten Urnengang gegeben, auch auf die künftige Nuklearpolitik des Landes. Iran wird das einschlägige Programm nicht aufgeben, und ob das von Rafsandschani als letztlich Zuständigem vereinbarte Moratorium der Urananreicherung bestehen bleiben kann, ist mehr als fraglich. Der neue Präsident beharrt darauf, dass das Programm nur friedlichen Zwecken diene.

Russlands Präsident Wladimir Putin glaubt ihm offenbar; er hat Glückwünsche zur Wahl gesandt. Russland ist freilich an vielen wirtschaftlichen Dingen interessiert und ist Vertrags- und Lieferpartner in der Reaktortechnik.

Die Verhandlungen, welche Deutschland, Frankreich und Großbritannien in dieser Sache führen, werden gewiss nicht leichter. Für die USA ist der Fall ohnehin klarer als zuvor. Und hier droht Konfrontation. Irans Politiker kennen die Landkarte mit den US-Stützpunkten in der Region. Sie sind überall außer in Turkmenistan. Die US-Regierung kennt das natürlich noch besser. Es besteht jetzt eine größere Gefahr, dass sie aktiven Gebrauch von diesen Basen macht.

Aus: Frankfurter Rundschau, 27. Juni 2005


"Die Rache der Underdogs" ist der Kommentar überschrieben, den Gudrun Harrer im Wiener "Standard" veröffentlichte. Ausschlaggebend war - neben der geringen Wahlbeteiligung - das Wahlverhalten der Armen und Unterdrückten im Iran. Harrer schreibt u.a.:

(...) Die "Mostazafin", die Armen und Unterdrückten Irans haben sich zu Wort gemeldet, die Impotenten ohne jeden Zugang zur Macht, an die sich die Revolution 1979, die nicht nur islamisch, sondern vor allem erst einmal Anti-Schah war, mit ihrem starken sozialrevolutionären Moment richtete. "Unser Iran" hat Ahmadinejad im Wahlkampf gesagt und gemeint: der Iran der "Gegenelite", nicht der Iran einer Elite der Reichen, zu denen Rafsanjani gehört, oder der Intellektuellen, denen der scheidende Präsident Mohammed Khatami zuzurechnen ist, oder der Schönen, die im Wahlkampf ihre bunten Feste auf den Straßen Teherans feierten. "Der Ölreichtum des Iran muss am Esstisch der einfachen Menschen bemerkbar werden", das war der Schlüsselsatz bei diesen Präsidentschaftswahlen.
(...) Dieser iranische Präsident mag nach unseren Standards nicht demokratisch gewählt sein, aber er ist allemal legitimiert.
Selbstverständlich wurden seine Wähler und Wählerinnen auch mobilisiert durch - im Iran verbotene - Negativpropaganda gegen Rafsanjani: Das Innenministerium hat "Millionen" Anti-Rafsanjani-Flugzettel entdeckt, und Ahmadi-Nejad hat selbst gegen Ende des Wahlkampfs behauptet, dass Rafsanjanis Familie das iranische Erdöl kontrolliere. Es ist jedoch schwer, Rafsanjani zu verteidigen. Manche Wahlempfehlungen haben ihm zudem mehr geschadet als genützt, die Reaktion unten war, nein, diese Clique wollen wir nicht mehr, wir wollen das, was Ahmadinejad verspricht, nämlich Umverteilung nach unten und Schluss mit der Ausbeutung. (...)
(...)
Diejenigen Rechten, die nicht zu den Underdogs gehören, freut's - wie auch Vertreter der These in anderen Ländern, besonders in den USA, dass alles, was schlecht ist, eigentlich gut ist (siehe Irak). Wer jedoch glaubt, dass die Wahl Ahmadinejads automatisch der Beginn des schnellen Endes der Theokratie im Iran ist, das den Weg für etwas Besseres frei machen wird, könnte enttäuscht werden. Die unideologische Mittelschicht des postrevolutionären Iran wird nicht auf den Straßen kämpfen. Sie wird sich einmal mehr ducken.

