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Die Iran-Krise: / The Iran Crisis:

"Diplomatie" als Raketenabschussrampe / "Diplomacy" as a Launch Pad for Missiles

Von Norman Solomon

Die Welle, die die westliche Diplomatie derzeit schlägt, wird sich im Nachhinein wahrscheinlich als Grundlage für den Abschuss von Raketen auf den Iran entpuppen.

Luftschläge gegen Ziele im Iran scheinen mir sehr wahrscheinlich. Aber viele Friedensaktivisten in den USA sind geradezu versessen darauf zu glauben, dass das nicht passiert.

Erste Illusion: Das US-Militär hat genug mit dem Irak zu tun. Das Pentagon ist nicht in der Lage, es gleichzeitig mit dem Iran aufzunehmen.

Aber was in Aussicht steht, ist keine Invasion - vielmehr ein großer Luftschlag. Einen Luftschlag gegen Ziele im Iran zu führen, wäre das amerikanische Militär leicht in der Lage (falls diese Aufgabe nicht dem israelische! n Militär zufällt - das ebenfalls gut gerüstet ist, den Iran zu bombardieren).

Zweite Illusion: Die Bush-Administration stecke daheim in großen Schwierigkeiten - zum Beispiel wegen der Lügen über die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen - da könne es nicht noch einen Aufschrei der Empörung (wegen eines Angriffs auf den Iran) riskieren.

Das Weiße Haus bereitet im Inland langsam aber sicher den politischen Boden für Bomben auf Iran. Das Wall Street Journal vom 3. Februar: "Neuesten Umfragen zufolge sagen erstaunlich viele Amerikaner, sie würden einen amerikanischen Militärschlag unterstützen, damit Iran nicht die Bombe bekommt".

Im Übrigen lautet eine Schlagzeile derselben Zeitung: 'U.S. Chooses Diplomacy on Iran's Nuclear Program' - Wasser auf die Mühlen des Plans der Bush-Administration. Es ist ein alter Trick: Während du dich auf eine aggressive Militäraktion vorbereitest, betonst du gleichzeitig die Diplomatie.

Zwar hat Donald Rumsfeld auf der (Sicherheits-)Konferenz in München am 4. Februar verkündet, die Welt solle an einer "diplomatischen Lösung" arbeiten, um das iranische Atomprogramm zu stoppen. Am folgenden Tag jedoch zitierte die deutsche Tageszeitung 'Handelsblatt' aus einem Interview mit Rumsfeld: "Alle Optionen, auch die militärische, liegen auf dem Tisch".

Amerikanische Top-Offizielle zögern nicht - im Sinne des Majestatis Pluralis - für die ganze Welt zu sprechen. So sagte US-Außenministerin Condoleeza Rice am Wochenende: "Die Welt wird nicht daneben stehen, während der Iran weiter voranschreitet auf dem Pfad der atomaren Waffenfähigkeit". Gleichzeitig erklärte Rumsfeld: "Das iranische Regime ist heute in der Welt der führende staatliche Sponsor des Terrors. Die Welt will keinen nuklearen Iran und muss zusammenarbeiten, um einen solchen zu verhindern".

Das heißt übersetzt: Zuerst geben wir uns diplomatisch, dann können wir bomben.

Dritte Illusion: Die USA werden den Iran nicht ang! reifen, um nicht mehrere Millionen mit dem Iran verbündete Schiiten im Irak gegen sich aufzubringen, denn das wäre dem amerikanischen Krieg im Irak sehr abträglich.

Andererseits macht es heutzutage wenig Sinn, davon auszugehen, dass die Bush-Administration rational handelt. Die Leute, die unsere Außenpolitik bestimmen, haben eigene Prioritäten - Verhinderung eines Katastrophenszenarios gehört nicht dazu.

Ebenso wenig genießt die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen einen hohen Stellenwert im Bewusstsein dieser Leute - nach dem einvernehmlichen Verhältnis zwischen Washington und den Atommächten Israel, Indien und Pakistan zu urteilen. Im Gegensatz zum Iran hat keiner der genannten Staaten den Atomwaffensperrvertrag je unterzeichnet, und von diesen vier Ländern ist Iran das einzige, das eine Inspektion seiner Atomanlagen duldet. Ausgerechnet dieses Land bedrohen die Schlauköpfe aus Washington nun im Endeffekt mit Bombardement.

