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Atomstreit entschärft

USA stellen Iran »bescheidene« Lockerung von Sanktionen in Aussicht. Teheran erklärt sich dafür offenbar zu weitreichendem Verzicht bei Urananreicherung bereit

Von Knut Mellenthin *

Iran und die internationale Verhandlungsgruppe haben sich am Freitag in Genf offenbar auf ein erstes Teilabkommen zur Entschärfung des Streits um das iranische Atomprogramm geeinigt. Entscheidendes Signal war am Donnerstag abend die überraschende Ankündigung von US-Außenminister John Kerry, zu den Verhandlungen in die Schweiz zu fliegen. Kurz darauf folgten ihm seine Amtskollegen aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Kern der Vereinbarung, deren Inhalt zunächst vertraulich behandelt wurde, ist anscheinend ein sechsmonatiges Moratorium. Iran wird in dieser Zeit Teile seines Atomprogramms »einfrieren«. Im Gegenzug soll es eine »bescheidene« Lockerung einiger Sanktionen geben. Ziel des Morato­riums ist es, mehr Zeit für die Aushandlung eines umfassenden Vertragswerks zu gewinnen. Die Sanktionen können wieder in Kraft gesetzt werden, wenn Iran während des Moratoriums seine Verpflichtungen nicht erfüllt oder wenn man sich nach dessen Ablauf nicht auf eine Gesamtregelung geeinigt hat.

Die ausführlichste Darstellung der angeblichen iranischen Zusagen brachte am Donnerstag die britische Tageszeitung Telegraph. Demzufolge ist Iran zur Einstellung der 20prozentigen Urananreicherung bereit. Das Land benötigt das Material für die Produktion von Brennplatten zum Betrieb eines medizinisch genutzten Reaktors und hatte diese Anreicherungsstufe im Februar 2010 notgedrungen aufgenommen, weil der Druck der US-Regierung es unmöglich machte, den Brennstoff auf dem internationalen Markt zu kaufen. Des weiteren wolle Teheran die Zahl der Zentrifugen reduzieren, mit denen Uran auf 3,5 Prozent des spaltbaren Isotops 235 angereichert wird. Das Material wird als Brennstoff für Atomkraftwerke benötigt. Als dritten Punkt sagte die iranische Regierung demnach zu, während des Moratoriums den Schwerwasserreaktor in Arak nicht zu aktivieren. Dort könnte Iran, rein theoretisch, später waffenfähiges Plutonium aus verbrauchten Brennstäben gewinnen. Dafür wäre allerdings eine Aufbereitungsanlage und entsprechende Technik erforderlich, auf die das Land schon vor mehreren Jahren freiwillig verzichtet hatte. Abschließend werde sich Teheran laut Telegraph verpflichten, den moderneren, drei- bis viermal effektiveren Zentrifugentyp IR-2 nicht zur Anreicherung einzusetzen. Darauf hat Iran auch bisher schon verzichtet, offenbar zur Erleichterung der Verhandlungen.

Mit welchen Gegenleistungen die Iraner rechnen können, war am Freitag zunächst noch unbekannt. Die Umschreibungen US-amerikanischer Politiker und Sprecher besagen nur, daß es sich um eine »begrenzte, zielgerichtete und wieder rückgängig zu machende« Aussetzung einer sehr geringen Zahl von Sanktionen handeln soll. Die eigentliche »Sanktionsarchitektur«, die darauf abzielt, Iran den Export von Erdöl und die Abwicklung internationaler Geldgeschäfte unmöglich zu machen, soll hingegen bis zu der noch auszuhandelnden Gesamtregelung aufrechterhalten werden.

Benjamin Netanjahu sagt also die Unwahrheit, wenn er behauptet, mit dem Genfer Abkommen hätten die Iraner »alles bekommen, was sie wollten«. Der israelische Premier wirkte am Freitag außer sich vor Wut und wetterte, das zu erwartende Abkommen sei »ein riesiger Fehler«. Israel fühle sich an keine Abmachungen zwischen Iran und der internationalen Verhandlungsgruppe – die immerhin den UN-Sicherheitsrat repräsentiert – gebunden und behalte sich das Recht auf »präventive« Kriegshandlungen gegen Iran vor.

* Aus: junge Welt, Samstag, 9. November 2013


Wettrennen des Westens nach Genf

Die Zeichen zwischen Iran und seinen bisherigen Kritikern stehen auf Annäherung

Von Roland Etzel **


Nach jahrelangem Stillstand deutete bei den Genfer Atomgesprächen mit Iran manches zumindest auf eine Teileinigung hin. Das gestrige ministerielle Wettrennen nach Genf sprach dafür.

Ursprünglich verhandelte ein stellvertretender iranischer Außenminister auf der einen Seite und ähnlich subrangige Regierungsbeamte der 5+1-Staaten sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton auf der anderen. Das wurde in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag anders. US-Außenminister John Kerry ließ mitteilen, ihn veranlasse der offensichtliche Verhandlungsfortschritt nun zur Teilnahme in Genf. Über dessen Stand dürften die Regierungen der anderen teilnehmende Staaten ebenso gut informiert gewesen sein: Allerdings kommt es wie bei so vielen Dingen in der Politik darauf, dass ein Sachverhalt ausgesprochen werden muss, um als solcher zu gelten und nicht von irgendeinem, sondern dem Ranghöchsten im Kreise.

