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Bush bush miad - Es riecht nach Bush

Der Iran nach dem Irakkrieg. Von A. Schirazi*

Im Folgenden veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags einen Artikel aus der Zeitschrift "inamo" (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft 34 (Juli 2003).


Die Außenpolitik der Islamischen Republik Iran weist seit deren Gründung drei von einander abweichende, einander zum Teil entgegengesetzte Hauptausrichtungen auf. Zwischen einer aggressiven, illusionistischen und stark anti-westlichen Position auf der einen und einer auf Entspannung der Beziehungen zum Ausland gerichteten und kulturell integristischen Richtung auf der anderen Seite, bewegt sich die dritte mehr pragmatische Orientierung. Jede der drei Hauptrichtungen besteht in sich wiederum aus einem ganzen Spektrum differenzierter Positionen, das, abhängig davon, welche Frage der Außenpolitik gerade betrachtet wird, in unterschiedlich deutlicher Form hervortreten kann.

Die aggressive und anti-westliche Position der iranischen Außenpolitik wurde bis zum Tode Khomeinis hauptsächlich durch ihn selbst repräsentiert, danach von seinem Nachfolger Khamene´i. Die integristische Position blieb nach dem Rücktritt von Mehdi Bazargan, dem ersten Ministerpräsidenten der islamischen Republik, im November 1980 bis zur Wahl des derzeitigen Staatspräsidenten Khatami im Mai 1997 kaum vertreten. Für die zwischen den beiden Extremen angesiedelte Position steht der Name Hashemi Rafsanjani. So wird beispielsweise von ihm gesagt, daß Khomeinis Entschluß aus dem Jahre 1987, einer Beendigung des Krieges gegen den Irak zuzustimmen, auf den Einfluß Rafsanjanis zurück zu führen sei. Viele wichtige außenpolitische Entscheidungen der Islamischen Republik weisen Zeichen der von Rafsanjani vertretenen pragmatischen Politik auf. Weitere Beispiele hierfür mögen einmal die neutrale Haltung sein, die Iran im zweiten Golfkrieg (1991) ungeachtet der pro-irakischen Position der Illusionisten im eigenen Land einnahm und ferner die Tatsache, daß die Islamische Republik bei der Invasion Afghanistans im Jahre 2001 mit den Invasoren kooperierte. Fragt man nach den Gründen dafür, dass sich die pragmatische Politik hat durchsetzen können, so trifft man immer wieder auf zwei grundlegende Faktoren: die fehlende Implementierbarkeit der Politik des aggressiv-illusionistischen Lagers und der Umstand, dass die Befürworter der integristischen Politik nicht genug Macht im Staat haben, um ihre Position durchsetzen zu können.