In den Köpfen der Was! hingtoner Neocons reifen die Blütenträume - angesichts der massiven Öl- und Ergasvorkommen im Iran. Durch ihre Köpfen spukt die abwegige Hoffnung, man könne das Regime in Teheran stürzen. In Wirklichkeit würde ein Angriff auf Iran nur die extremsten Kräfte innerhalb des Teheraner Regimes stärken. Falls das iranische Regime jemals irgendein Interesse an der Entwicklung von Atomwaffen hatte - nach einem solchen Angriff erst recht.

"Die USA werden das Atomproblem nicht lösen, indem sie Militärschläge androhen oder den Iran vor den UN-Sicherheitsrat zerren", so die Iranerin und Friedensnobelpreisträgerin 2003 Shirin Ebadi in der Los Angeles Times vom 19. Januar 2006. Koautor des Artikels ist Muhammed Sahimi, ein Professor für 'Chemical Engineering' an der University of Southern California. "Obwohl die große Mehrheit der Iraner gegen die Hardliner im Land ist und wünscht, dass sie stürzen, unterstützt diese Mehrheit auch das Atomprogramm, denn es ist zur Quelle des Stolzes geworden! für eine alte Nation mit glorreicher Vergangenheit", so der Artikel.

Und weiter: "Ein militärischer Angriff würde die nationalistischen Gefühle neu entflammen. Iran ist nicht Irak. Angesichts des leidenschaftlichen Nationalismus und der Märtyrer-Traditionen der Schiiten provozierte jeder militärische Schritt eine Reaktion, die die gesamte Region mit einschließen würde. Das Resultat wären unzählige Tote und wirtschaftlicher Ruin, nicht nur für die Region, sondern für die Welt. Auch UN-Sanktionen gegen den Iran wären kontraproduktiv - denn diese würden Teheran veranlassen, aus dem Atomwaffensperrvertrag und dessen Zusatzprotokoll auszusteigen. Ist die Welt bereit, mit solchen Aussichten zu leben?"

Zwar rufen Ebadi und Sahimi - wegen massiver Menschenrechtsverletzungen - zu internationalem Druck auf Iran auf. Gleichzeitig betonen sie aber: "Der Iran ist mindestens sechs bis 10 Jahre von einer Atombombe entfernt, das schätzen die meisten so ein. Die Krise ist noch nicht ei! nmal eine Krise. Es bleibt jede Menge Zeit für politische Reformen, bevor der Iran je die Bombe bauen wird".

Am 3. Februar zitierte die Iranian Student News Agency den früheren iranischen Präsidenten Muhammad Chatami: "Es ist notwendig, weise und tolerant zu handeln, damit unser Recht auf Atomenergie nicht abgeschafft wird", so Chatami. Er drängt die iranische Regierung dazu, Sicherheiten zu geben, dass das iranische Nuklearprogramm einzig der Energiegewinnung dient.

Chatami war 8 Jahre lang Präsident des Iran. In dieser Zeit gelang es ihm nicht wirklich, im Land für ein politisches Reformklima zu sorgen, dennoch galt Präsident Chatami als Vermittler, wo es um Menschenrechtsverstöße ging. Sein Nachfolger, der Demagoge Mahmoud Ahmadinedschad, ist eine Bedrohung für die Menschenrechte und den Frieden. Dabei ist jedoch keineswegs klar, dass Ahmadinedschad sich der langfristigen Unterstützung durch die im Lande herrschende Geistlichkeit gewiss sein kann.