Also machten sich im Laufe des Freitags auch Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, sein britisches Pendant William Hague und der immer noch kommissarische deutsche Kollege Guido Westerwelle au den Weg. Der russische Ressort-Chef Sergej Lawrow allerdings, so erklärte ein Sprecher des dortigen Außenministeriums laut dpa, werde nicht nach Genf reisen.

So »überraschend«, wie die Agenturen meinten, es klassifizieren zu müssen, kam das alles allerdings nicht. Im Gegensatz zu früheren Runden deuteten diesmal mehrere Faktoren darauf hin, dass der Öffentlichkeit anschließend tatsächliche Verhandlungsergebnisse mitgeteilt werden. Noch am Freitagabend sollte es Erklärungen geben, welche Zugeständnisse jede der beide Seiten machen will und wie es danach weitergeht.

Durchgesickert oder besser gezielt in Umlauf gesetzt worden war zuvor schon eine Reihe technischer Einzelheiten, wie Iran die Weiterarbeit an seinem Atomprogramm zu modifizieren bereit sein könnte. Genannt wurden beispielsweise die Aussetzung von Arbeiten am Plutoniumreaktor in Arak oder die Reduzierung der Urananreicherung auf 20 Prozent bis hin zum gänzlichen Stopp der Anlage. In jedem Falle geht es um das Aussetzen von wichtigen Teilen des iranischen Atomprogramms.

Die präsentierten Ergebnisse sind, welche es auch im Einzelnen sein mögen, dennoch als vorläufig zu betrachten, weil sie vermutlich zu Hause erst noch verteidigt werden müssen. Das betrifft sicher nicht alle, aber doch die federführenden Gesprächsteilnehmer, also Iran und die USA.

Von einem Durchbruch zu reden, ist gewiss verfrüht, aber dass überhaupt der Gedanke nicht völlig abwegig ist, hat in erster Linie mit der iranischen Seite zu tun. Diese ist zunächst einmal personell neu aufgestellt – mit dem im Juni neu gewählten Präsidenten Hassan Ruhani, früher selbst einmal Atomunterhändler, der mit der bis dahin gepflegten Teheraner Attitüde von einer Politik der Stärke brach. Dies hat mit einem offensichtlich anderen Verständnis von Politikstil zu tun, aber genauso mit einer spürbaren Verschlechterung der Versorgungslage im Land. Das eine bedingte wohl auch das andere.

Der in Genf verhandelnde ebenfalls neue Außenminister Mohammed Dschawad Sarif ist deshalb verdammt, mit greifbaren Resultaten nach Hause zu kommen, sprich der Zusage nennenswerter Lockerungen des Embargos und das nicht irgendwann, sondern möglichst sofort. Erstens braucht die Bevölkerung des Landes sie. Zweitens kann die Regierung so Versuche der erzkonservativen innenpolitischen Gegnerschaft ausbremsen, zum isolationistischen Politikstil von Präsidentenvorgänger Mahmud Ahmadinedschad zurückzukehren.

Misst man sie an ihren Verlautbarungen, wäre Letzteres eigentlich nicht im Interesse der USA und auch der EU. Aber es ist ja kein Geheimnis, dass es bei diesen Verhandlungen nicht allein um die von Iran ausgehende Gefahr einer Atombewaffnung geht, wenn überhaupt darum. Während Kerry vor seinem Flug nach Genf demonstrativ mit einer Art Ergebenheitsgeste in Jerusalem bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Station gemacht hatte, erklärte Präsident Barack Obama, es werde in einer ersten Phase »voraussichtlich nur sehr geringe Erleichterungen bei den Sanktionen geben«. Aber genau das könnte die Botschaft sein: Es wird welche geben.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 9. November 2013


Die Freude über Genf ist geteilt

Von Roland Etzel ***

Misst man sie an ihren vorherigen Verlautbarungen, müssten die USA und die EU-Staaten den gestrigen Tag als sehr erfolgreich in ihrem Kampf um Frieden im Nahen und Mittleren Osten ansehen. Aber die Bedenkenträger im Westen dominieren und warnen, es handele sich um einen üblen Versuch Irans, die Weltöffentlichkeit hinters Licht zu führen. Ergo: Keine Lockerung des Sanktionsregimes und weiter Druck machen.

Die Teheraner Führung unter Neupräsident Ruhani hat stets behauptet, dass es – vor allem Israel und den USA – gar nicht um eine Gefahr der atomaren Bewaffnung Irans ginge, sondern um die strategische Vorherrschaft im Mittleren Osten, die der Westen auf keinen Fall dem Nichtverbündeten Teheran überlassen möchte. Schlüssig zu beweisen war und ist bislang weder das eine noch das andere.

Umso mehr wird auf die Töne der politischen Begleitmusik gehört. Vor allem die aus Israel klingen aber hörbar rauer, je mehr der »Neue« in Teheran die zorngesteuerte Disharmonie seines Vorgängers durch zielführende Diplomatie gegenüber dem Rest der Welt ersetzt. Netanjahus wütende Appelle gegenüber US-Außenminister Kerry, dem Chef-Iraner kein Wort zu glauben, sind angesichts des nicht gerade glänzenden Rufs des israelischen Premiers sogar fast Ruhanis beste Fürsprache.

*** Aus: neues deutschland, Samstag, 9. November 2013 Kommentar)


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