Aus: DER STANDARD, 26. Juni 2005


Bahman Nirumand geht in seinem taz-Kommentar vor allem auf die außenpolitische Bedeutung der Wahl ein:

(...) Ahmedinedschad will das umstrittene Atomprogramm unter allen Umständen fortsetzen. Sicher ist auch, dass er im Nahen Osten, im Irak und in Afghanistan den nicht zu unterschätzenden Einfluss der Radikalen gegen die Interessen der USA geltend machen wird.
Wie werden die USA auf die neue Lage im Iran reagieren? In den vergangenen Wochen konnte man aus dem Weißen Haus erstaunlich versöhnliche Töne vernehmen. Der Favorit, Haschemi Rafsandschani, hatte bereits die Fühler nach Washington ausgestreckt. Die Normalisierung der Beziehungen zu den USA gehörte zu den wichtigsten Punkten seines Wahlprogramms. Daraus ist nichts geworden. Jetzt werden die Hardliner in Washington wohl wieder die Kriegspläne aus der Schublade holen. Sollte es aber unter den Strategen auch welche geben, die eine vernünftige Lösung einer Kreuzzugsideologie vorziehen, werden sie darauf hinweisen, dass ein Krieg gegen den Iran nun noch gefährlicher geworden ist.
Es hat sich herausgestellt, dass die Radikalen immer noch in der Lage sind, mehr als 17 Millionen Wähler für sich zu mobilisieren. Das sind zu einem nicht geringen Teil "Gotteskrieger", die Gewehr bei Fuß stehen. Für die USA würde der Einmarsch in den Iran zu einem Gang in die Hölle werden. In der gesamten Region würde ein Chaos ausbrechen. Aber auch Wirtschaftssanktionen würden nicht den trotzigen Islamisten schaden, sondern jenen Kräften, die nach Reformen und Demokratie streben. Und das ist die überwiegende Mehrheit des iranischen Volkes.

Aus: taz, 27. Juni 2005


Irans Schicksalswahl?

Von Kambiz Behbahani

Keine Wahl zuvor schien für Irans Zukunft so wichtig zu sein: Das Land befindet sich am Rande eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chaos’, zudem steht es unter großem Druck von außen, die Stimmung ist schlecht. Kein Wunder, dass der neue Staatspräsident – der Wunschkandidat des »Revolutionsführers« Ajatollah Khamenei und des Wächterrats – nirgends überschwänglich gefeiert wurde. Es steht außer Zweifel, dass bei der Wahl Mahmud Ahmadinedschads Betrug und handfeste Drohungen eine Rolle gespielt haben. Aber sie erklären nicht alles. Die Niederlage der »Reformer« resultiert auch aus deren Uneinigkeit und aus der Enttäuschung, die das Wirken des »Reformerpräsidenten« Khatami hinterlassen hat.

Nun haben die Fundamentalisten alle Macht – und alle Verantwortung. Sie können niemanden als sich selbst für die Misere verantwortlich machen. Der Wahlsieger weiß das und bedient sich linker Losungen, wenn er »soziale Gerechtigkeit« und den Kampf gegen die Wirtschaftsmafia propagiert. Doch er ist ein Rechtsradikaler. Kenner Irans fürchten die Bildung einer Regierung der Revolutionsgarden und einen »iranischen Reichstagsbrand«: Die Ultrakonservativen werden keine Kompromisse mehr eingehen, Andersdenkende sind ihnen zuwider. Und während selbstbewusste Frauen um ihre wenigen Freiheiten bangen, wächst die Gefahr eines Angriffs der USA.

Aus: Neues Deutschland, 27. Juni 2005


Christiane Hoffmann schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der neue iranische Präsident Mahmoud Ahmadineschad verdanke seinen Überraschungssieg vor allem drei Faktoren: "der Unbeliebtheit seines Gegenkandidaten Rafsandschani, dem sozialen und wirtschaftlichen Mißerfolg der Ära Chatami und dem Netzwerk von Macht und Einfluß, über das die Konservativen mit den Freitagspredigern, Revolutionswächtern und der Volksmiliz der Basitsch im Land verfügen." Am Ende ihres Artikels ("Alle Iraner wollen vom Öl profitieren") geht sie auf die Bedeutung der iranischen Paramilitärs ein:

(...) Bereits bei den Parlamentswahlen im vergangenen Frühjahr hatten die Kandidaten der siegreichen konservativen Gruppierung Abadgaran Einrichtungen der Volksmiliz der Basitsch in ihrer Wahlkampagne benutzt. Auch sollen Kommandeure der Revolutionswächter Listen mit den Namen der Kandidaten verteilt haben, für die zu stimmen sei. Auch bei dieser Wahl mobilisierten die Konservativen vor allem die Basitsch, die gerade in ländlichen Gebieten zusammen mit den örtlichen Freitagspredigern oftmals als einzige staatliche Institutionen in Erscheinung treten. Sie konnten sich die Unentschiedenheit vieler Wähler zunutze machen, die oftmals beim Betreten des Wahllokals noch nicht wußten, für wen sie ihre Stimme abgeben würden.
Die paramilitärische Basitsch, ein Überbleibsel des Krieges gegen den Irak, sind Freiwilligenverbände, die ihre jugendlichen Mitglieder schon im Schulalter rekrutieren, Teenager im Umgang mit Schußwaffen trainieren und meist im Umfeld der lokalen Moscheen die Ideologie der Revolution und das Andenken an den Irak-Krieg pflegen. Sie sind Teil der Revolutionsgarde, der Pasdaran, die dem religiösen Führer untersteht und über wirtschaftliche Ressourcen verfügt, die der Kontrolle der Regierung vollkommen entzogen sind.
Vor einigen Jahren schreckte das damals noch von Reformern dominierte Parlament mit der Nachricht auf, daß die Pasdaran am Persischen Golf ganze Häfen betrieben, zu denen Regierungskräfte keinen Zugang haben. Sie kommen unmittelbar aus der Bevölkerung, vor allem aus den unteren Schichten, und sind in ihr verwurzelt. Gleichzeitig verfügen sie über Kontakte bis in höchste Kreise.
Bei Basitsch und Pasdaran vermengen sich Wohltätigkeitsaktionen und dunkle Geschäfte, Armenspeisung und Drogenschmuggel, Schlägertrupps und Impfbrigaden zu einem islamisch geprägten, dem religiösen Führer ergebenen Heer politischer und militärischer Aktivisten, von denen der Revolutionsführer Chomeini einmal gesagt hat, es müßte ihrer bei 20 Millionen Jugendlichen im Land auch 20 Millionen geben. Das dürfte übertrieben sein, aber immerhin ist es ihrem Mann Ahmadinedschad gelungen, fast vierzig Prozent des iranischen Elektorats für sich zu mobilisieren.

Aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. Juni 2005


Stimmen von Politikern

Bundesaußenminister Joschka Fischer
schrieb in einem Beitrag für Bild am Sonntag (26. Juni 2005), es habe "erhebliche Mängel" bei der Wahl gegeben. Die künftige Zusammenarbeit werde entscheidend davon abhängen, "wie es Iran gelingt, international Vertrauen zu erwerben und sich weiter zu öffnen". Fischer bemängelte den Ausschluss zahlreicher Kandidaten von der Wahl und verlangte vom Iran zudem "objektive Garantien" dafür, dass dessen Atomprogramm ausschließlich für friedliche Zwecke genutzt werden könne. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass die Gespräche zwischen Iran und Frankreich, Großbritannien, Deutschland und dem EU-Außenbeauftragten Javier Solana fortgesetzt würden. Deutschland werde sich gemeinsam mit den europäischen Partnern weiter "für die Achtung der Menschenrechte, die Garantie bürgerlicher Freiheiten, die Durchsetzung der verfassungsmäßig verankerten Grundrechte sowie der Frauen- und Minderheitenrechte, Freiheit für politische Gefangene und die Stärkung der demokratischen Institutionen einsetzen".

Bundespräsident Horst Köhler
gratulierte Ahmadinedschad zu seinem neuen Amt. Deutschland sei gemeinsam mit seinen europäischen Partnern bereit, die Zusammenarbeit mit dem Iran auszubauen, schrieb Köhler dem Wahlsieger. "Dies wird durch Fortschritte im Dialog über Demokratie und Menschenrechte, über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Terrorismusbekämpfung sowie nicht zuletzt über das iranische Nuklearprogramm positiv beeinflusst werden", fügte Köhler hinzu.