Im Sommer s! chlug Ahmadinedschad Hashemi Rafsandschani - auch er ein ehemaliger Präsident - aus dem Felde und wurde neuer iranischer Präsident. Aber Ex-Präsident Rafsandschani ist noch immer relativ stark - als Vorsitzender des Expediency Council*. Rafsandschani - der durchaus begründet den Ruf eines korrupten Opportunisten genoss -, gilt heute, im Vergleich zu Ahmadinedschad, als Leutfeuer der Aufklärung. Anfang Januar verfassten zwei iranische Scholar von der University of California in Berkeley einen Artikel für die Los Angeles Times, in dem sie auf Folgendes hinweisen: "Im Gegensatz zu populären Annahmen ist sich das traditionell konservative klerikale Establishment des Iran durchaus der Möglichkeit von Gewalt in- und außerhalb des Landes bewusst. Es ist generell gegen eine aggressive Außenpolitik, und durch seine enge Bindung an die abhängige Kapitalistenklasse im Iran ist das Establishment entsetzt über den raschen Abwärtstrend, den die Wirtschaft seit Ahmadinedschads Machtantritt geno! mmen hat. Der Wert der Teheraner Aktienbörse ist um $10 Milliarden in die Tiefe gesackt, der vitale nationale Immobilienmarkt schrumpft und die Kapitalflucht nimmt zu". Die Autoren des Artikels heißen Dariush Zahedi und Ali Ezzatyar.

Treffend fügen sie hinzu: "Die Geschichte der iranisch-amerikanischen Beziehungen hat es gezeigt, je mehr Washington auf Teheran wegen seiner Nuklearambitionen eindrischt, desto mehr spielt es damit den Radikalen in die Hände - indem Washington Ängste und das Nationalgefühl schürt".

Im Moment verlassen sich beide Präsidenten - der des Iran und der amerikanische - auf die Kriegslüsternheit des anderen. Alles deutet darauf hin, dass ein Militärschlag gegen den Iran die innenpolitische Macht Ahmadinedschads weiter hochtreiben wird. Wetten, dass die US-Regierung ihm diesen großen Gefallen tun wird? Es sei denn, wir verhindern es.

Norman Solomons aktuelles Buch heißt: 'War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death' www.WarMadeEasy.com

Anmerkung d. Übersetzerin
* Das Expediency Council ist eine Art Vermittler- oder Schlichterstelle zwischen dem mächtigen klerikalen 'Wächterrat' und dem iranischen Parlament.

Übersetzt von: Andrea Noll

Quelle: ZNet 09.02.2006; www.zmag.de


The Iran Crisis -- "Diplomacy" as a Launch Pad for Missiles

by Norman Solomon

The current flurry of Western diplomacy will probably turn out to be groundwork for launching missiles at Iran.

Air attacks on targets in Iran are very likely. Yet many antiwar Americans seem eager to believe that won’t happen.

Illusion 1: With the U.S. military bogged down in Iraq, the Pentagon is in no position to take on Iran.

But what’s on the horizon is not an invasion -- it’s a major air assault, which the American military can easily inflict on Iranian sites. (And if the task falls to the Israeli military, it is also well-equipped to bomb Iran.)

Illusion 2: The Bush administration is in so much political trouble at home -- for reasons including its lies about Iraqi WMDs -- that it wouldn’t risk an uproar from an attack on Iran.

But the White House has been gradually preparing the domestic political ground for bombing Iran. As the Wall Street Journal reported on Feb. 3, “in recent polls a surprisingly large number of Americans say they would support U.S. military strikes to stop Tehran from getting the bomb.”

Above those words, the Journal’s headline -- “U.S. Chooses Diplomacy on Iran’s Nuclear Program” -- trumpeted the Bush administration’s game plan. It’s a time-honored scam: When you’re moving toward aggressive military action, emphasize diplomacy.

Donald Rumsfeld proclaimed at a conference in Munich on Feb. 4 that -- to put a stop to Iran’s nuclear program -- the world should work for a “diplomatic solution.” Yet the next day, the German daily newspaper Handelsblatt reports, Rumsfeld said in an interview: “All options including the military one are on the table.”

Top U.S. officials, inspired by the royal “W,” aren’t hesitating to speak for the world. Over the weekend, Condoleezza Rice said: “The world will not stand by if Iran continues on the path to a nuclear weapons capability.” Meanwhile, Rumsfeld declared: “The Iranian regime is today the world’s leading state sponsor of terrorism. The world does not want, and must work together to prevent, a nuclear Iran.”

Translation: First we’ll be diplomatic, then we can bomb.