Gelehrige Schüler von Muhammd Sayyd as-Sahhaf

Auch beim jetzigen Golfkrieg lassen sich die drei genannten Positionen mehr oder weniger deutlich von einander unterscheiden. Gemeinsam lehnten sie alle den Krieg ab. Nur am Rande des von Khatami vertretenen Lagers ließen sich leise Töne der Befürwortung bzw. der aktiven Unterstützung der Invasion vernehmen. Die gemeinsame Position wurde nach Außen am besten durch Khatami und seine Regierung vertreten. Auf dieser Ebene setzte er der Koalition der Invasoren den Vorschlag entgegen, eine "Koalition des Frieden" zu bilden. Sein Außenminister nahm mehrfachen Kontakt mit Nachbarstaaten und Europäern auf, um ihnen diesen Aufruf seiner Regierung schmackhaft zu machen. Aber bereits mit der Erklärung, der Iran werde keine ablehnende Stellung gegen den Krieg beziehen, sollte sich die UNO dazu entscheiden, entsprach Khatami nicht mehr der Linie, die zumindest von den Vertretern des aggressiven Lagers eingeschlagen wurde. Diese lehnten den Krieg nicht nur konsequent ab, sondern befürworteten, wenn auch nicht immer deutlich, eine Parteiergreifung zugunsten Iraks. Diese Position kam während der Invasion in verschiedenen Formen der Solidaritätsbekundung und Parteinahme zum Ausdruck. Die dem religiösen Staatsführer Khamene´i nahestehende Tageszeitung jomhuri-ye eslami sprach sich dafür aus, zum heiligen Krieg gegen die Invasoren aufzurufen. Sie machte ihren Lesern Mut, in dem sie den irakischen Widerstand für unbezwingbar erklärte. Nur wenn die Invasoren Atombomben gegen den Irak einsetzen würden, könnten sie dessen Widerstand brechen. Ein konservativer Abgeordneter, Shahi Arablu, prophezeite die Landung der US-Truppen in einem riesigen Morast, aus dem diese sich nicht mehr retten könnten. Der Fraktionsvorsitzende der Konservativen im Parlament, Haddad Adel, erwartete, dass die Amerikaner im Irak das gleiche Schicksal erfahren würden, wie die Sowjets in Afghanistan. Der außenpolitische Berater Khamene´is, ein ehemaliger Minister für auswärtige Angelegenheiten, war sich sicher, dass die USA und die Engländer ihre Aggression aufgrund des zu erwartenden Widerstandes seitens der Zivilbevölkerung bereuen würden. Die ebenfalls von Khamene´is Lager kontrollierten Rundfunk- und Fernsehanstalten berichteten ausschließlich über diesen Widerstand. Entgegen gesetzte Berichte und Bilder wurden als Lügen bzw. als in Hollywood produzierte Video-Streifen denunziert. Erst als sich die Erfolge der Invasoren nicht mehr leugnen ließen, fühlte man sich veranlasst, den Grund dafür in einer vermeintlich zwischen den Invasoren und Saddam Husain verabredeten Verschwörung zu suchen. Khamene´i machte einen Verrat der irakischen Armee für die Niederlage verantwortlich und bezeichnet diesen als eine ewig währende Schande.

Diese Politik stieß auf die Kritik der Befürworter der integristischen Position, weil sie nach Unterstützung des Erzfeindes Saddam Husain aussah. Die Integristen prangerten die Art, wie die von den Konservativen kontrollierten Medien über die Invasion berichteten, scharf an. Sie äußerten mit Nachdruck ihre Freude über die Niederlage des Saddam-Regimes und bekundeten ihre Hoffnung darauf, dass Saddams Untergang eine abschreckende Wirkung auf ihre konservativen Gegner im Staat habe.

Ein Danke schön für die Haltung

Inhaltlich bestand die pragmatische Reaktion darin, dass der Iran seine Grenzen zum Irak schloss und so verhinderte, dass die kurdischen, fundamentalistischen Kräfte (Ansar al-Islam) im Iran ein Rückzugsgebiet finden konnten. Soweit einzelne zu jenem Zeitpunkt bereits die Grenze zum Iran überschritten hatten, wurden sie zurückgeschickt. Dazu kam eine mäßigende Einflußnahme auf die Aktivität der im iranischen Exil lebenden und in der Partei des Aufrufes (Hezb al-D`awa) organisierten irakischen Schiiten hinzu. Diese agitierten nicht nur unter Führung von Ayatollah Baqer Hakim gegen Saddam Husain, sondern wollten aktiv in das Geschehen in Irak eingreifen. Zeitweise blockierte Iran auf Wunsch der USA sogar den Übertritt des bewaffneten Arms der genannten Partei in deren irakische Heimat. Ferner unterdrückten die iranischen Machthaber ihren Ärger darüber, daß manche angeblich auf irakische Ziele gefeuerten Raketen, in iranisches Territorium einschlugen und dort den Tod mindestens eines Iraners zur Folge hatten.

Auf der amerikanischen Seite äußerte mancher Politiker seine Zufriedenheit mit dieser zurückhaltenden Politik. So Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, der wenige Tage nach dem Beginn der Invasion sein Wohlwollen darüber äußerte, dass Iran den Krieg nicht gestört hatte. So ferner Edward Walker, ehemaliger Staatsekretär im State Department, der die Position Irans als vollkommen verantwortungsvoll bezeichnete. Und schließlich der stellvertretende Außenminister Großbritanniens, der Mitte April seinen Kollegen in Teheran den amerikanischen Dank für die Stellung Irans in diesem Krieg übermittelte.

