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Letzte Chance für die Diplomatie? Zwischenbilanz der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Bernd Musch-Borowska (Moderation):
Seit April dieses Jahres gibt es wieder Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Beteiligt ist der Iran selbst und die sechs Mächte USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland.
Einen Durchbruch gibt es bislang nicht, doch die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden militärischen Angriffs Israels auf die umstrittenen iranischen Nuklearanlagen scheint vorerst gebannt. Jerry Sommer beschreibt Stand und Perspektiven der Verhandlungen.


Jerry Sommer (Manuskript)

Seit April wurden in Istanbul, Bagdad und Moskau insgesamt vier Gesprächsrunden über das iranische Atomprogramm durchgeführt. Weitere Gespräche werden am 24. Juli stattfinden. Die Obama-Administration ist vor den US-Präsidentschaftswahlen im November dieses Jahres nicht an einer militärischen Eskalation interessiert. Aber zu Kompromissen sei sie ebenso wenig bereit, sagte Reza Marashi im US-Internetsender „Dissent-Radio“. Marashi war bis vor kurzem im US-Außenministerium in der Iran-Abteilung tätig:

O-Ton Marashi (overvoice):
„Die Obama-Administration ist wegen der Wahlen und wegen Israel nicht in der Lage dem Iran irgendetwas anzubieten. Und die Iraner wollen nicht diejenigen sein, die als einzige Zugeständnisse machen.“

Immerhin, bei den Gesprächen wurden die verschiedenen Verhandlungspositionen ausführlich dargelegt. Die sechs Mächte konzentrierten sich dabei auf drei Forderungen an den Iran: Erstens solle der Iran die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent sofort einstellen. Zweitens müsse das bisher produzierte 20 prozentig angereicherte Uran außer Landes geschafft und drittens müsse die in einem Bergmassiv verbunkerte Anreicherungsanlage in Fordow geschlossen werden. Außerdem verlangten zumindest die westlichen Staaten, dass der Iran entsprechend den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates jegliche Urananreicherung einstellt.

Iran hat bisher circa 6000 Kilogramm an leicht angereichertem Uran hergestellt, aus dem Brennstäbe für zivile Kernkraftwerke produziert werden sollen. Auch hat es circa 150 Kilogramm an 20 prozentig angereichertem Uran hergestellt. Ein Drittel davon sind inzwischen in Brennelemente für einen kleinen Teheraner Forschungsreaktor umgewandelt worden, der medizinische Isotope für die Krebstherapie erzeugt. Damit ist Iran längst potentiell nuklearwaffenfähig. Denn bei einer weiteren Anreicherung könnte Teheran daraus fünf bis sechs Atombomben herstellen. Allerdings stehen alle Nuklearanlagen unter ständiger Kontrolle der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO. Aus 20 prozentig angereichertem Uran kann schneller 90 prozentig angereichertes Uran produziert werden, das für den Bau einer Atombombe notwendig ist. Jedoch gibt es nach wie vor keinen Beweis dafür, dass Teheran Atomwaffen überhaupt anstrebt. Die US-Geheimdienste bleiben bei ihrer Einschätzung, dass der Iran im Jahr 2003 ein strukturiertes Atomwaffenprogramm eingestellt und bisher nicht wieder in Gang gesetzt hat. US-Verteidigungsminister Leon Panetta bekräftigte dies Anfang des Jahres in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CBS:

O-Ton Panetta (overvoice):
„Versuchen Sie Atomwaffen zu entwickeln? Nein“

Die Sorge vor einer iranischen Atombombe hat die sechs Mächte veranlasst, dass 20 prozentig angereicherte Uran in den Mittelpunkt ihrer Forderungen zu stellen. Doch eine Rücknahme von Wirtschaftsanktionen, die die USA und die Europäische Union gegen iranische Ölexporte verhängt haben, wurde nicht als mögliche Gegenleistung auf den Verhandlungstisch gelegt. Die US-Außenministerin Hillary Clinton sprach in einer Veranstaltung von einer Bringschuld des Iran:

O-Ton Clinton (overvoice):
„Wir wollen Aktionen mit Aktionen beantworten, aber der Iran muss zuerst handeln“.

Der Iran legte einen Fünf-Punkte-Plan vor, der eine umfassende Regelung der Beziehungen auch über die Atomfrage hinaus zum Ziel hat. Teheran bestand darauf, dass der Iran entsprechend dem nuklearen Nicht-Weiterverbreitungsvertrag ein Recht auf eine Urananreicherung für zivile Zwecke hat. Sein Vertreter in den Atomgesprächen forderte einen langfristigen Plan zur Aufhebung aller Sanktionen. Dafür bot er an, den Bannspruch des iranischen Religionsführers gegen Atomwaffen - zum Beispiel in einem UN-Dokument - zu bekräftigen und über vertrauensbildende Maßnahmen in Bezug auf die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent zu sprechen. Allerdings konkretisierte der Iran bislang nicht, welche Einschränkungen bei der Urananreicherung und welche zusätzlichen IAEO-Kontrollen er akzeptieren würde. Dass die iranischen Angebote so vage seien, habe einen Grund, meint Peter Jenkins, der ehemalige Botschafter Großbritanniens bei der IAEO:

O-Ton Jenkins (overvoice):
„Die Iraner warten, dass tatsächliche Verhandlungen beginnen. Die haben keinen Anlass anzunehmen, dass der Westen gegenwärtig wirklich Interesse daran hat, zu verhandeln. Mindestens bis zu den Wahlen kann Obama es sich nicht leisten, sich in der Sanktionsfrage zu bewegen, das wäre politisch zu riskant für ihn.“

Obama will auch das Recht des Irans auf Urananreicherung für friedliche Zwecke nicht anerkennen. Denn sein republikanischer Gegenkandidat bei den Präsidentschaftswahlen wie auch ein größerer Teil des US-Establishments lehnen jegliche Urananreicherung im Iran kategorisch ab. Andere Staaten sind hier wesentlich flexibler. So hat sich Russland ebenso wie China, Brasilien und die Türkei dafür ausgesprochen, dieses Recht anzuerkennen, wenn Iran dafür zusätzliche IAEO-Kontrollen befürwortet. Der frühere britische IAEO-Botschafter Peter Jenkins bedauert, dass durch die starre Haltung der USA die Möglichkeiten zu einer Einigung verpasst würden:

O-Ton Jenkins (overvoice):
„Wenn den Iranern die Aussicht angeboten würde, die Sanktionen Schritt für Schritt zurückzunehmen und ihr Recht auf Urananreicherung zu akzeptieren, dann bin ich sehr sicher, dass sie bereit wären über eine Beendigung der Urananreicherung auf 20 Prozent zu reden.“

Die jüngsten Sanktionen der USA und der EU haben schon einen Rückgang der iranischen Ölexporte bewirkt, obwohl Russland, China und die anderen sogenannten BRIC-Staaten diese nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigten Sanktionen als illegal und kontraproduktiv ablehnen. Im US-Kongress werden schon weitere Maßnahmen diskutiert. Offensichtlich glaubt man in Washington, Teheran durch einen Wirtschaftskrieg letztlich in die Knie zwingen zu können. David Cohen, der als stellvertretender US-Handelsminister maßgeblich für die Sanktionspolitik verantwortlich ist, verglich in einem Interview mit dem US-Radiosender NPR die Situation um das iranische Atomprogramm heute mit der von 1988. Damals hatte der Iran nach einem achtjährigen Verteidigungskrieg einem Waffenstillstand mit Irak zugestimmt:

O-Ton Cohen (overvoice):
„Der iranische Religionsführer hat damals den Konflikt auch wegen der ökonomischen Lage des Landes beendet. Wir haben also Grund zur Annahme, dass wir durch wirtschaftlichen Druck eine politische Wende in Irans Herangehen erreichen können.“

Die Frage ist jedoch, was eigentlich erreicht werden soll. Dass der Iran der Maximalforderung zustimmt, jegliche Urananreicherung einzustellen, halten viele Experten für ausgeschlossen. Denn zum einen sind sich die iranische Regierung und auch die so genannte „grüne“ Opposition darin einig, die Urananreicherung zu zivilen Zwecken nicht aufzugeben. Zum anderen hat Teheran viele Möglichkeiten Sanktionen zu umgehen und Einnahmeausfälle auszusitzen – zum Beispiel mit seinen Währungsreserven in Höhe von 100 bis 150 Milliarden US-Dollar. Die Annahme, dass mehr Sanktionen mehr Zugeständnisse bringen könnten, sei falsch, kritisiert Rousbeh Parsi vom EU-Institut für Sicherheitsstudien:

O-Ton Parsi (overvoice):
„Ich glaube nicht, dass die Iraner einknicken werden. Die haben ihre eigenen Ziele. Und sie glauben, die Wirtschaftsanktionen durchstehen zu können. Zumindest werden sie es versuchen.“

Entscheidend für den Fortgang des Konfliktes um das iranische Atomprogramm werden die US-Präsidentschaftswahlen im November sein. Falls Obama wiedergewählt wird, sollte er dann einen neuen Weg einschlagen, meint der ehemalige britische IAEO-Botschafter Peter Jenkins:

O-Ton Jenkins (overvoice):
„Ich glaube, wenn Obama das Problem wirklich lösen will, dann sollte er seine Verhandlungsführer anweisen, echte Verhandlungen zu beginnen, und dabei die Rücknahme der Sanktionen als Verhandlungsmasse zu nutzen, um dem Iran Zugeständnisse abzuringen.“

Weitermachen wie bisher, also zu versuchen, den Iran durch Isolation, Sanktionen und militärische Drohungen zur Kapitulation zu bewegen, dürfte jedoch die wahrscheinliche Strategie des nächsten US-Präsidenten sein - selbst wenn diese wenig Erfolg verspricht und sogar in einen Krieg münden könnte.

* Aus: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 16.07.2012; www.ndrinfo.de


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