Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Iran nach den Wahlen - das Ende der Reformen von oben

Von Naika Foroutan

Am 20. Februar 2004 hatten 46,3 Millionen iranische Wahlberechtigte die Gelegenheit, ihre Abgeordneten zum siebten Parlament (Majles) seit der Revolution vor 25 Jahren zu wählen. Im Gegensatz zu den letzten Wahlen, an denen eine rege Wahlbeteiligung von 67,4% die Partei der Reformer mit überragender Mehrheit ins Parlament einziehen ließ, ist bei dieser Wahl, in der die Konservativen eine absolute Mehrheit erzielen konnten, mit 50,7% die niedrigste Wahlbeteiligung seit Bestehen der Islamischen Republik zu konstatieren.

Neuer Parlamentspräsident wird voraussichtlich Ghulam Ali Haddad Adel, ein konservativer Professor der Philosophie, der bei den letzten Wahlen einen solch geringen Stimmenanteil hatte, daß er nur mittels Manipulationen des Wächterrats seinen Parlamentssitz bekam. Demgegenüber konnte der noch amtierende Parlamentspräsident Mehdi Karrubi, der für Teheran kandidiert hatte, im ersten Wahlgang nicht einmal die erforderliche Stimmenanzahl von 25% erreichen.

Insgesamt erhielten die Konservativen im ersten Wahlgang, bei dem 225 von 290 zu vergebenden Sitze besetzt wurden, 156 Sitze. Die Reformer haben gerade noch 39 erreicht, die verbleibenden Sitze gehen an unabhängige Kandidaten und 5 an Vertreter der religiösen Minderheiten wie Zoroastrier, Christen und Juden. Im Vergleich: Bei den letzten Parlamentswahlen im Februar 2000 erhielten die Reformer insgesamt 182 und die Konservativen nur 60 Sitze. In zwei von 58 Wahlkreisen müssen Stichwahlen durchgeführt werden, darunter in Teheran, wo eine Wahlbeteiligung von nur 28% zu verzeichnen war. Die endgültige Sitzverteilung steht erst nach dem zweiten Wahlgang Ende April 2004 fest.

Die Turbulenzen der Vorwahlzeit

Der Wächterrat, der die vom Parlament verabschiedeten Gesetze u.a. auf ihre Übereinstimmung mit dem islamischen Recht hin untersucht und bei negativem Resultat zurückweist, hat auch die Oberaufsicht über alle Volksreferenden, Parlaments-, und Präsidentschaftswahlen. Unter dem Vorsitz von Ayatollah Ahmad Jannati zählt dieses Organ zu den stärksten Machtbastionen der Rechtstraditionalisten oder der Konservativen. In diesem Jahr hatte der Wächterrat die Kandidatur von 3414 Männer und Frauen für die Parlamentswahlen abgelehnt, unter ihnen 80 amtierende Parlamentarier. Dies entspricht einer Ablehnung von 44,2% der Kandidaten. Von den Kandidatinnen wurden 49% von der Wahl verbannt. Daraufhin führten Abgeordnete im Parlament einen mehrere Tage dauernden Sitzstreik durch, der für internationales Aufsehen sorgte. Obwohl der Wächterrat daraufhin unter dem Druck der Öffentlichkeit die Ablehnung von 1365 Kandidaten rückgängig machte, lehnte er zusätzlich die Kandidatur von sieben weiteren Parlamentariern ab (insgeamt 87). Aufgrund dieser Eingriffe des Wächterrates in den Wahlprozeß verzichteten 128 Abgeordnete auf ihre Kandidatur. Die Abgeordneten der ehemals größten Partei der Reformer, der "Partizipationsfront" (moscharekat) können als die größten Wahlverlierer angesehen werden, da sie nun keinen einzigen Vertreter mehr im Parlament hat. Mit ihnen hatten insgesamt 10 Parteien aus dem Reformbündnis "2. Khordad", welches insgesamt 18 Parteien und Vereinigungen umfaßte, ihre Teilnahme an den Wahlen zurückgezogen, darunter auch die einflußreiche Studentenorganisation "Büro zur Festigung der Einheit" (daftar-e tahkim-e wahdat) und die "Glaubenskämpferorganisation der Islamischen Revolution (sazman-e modjahedin-e enqelab-e eslami). Die ebenfalls zum Reformbündnis gehörende einflußreiche Klerikervereinigung "Gemeinschaft der kämpfenden Geistlichen" (majma'-e rohaniyun-e mobarez), der auch Staatspräsident Khatami angehört, hatte einen Wahlboykott abgelehnt, weil sie ihn für systemfeindlich hielt. Stattdessen hatte der Präsident zu einer Teilnahme an den Wahlen aufgerufen, aber offen seinen Unmut über das undemokratische Verhalten des Wächterrats kundgetan. In seinem Aufruf hatte er die Wähler dazu angehalten, zumindest zu verhindern, daß jene "die man nicht dort sehen wolle" ins Parlament einziehen.

