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"Bruch zwischen Syrien und Iran ist undenkbar"

Besuch von Präsident Ahmadinedschad im Libanon stärkt Gewicht des Iran im Nahen Osten. Gespräch mit Mouin Rabbani

Mouin Rabbani ist Redakteur des Middle East Report und ein international renommierter politischer Experte. Er lebt in der jordanischen Hauptstadt Amman.

Der Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Libanon hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Bedeutet diese Visite, daß der Iran die Politik im Nahen Osten jetzt ganz offen mitbestimmen will?

Ich würde sagen: Ja. Teheran bewegt sich seit fast 30 Jahren auf der libanesischen Bühne, hat es aber bis heute vorgezogen, hinter den Kulissen zu agieren und sich auf die politische, militärische und finanzielle Unterstützung der Hisbollah zu beschränken. Jetzt spürt die iranische Regierung, daß sie in dieser Region ein so großes Gewicht hat, daß sie auch im Libanon offen agieren kann. Ahmadinedschad signalisiert zum Beispiel mit seinem Staatsbesuch allen anderen Akteuren, daß sein Land keinen syrischen Verbündeten mehr braucht, um seinen Einfluß geltend zu machen. Es ist kein Zufall, daß diese Reise nach der jüngsten gemeinsamen Visite des saudischen Königs und des syrischen Präsidenten Baschir Al-Assad stattfand.

Was bedeutet dieser Besuch regionalpolitisch?

Der iranische Staatschef läßt auf diese Weise die Welt wissen, daß nicht nur Riad und Damaskus die Stabilität in der Levante garantieren können, sondern daß auch der Iran dazu in der Lage ist. Ein Beleg dafür ist das Verhalten des libanesischen Ministerpräsidenten: Saad Hariri hat seine Meinung zur Einmischung Teherans in die Innenpolitik seines Landes sicherlich nicht geändert. Er ist sich aber darüber im klaren, daß man mit einem erstrangigen Protagonisten wie dem Iran wohl oder übel einen Dialog führen und darüber hinaus auch wirtschaftlich zusammenarbeiten muß.

Ist Ahmadinedschads Besuch auch ein Signal an Israel und an die USA?

Ohne jeden Zweifel. Gegenüber den USA demonstriert der iranische Präsident, daß sein Land stark genug ist, um auch im Libanon ein Gegengewicht zum US-Einfluß zu bilden. Noch deutlicher ist die Botschaft an Israel: Der Iran akzeptiert nicht mehr, daß allein Tel Aviv in dieser Region den Ton angibt.

Wie steht es um die Beziehungen zwischen dem Iran und Syrien? Stellt die Entwicklung im Irak, wo wahrscheinlich der vom Iran favorisierte Nouri Al-Maliki nächster Regierungschef wird, das seit 30 Jahren bestehende strategische Bündnis in Frage?

Ein Bruch zwischen Syrien und dem Iran ist undenkbar, weil beide Staaten durch ihre Allianz in drei Jahrzehnten sehr viel erreicht haben. In dieser Zeit ist jedoch etwas Grundlegendes geschehen: Syrien spielt zwar weiterhin eine Rolle, hat aber im Nahen Ostens an Bedeutung verloren. Der Iran hingegen ist zu einer regionalen Supermacht aufgestiegen, die ihr Gewicht in die Waagschale wirft -angefangen beim Einfluß auf die Innenpolitik des Irak. Auch wenn es keine tiefgreifenden Probleme zwischen den beiden verbündeten Staaten gibt - allen ist zugleich klar, daß der Iran strategisch und ökonomisch der Stärkere ist. Eine Situation, die Syrien zähneknirschend hinnehmen muß.

Aber ist es nicht bemerkenswert, daß Ijad Allawi, den die Syrer offenkundig als nächsten Regierungschef des Irak vorziehen, ausgerechnet in der syrischen Hauptstadt öffentlich gegen die Teheraner »Befehle« wettert?

Diese Äußerungen Allawis sollen es den Syrern offenbar ermöglichen, ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung über die politische Entwicklung im Irak Luft zu machen.Die Regierung in Damaskus ist der Ansicht, daß Syrien - und das im Namen der gesamten arabischen Welt! -im Irak eine besonders wichtige Rolle spielen muß, vor allem dann, wenn das US-Militär endgültig und vollständig abgezogen sein wird. Der iranische Einfluß erweist sich deshalb für das syrische Regime bei manchen Gelegenheiten als zu groß und als unangenehm. Damaskus wird aber nichts unternehmen, um zu Tehe­ran auf Distanz zu gehen, wie es die USA wohl gerne möchten - die finanziellen und industriellen Investitionen des Iran in Syrien sind dafür viel zu bedeutend. Hinzu kommen die Garantien, die der Iran für seine durch Syrien verlaufenden Erdöl- und Erdgaspipelines erhalten hat. Die ökonomischen Interessen beider Staaten überwiegen.

Interview: Raoul Rigault

* Aus: junge Welt, 19. Oktober 2010


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