Diese Äußerungen bedeuten aber keineswegs, dass die Herren der US-Außenpolitik gegenüber der Islamischen Republik nunmehr einen freundlichen Kurs einschlagen werden. Diese haben eine Vielzahl von anderen Gründen, warum sie diese "unmögliche Republik" nach wie vor zu den "Schurkenstaaten" zählen. Sie werfen ihr folgendes vor: Sie wolle sich atomar rüsten, sie produziere chemische und biologische Massenvernichtungswaffen, sie unterstütze terroristische Organisationen wie Hizbollah im Libanon sowie Hamas und Jihad in Palästina, sie gewähre führenden Mitgliedern der al-Qaida Zuflucht und böte ihnen eine Operationsbasis, sie störe den Friedenprozeß im Nahen Osten, sie verweigere Israel die Anerkennung als Staat und sie verfolge unverändert aktiv das Ziel, im Irak einen islamischen Staat zu errichten.[1]

Alles wegen der Demokratie?

Die Bereitschaft Irans, ähnlich wie im Falle Afghanistans mit den Vereinigten Staaten zu kooperieren, hatte die USA noch nicht davon überzeugt, die im Januar 2002 von George W. Bush verkündete Dual-Track Policy gegenüber der Islamischen Republik revidieren zu müssen. Gemäß dieser Politik verbindet die US-Regierung die Bekämpfung des als "destruktiv" und "unannehmbar" bezeichneten Verhaltens der Islamischen Republik Iran mit der Unterstützung der freiheitlich-demokratische Bewegung des iranischen Volkes. Diese Politik soll jedoch eine punktuelle Kooperation bei gemeinsamen Interessen etwa wie im Falle Afghanistans nicht verhindern. Entsprechende Verhandlungen zwischen den Vertretern der beiden Staaten sollen, wann immer notwendig, geführt werden.[2] Mit solchen Verhandlungen, die bereits seit langem geführt werden, sind aber nicht alle bestimmenden Kräfte der US-amerikanischen Iran-Politik einverstanden. Die Radikalen um Rumsfeld oder Senator Sam Brownback führen lieber Verhandlungen mit dem Sohn des 1979 gestürzten Schah und mit der vom State Department als terroristisch bezeichneten Organisation der Volkmojahedin. Auf den Einfluss dieser Politiker ist die widersprüchliche Haltung zurückzuführen, die das US-Militär bei der Entwaffnung der Mojahedin im Irak an den Tag legte. Damit wird gleichzeitig deutlich, dass es diesen Kreisen in den USA nicht so sehr um die Demokratie in Iran geht. Denn, auch wenn sie mit Recht die Reformpolitik Khatamis für gescheitert und die Unterstützung seiner Position für nutzlos erklären,[3] kann ihre Behauptung, die demokratische Bewegung im Iran fördern zu wollen, so lange nicht überzeugen, wie sie mit Leuten bzw. Organisationen kooperieren, die man keineswegs als demokratiefreundlich bezeichnen kann.

Mittel der Verteidiung: Liberalisierung oder Repression?