Großbritanniens Außenminister Jack Straw
forderte Ahmadinedschad auf, auf die Bedenken der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des Atomprogramms einzugehen. Straw sagte, er hoffe, dass unter Ahmadinedschads Führung auch der internationalen Sorgen wegen der iranischen Haltung gegenüber Terrorismus, Menschenrechten und dem Friedensprozess im Nahen Osten Rechnung getragen werde. Großbritannien und seine europäischen Verbündeten wollten sich darum bemühen, in diesen Bereichen eine Bewegung beim Iran zu erreichen, damit das Land "auf seinen ihm zustehenden Platz in der internationalen Gemeinschaft" zurückkehre.

Die USA
haben nach der Wahl des religiös-konservativen Kandidaten Mahmud Ahmadinedschad zum neuen Präsidenten des Iran die freiheitlich orientierten Kräfte im Land ermutigt. "Wir stehen weiter denen zur Seite, die größere Freiheit für das iranische Volk fordern", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Maria Tamburri, der Nachrichtenagentur AFP am 25. Juni. Die US-Regierung sei angesichts der Wahl im Iran, von der mehr als tausend Kandidaten ausgeschlossen worden seien, besorgt. Zudem habe es zahlreiche Beschwerden wegen Wahlbetrugs geben. Die USA unterstützten "freie und faire Wahlen", durch die das iranische Volk seinen Willen bekunden könne.

Die Europäische Union
hat den Verlauf der Präsidentschaftswahl im Iran kritisiert. Zahlreichen Politikern sei die Kandidatur verwehrt worden, erklärte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Javier Solana am Samstag in Brüssel. Nur eine freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit könnten eine wirklich freie und faire Wahl garantieren. Die EU lege Wert darauf, dass der Iran politische und wirtschaftliche Reformen einleite.

Simon Peres:
Mit der Wahl des ultrakonservativen Mahmud Ahmadinedschad zum neuen iranischen Präsidenten sind nach Ansicht der israelischen Regierung Chancen für eine Entspannung gesunken. "Schlussfolgerung ist, dass die gefährliche Kombination aus Extremisten, nicht-konventionellen Waffen und einer Isolation vom Westen weitergeht", erklärte der israelische Vize-Regierungschef Schimon Peres. Er sagte, die iranischen Wahlen seien nicht frei gewesen.

Die palästinensische Autonomiebehörde
will den Sieg des ultrakonservativen Kandidaten Mahmud Ahmadinedschad bei der iranischen Präsidentschaftswahl "respektieren". Der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat sagte am Samstagabend in Jericho, der Wahlgang im Iran sei eine "innere Angelegenheit" des Landes. "Wir respektieren das Ergebnis."

Russlands Präsident Wladimir Putin
gratulierte Ahmadinedschad zu seinem Wahlsieg und sicherte dem Iran eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomtechnik zu. In einem Brief an Ahmadinedschad schrieb Putin, die Kooperation werde über die Fertigstellung des Reaktors in der iranischen Hafenstadt Buschehr fortgesetzt. Russland hat seine Zusammenarbeit mit dem Iran verteidigt, Teheran aber gleichzeitig aufgefordert, sich den Regeln der internationalen Gemeinschaft zu unterwerfen.

Der Sieger der iranischen Präsidentschaftswahl, Mahmud Ahmadinedschad,
hat seine politischen Gegner zur Zusammenarbeit aufgerufen. "Ich lade alle ein", sagte der ultrakonservative Teheraner Bürgermeister am 26. Juni in der iranischen Hauptstadt. "Die Zeit des Wahlkampfes ist vorbei, jetzt beginnt die Zeit der Freundschaft." Die künftige iranische Regierung werde "eine Regierung der Freundlichkeit, der Arbeit und der Anstrengung" sein, fügte Ahmadinedschad hinzu. Gruppierungen und Parteien gebe es nur "in bestimmten Milieus"; sie stünden nicht für das gesamte Volk. "Alle müssen sich jetzt die Hände reichen, um das Land aufzubauen".

Quellen: Süddeutsche Zeitung (online-Ausgabe, 26. Juni 2005); Nachrichtenagenturen AFP, AP und dpa, alle 26. Juni 2005


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