Illusion 3: The U.S. won’t attack Iran because that would infuriate the millions of Iran-allied Shiites in Iraq, greatly damaging the U.S. war effort there.

But projecting rationality onto the Bush administration makes little sense at this point. The people running U.S. foreign policy have their own priorities, and avoiding carnage is not one of them.

Non-proliferation doesn’t rank very high either, judging from Washington’s cozy relationships with the nuclear-weapons powers of Israel, India and Pakistan. Unlike Iran, none of those countries are signatories to the nuclear Non-Proliferation Treaty. Only Iran has been allowing inspections of its nuclear facilities -- and it is Iran that the savants in Washington are now, in effect, threatening to bomb.

With sugar-plum visions of Iran’s massive oil and natural-gas reserves dancing in their heads, the Washington neo-cons evidently harbor some farfetched hopes of bringing about the overthrow of the Iranian regime. But in the real world, an attack on Iran would strengthen its most extreme factions and fortify whatever interest it has in developing nuclear arms.

“The U.S. will not solve the nuclear problem by threatening military strikes or by dragging Iran before the U.N. Security Council,” Iran’s 2003 Nobel Peace Prize winner Shirin Ebadi wrote in the Jan. 19 edition of the Los Angeles Times, in an oped piece co-authored by Muhammad Sahimi, a professor of chemical engineering at the University of Southern California. “Although a vast majority of Iranians despise the country’s hard-liners and wish for their downfall, they also support its nuclear program because it has become a source of pride for an old nation with a glorious history.”

The essay added: “A military attack would only inflame nationalist sentiments. Iran is not Iraq. Given Iranians’ fierce nationalism and the Shiites’ tradition of martyrdom, any military move would provoke a response that would engulf the entire region, resulting in countless deaths and a ruined economy not only for the region but for the world. Imposing U.N. sanctions on Iran would also be counterproductive, prompting Tehran to leave the Nuclear Non-Proliferation Treaty and its ‘additional protocol.’ Is the world ready to live with such prospects?”

While calling for international pressure against Iran’s serious violations of human rights, Ebadi and Sahimi said that “Iran is at least six to 10 years away from a nuclear bomb, by most estimates. The crisis is not even a crisis. There is ample time for political reform before Iran ever develops the bomb.”

On Feb. 3, the Iranian Student News Agency quoted Iran’s former president Muhammad Khatami, who urged the Iranian government to offer assurances that the country’s nuclear program is only for generating electricity. “It is necessary to act wisely and with tolerance so that our right to nuclear energy will not be abolished,” he said.

Though he failed to develop much political traction for reform during his eight years as president, Khatami was a moderating force against human-rights abuses. His demagogic successor, Mahmoud Ahmadinejad, is a menace to human rights and peace. But it’s by no means clear that Ahmadinejad can count on long-term support from the nation’s ruling clerics.

The man he defeated in the presidential runoff last summer, former president Hashemi Rafsanjani, wields significant power as head of the government’s Expediency Council. Though he has a well-earned reputation as a corrupt opportunist, Rafsanjani is now a beacon of enlightenment compared to Ahmadinejad.

In early January, a pair of Iran scholars -- Dariush Zahedi and Ali Ezzatyar, based at the University of California in Berkeley -- wrote an LA Times piece making this point: “Contrary to popular belief, the traditional conservative clerical establishment is apprehensive about the possibility of violence inside and outside Iran. It generally opposes an aggressive foreign policy and, having some intimate ties with Iran’s dependent capitalist class, is appalled at the rapid slide of the economy since Ahmadinejad’s inauguration. The value of Tehran’s stock market has plunged $10 billion, the nation’s vibrant real estate market has withered and capital outflows are increasing.”

And the scholars added pointedly: “The history of U.S.-Iran relations shows that the more Washington chastises Tehran for its nuclear ambitions, the more it plays into the hands of the radicals by riling up fear and nationalist sentiment.”

Right now, the presidents of Iran and the United States are thriving on the belligerency of the other. From all indications, a military assault on Iran would boost Ahmadinejad’s power at home. And it’s a good bet that the U.S. government will do him this enormous favor. Unless we can prevent it.

February 09, 2006

Source: www.zmag.org


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