Konsequenzen des Wahlergebnisses für die Reformer

Nach Wächterrat und Justiz kontrollieren die reformfeindlichen Kräfte nun auch das Parlament. Das Scheitern der staatlichen Reformbewegung oder Reform von oben scheint damit besiegelt. Trotz des Wahlsiegs Khatamis vor sieben Jahren, ist es den Reformern nicht gelungen, den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel zu verwirklichen, den die Iraner von ihr erwartet hatten. Dies lag zu einem großen Teil daran, daß die konservative Machtelite Irans um den obersten Rechtsgelehrten Khamenei und den aus unterschiedlichsten Positionen agierenden ehemaligen Staatspräsidenten Rafsandjani die wichtigsten Machtzentralen, wie Wächterrat, Feststellungsrat, Justiz, Armee und Basijis (Miliz), von Anbeginn kontrollierte und nicht gewillt war, trotz der verlorenen Wahlen von diesen Machtpositionen abzurücken.

Zudem war ein Großteil der Reformabgeordneten aus Rücksicht auf die Sicherheit des islamischen Staates nicht bereit, scharfe Gegenpositionen zum bestehenden Regime aufzubauen. Es darf nicht vergessen werden, daß viele der Reformer aus dem revolutionären Zirkel um den Staatsgründer Khomeini stammen und trotz Reformwillen keineswegs durch harte Konfrontation einen Zusammenbruch des islamischen Systems provozieren wollten. Deshalb vermieden sie es offen gegen die Hüter der islamischen Grundordnung im Wächterrat zu opponieren, obwohl ihre Wähler genau dies von ihnen erwartet hatten.

So hatte sich innerhalb der Bevölkerung jene Politikverdrossenheit eingeschlichen, die in der Überzeugung mündete, daß es in Wahrheit keinen Unterscheid mache, ob im Parlament Konservative oder Reformer säßen, denn letztendlich "bleibe der Hund immer der Bruder des Schakals", selbst wenn er zunächst als Menschenfreund gelte. Daß die Bevölkerung nicht in dem Maße auf die Wahlboykottaufrufe reagierte, wie die Reformer sich das erhofft hatten, hat wohl mit der Enttäuschung über die Politik der Reformer zu tun. Allerdings hatte es von deren Seite auch keine großen Bemühungen gegeben, einen wirklichen Boykott zu organisieren.

Die Reformer haben abgewirtschaftet

Entgegen den Erwartungen der Reformer ist die Wahlbeteiligung mit 50,7% relativ hoch ausgefallen. Dies verweist darauf, daß die Bevölkerung dem mutlosen Verhalten der Parlamentarier während der Legislaturperiode des sechsten iranischen Parlamentes die Schuld gibt, das Land nicht aus der totalitären politischen Situation herausgeführt zu haben. Keines ihrer vorrangigen Reformanliegen - Sicherung der Rede- und Pressefreiheit, Verfassungsänderungen in Richtung einer Ausweitung der bürgerlichen Grundrechte, noch vor der Forderung nach Wirtschaftsreformen und der Verbesserung der finanziellen Lage der Bevölkerung -, konnten sie in den letzten vier Jahren durchsetzen. Auch die wirtschaftliche und soziale Lage (ca. 17% Inflation und über 20% Arbeitslose, vor allem unter den Jugendlichen) hat sich während der Legislaturperiode der Reformer nicht verbessert. Alle Reformvorhaben wurden entweder von dem geistlichen Staatsführer Khamenei oder in nächster Instanz vom Wächterrat blockiert.