Die drei genannten politischen Richtungen im Iran reagieren auch auf den Sieg der USA und deren Verbündeter im Irak in unterschiedlicher Weise. Sie reagieren verschiedenartig auf die neue Stärke, die der Druck der USA auf die Islamische Republik im Lichte dieses Sieges anzunehmen droht. Während die Vertreter der extremsten Position im Lager der Illusionisten jede Verhandlung mit den USA ablehnen, stimmen die weniger radikalen im selben Lager dieser versteckt zu, solange dabei nicht über die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen gesprochen wird. Die Illusionisten hegen die Hoffnung, dass die USA bald zusammenbrechen werden. Der Leiter der oben genannten Zeitung, Kayhan, zählt zehn Gründe dafür auf, warum das gegenwärtige Jahrhundert, trotz des von den Invasoren in Irak errungenen Sieges, das Jahrhundert des Zusammenbruches der USA und des Sieges der Unterdrückten der Erde über die Unterdrücker genannt werden müsse.[4] Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Angriffes seitens der USA ernst nehmend, intensiviert dieses Lager seine repressiven Maßnahmen gegen die Opposition unter dem Vorwand, dass der Aggression die vereinte Kraft des Volkes gegenübergestellt werden müsse. Die vereinte Kraft könne, so dagegen die Vertreter der integristischen Position, nicht mit der verstärkten Unterdrückung des Volkes zustande gebracht werden, sondern im Gegenteil. Deswegen wiederholen diese, noch öfters als zuvor und mit erhöhtem Nachdruck ihre entsprechenden Appelle, die sie an ihre Gegner im Staat richten. Was die Beziehung zu den USA angeht, treten die Integristen für eine Politik der Entspannung, des gegenseitigen Vertrauens, der Widerlegung der von den USA gegen die Islamische Republik gemachten Vorwände durch geeignete Schritte und für eine Normalisierung der Beziehungen ein. Die Liberalisierung der Politik bzw. die Reform des Staates halten sie für das beste Mittel der Verteidigung.

Wenn trotz der ablehnenden Haltung des illusionistischen Lagers Verhandlungen mit Vertretern der US-Regierung tatsächlich geführt werden, so deswegen, weil auch das pragmatische Lager diese befürwortet. Rafsanjani hat sich in den letzten Monaten wiederholt positiv dazu geäußert. Der ihm nahe stehende ehemalige Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden Reza´i begründet diese Haltung damit, dass die USA ihre Position in der Region ohne Hilfe Irans nicht behaupten könnten. Er zieht daraus den Schluss, daß die Stationierung der US-Kräfte im Irak nicht nur eine Drohung darstelle, sondern auch eine Chance. Zwar wollten die USA dem Iran gegenüber keine Konzessionen machen, aber wenn es gelänge, die Drohungen in Chancen umzuwandeln, könnte der Iran eine entscheidende Rolle in der Region spielen. Dazu müsste er aber stark werden.

Reza´i sagt aber nicht, wie dieses Ziel zu bewerkstelligen wäre. Ein Weg dazu läge in der Möglichkeit eines Arrangements zwischen den beiden Seiten. Die Islamische Republik ginge, vertreten durch das Lager der Pragmatiker, auf die Wünsche der USA ein und als Preis dafür verzichtete diese darauf, die Herrschaft der Mullahs zu stören. Während die Pragmatiker auf diesen Kuhhandel spekulieren, die Integristen über ihren Rückzug aus der Regierung und Parlament nachdenken und die Illusionisten hoffen, die verloren gegangene Legitimation durch ihren Antiamerikanismus zurückgewinnen zu können, erfährt die USA immer mehr Sympathie der einfachen Bevölkerung Irans. Als der Krieg im Irak tobte, begrüßten sich viele in Teheran mit dem Satz: Es riecht nach Bush (bush bush miad).

Anmerkungen
  1. Dabei werden, wie am 18.05.2003 geschehen(www.emrooz.org), Namen von führenden Mitgliedern von al-Qaida genannt, die sich in Iran aufhalten und von hier aus operieren sollen. Seyf Al.`Adel und Mohammad Al-Hasri sollen dazu gehören.
  2. In einer Rede, die Zalmy Khalilzad am 2. August 2002 hielt, erläuterte er diese Politik ausführlich. Siehe: www.usinfo.state.gov
  3. Diese Meinung wird auch von State Department sowie von Zalmy Khalilzad, Berater des Präsidenten in Fragen des Vorderen Orients geteilt.
  4. Da diese Prophetie von Khomeini stammen soll, gibt ihm der genannte Autor einen zusätzlichen Namen, d.h. das Jahrhundert Khomeinis. Siehe Kayhan von 05.04.2003. Der Vertreter Khamene´is bei der Armee der Pasdaran sagte: "Wir sind davon überzeugt, daß Amerika dem Tode entgegenläuft". Siehe: www.isnam.com 04.05.2003.

* A. Schirazi, Sozialwissenschaftler, Berlin.

Aus: inamo 34, Juli 2003

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