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"Ausgezeichnete Kontakte zu allen Parteien"

Türkei will im Streit um Irans Atomprogramm vermitteln. Ahmadinedschad-Besuch in Ankara angekündigt

Von Nico Sandfuchs, Ankara *

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad wird überraschend zu einem Besuch in die Türkei reisen. Dies bestätigte der türkische Außenminister Ali Babacan am Mittwoch (30. Juli) in Teheran am Rande der Konferenz der Blockfreien Staaten. Zwar stehe der 14. August, den türkische Medien zuvor als Datum für den Besuch verbreitet hatten, noch nicht endgültig fest. Die Reise werde aber »in allernächster Zukunft stattfinden«, versicherte Babacan.

Teheran bemüht sich bereits seit mehr als einem Jahr um einen Termin, ist bislang jedoch mit Blick auf US-amerikanische Bedenken von Ankara immer abschlägig beschieden worden. Daß der Besuch nun so kurzfristig zustande kommt, führen Beobachter vor allem auf die sich abzeichnende Vermittlerrolle der Türkei im Streit um das iranische Atomprogramm zurück, die offenkundig auch von den USA unterstützt wird. Nach dem ergebnislosen Ausgang der internationalen Gespräche in Genf am 19. Juli ist der türkische Außenminister bereits mehrfach mit dem iranischen Chefunterhändler Said Jalili sowie einigen Außenministern der sogenannten Iran-Sechsergruppe (USA, China, Rußland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) zusammengetroffen, um »Möglichkeiten für eine Einigung« zu sondieren.

Vor seinem Abflug nach Teheran hatte Babacan am Dienstag (29. Juli) bestätigt, daß die Türkei »an einer Verbesserung der Kommunikation unter den Parteien im Atomstreit und an einem Abbau des gegenseitigen Mißtrauens« arbeite. Aus Ankara hieß es, bei einer Begegnung mit Präsident Ahmadinedschad, Außenminister Mottaki und Chefunterhändler Jalili habe Babacan appelliert, die »große Chance« von Verhandlungen mit der »Iran-Sechsergruppe« nicht ungenutzt verstreichen zu lassen und mit dem Westen »im Gespräch zu bleiben«.

Offiziell begründet die Türkei ihre Vermittlungsinitiative damit, über »ausgezeichnete Kontakte« zu allen Konfliktparteien und über »Glaubwürdigkeit« zu verfügen, was einer Rolle als Mittelsmann entgegenkomme. Allerdings dürften vor allem die jüngsten israelischen Kriegsdrohungen und türkische Ängste vor weiteren UN-Sanktionen gegen den Iran den Hintergrund für das Engagement bilden. Denn seit sich der Westen zunehmend aus dem Iran-Geschäft zurückzieht, hat die Türkei ihr Engagement im iranischen Energie- und Bausektor massiv verstärkt. Auch das Handelsvolumen mit dem Nachbarland wuchs allein im vergangenen Jahr um 25 Prozent, seit 2002 hat sich der Warenaustausch gar auf zehn Milliarden Dollar verfünffacht. Angaben des türkischen Staatsministers Kürsad Tüzmen zufolge wird bis 2011 mit einem weiteren Anstieg auf 20 Milliarden Dollar gerechnet.

Einwände Washingtons gegen das Iran-Geschäft hat Ankara bislang zwar immer zurückgewiesen, jedoch könnte eine weitere Zuspitzung des Atomstreits die Türkei schon bald zu einem Abbruch des lukrativen Handels mit dem Nachbarstaat zwingen. Neben wirtschaftlichen Erwägungen und einer Stärkung ihrer Rolle als Regionalmacht, an der die Türkei derzeit intensiv arbeitet, meinen türkische Beobachter, einen weiteren Grund für die Vermittlungsinitiative ausmachen zu können. Demnach ist die Türkei bemüht, Unterstützung für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat als nichtständiges Mitglied zusammenzutrommeln. Durch die Initiative im Atomstreit wolle man für die Kandidatur punkten, hieß es am Mittwoch (30. Juli).

* Aus: junge Welt, 31. Juli 2008


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