Zwar war sich die Bevölkerung der Grenzen der Reformer bewußt, doch sie kritisierte, daß sie nicht energisch genug gegen die Einschränkung ihrer parlamentarischen Rechte vorgingen. Die Sitzstreiks im Parlament im Laufe der Vorwahlperiode und die öffentlichen Proteste gegen die Abweisung von 2500 Kandidaten für die Parlamentswahl, seien nur zustande gekommen, weil sich unter den abgewiesenen Kandidaten auch 80 Parlamentarier befanden; ansonsten hätten sie wahrscheinlich wieder nicht reagiert. Tatsächlich hatte sich bereits vor dem skandalösen Verhalten des Wächterrats abgezeichnet, daß die Reformer Stimmenverluste hinnehmen müßten, weil ihr potentielles Wählerklientel - vor allem Jugendliche, Frauen, die städtische Mittel- und Oberschicht - enttäuscht den Wahlurnen fernbleiben würde.

Auch bei denjenigen Reformern, die sich als verfassungsloyal bezeichnen, müßten nun Zweifel aufkommen. Ihr Konzept der Reform von oben im Rahmen der iranischen Verfassung ist offensichtlich gescheitert. Sie haben das Parlament als Forum verloren und somit sind ihre Reformmöglichkeiten innerhalb der Institutionen gering. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, sich als außerparlamentarische Opposition neu zu formieren und gemeinsam mit den aktiven NGO's für eine Reform von innen zu kämpfen.

Ausblick

Trotz der Niederlage der Reformer: kann man von einem Sieg der Konservativen sprechen? Die Wähler waren im Vorfeld durch Drohungen dazu angehalten worden, zur Wahl zu gehen. Trotzdem war es die niedrigste Wahlbeteiligung seit Bestehen der Islamischen Republik. Die Drohungen hatten zwar nicht alle beeindruckt, aber die Enthaltungen in Form von weißen und ungültigen Stimmzetteln (ungefähr 15%) zeigen dennoch die Furcht vor Repressalien im Falle eines Wahlboykotts. Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, daß in vielen kleinen Städten und auf dem Lande nicht die Treue zum System ausschlaggend war, sondern lokale Einflußfaktoren und ethnische und konfessionelle Rivalitäten. Nach Abzug der Enthaltungen und in Anbetracht einiger Wahlmanipulationen kann man von einer Systemakzeptanz von maximal 30% ausgehen. Das zeigt, daß das Regime offensichtlich einen Großteil seiner Basis verloren hat.

Trotz seiner konservativen Mehrheit bildet das neue siebte Parlament keineswegs eine homogene Struktur. Auch die Konservativen teilen sich in Pragmatiker, Technokraten und Realisten auf der einen und radikal-religiöse, ideologische Hardliner auf der anderen Seite. Der religiös-ideologische Wächterrat wird auch das Verhalten der neuen Konservativen kontrollieren, und den Pragmatikern unter den Konservativen muß es erst einmal gelingen, die Radikalen in ihren eigenen Reihen in Schach zu halten. Das neue konservative Parlament ist also keineswegs ohne innere Widersacher, auch wenn die Reformer aus dem institutionellen Entscheidungsprozeß verdrängt werden konnten.

Die Konservativen werden versuchen, die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Einschränkung ihrer politischen Freiheiten durch Zugeständnisse bei der Kleiderordnung, durch kleinere persönliche Freiheiten oder durch eine verbesserte wirtschaftliche Situation abzufangen. Dennoch wird sich der Unmut der Bevölkerung nicht so einfach kanalisieren lassen.

Die klientelistische konservative Oligarchie wird zwar durch die halbstaatliche Wirtschaft des Bazars im Iran gestützt, dennoch wird der ungenügende Rückhalt aus der Bevölkerung als destabilisierender Faktor latent auf die konservativen Machtpositionen einwirken und den Transformationsprozeß im politischen System Irans weiter in Gang halten.

* Der Autor promoviert in Göttingen am Seminar für Politikwissenschaft


Dieser Beitrag erschien in: inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Nr. 37, April 2004

Die Zeitschrift inamo erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
Redaktion inamo
Dahlmannstr. 31
10629 Berlin
(Tel.: 030/86421845; e-mail: redaktion@inamo.de )




Zurück zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage