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Keine Zeit für Atomstreit

Rußland läßt sich von USA nicht länger gängeln: Beratungen zu Irans Nuklearprogramm nach Schelte aus Washington abgesagt

Von Knut Mellenthin *

Nach neuerlichen Verbalattacken von US-Außenministerin Condoleezza Rice gegen Rußland hat Moskau eine Beratung der Gruppe der Iran-Sechs platzen lassen. Die USA mußten am Dienstag abend (23. Sept.) die Absage des für heute (26. Sept.) geplanten Außenministertreffens der UN-Vetomächte und Deutschlands bekanntgeben – »nach demonstrativen Signalen des Desinteresses aus Moskau«, wie die Agentur AFP schrieb. Rußland hatte zuvor mitgeteilt, daß es das 5+1-Treffen nicht für dringlich hält. Das russische Außenministerium ließ in einer Stellungnahme wörtlich wissen, es sehe keinen Grund, der es notwendig mache, »alles beiseite zu schieben« und »inmitten einer vollgestopften Woche während der UN-Vollversammlung über das iranische Atomprogramm zu beraten«.

Vertreter der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Chinas, Rußlands und Deutschlands hatten sich zuletzt am Freitag voriger Woche (19. Sept.) in Washington getroffen, ohne sich über die nächsten Schritte im Atomstreit mit Teheran einigen zu können. Während sich die USA und ihre europäischen Verbündeten für neue UN-Strafmaßnahmen gegen Iran einsetzen, steht Rußland auf dem Standpunkt, daß »zusätzliche Maßnahmen im jetzigen Stadium« weder erforderlich noch zweckmäßig seien. Der Weltsicherheitsrat hat bereits dreimal Sanktionen gegen Iran beschlossen, zuletzt am 3. März dieses Jahres. Sie sollen Iran zur Einstellung seiner Arbeiten an der Urananreicherung zwingen, zu der das Land nach dem Atomwaffensperrvertrag berechtigt ist.

Rußlands Reaktion dürfte eine direkte Antwort auf eine Rede von Rice in der vergangenen Woche sein, in der sie der Regierung in Moskau eine autoritäre Innen- und eine aggressive Außenpolitik vorgeworfen hatte. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung setzte die US-Außenministerin am Mittwoch (24. Sept.) ihre Tiraden fort und rief zur »transatlantischen Einigkeit gegenüber Rußland« auf.

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad bekräftigte am Dienstag abend (23. Sept.) derweil vor der Jahresversammlung der UNO in New York den Standpunkt seines Landes im Atomstreit. Sein Land werde allen westlichen Einschüchterungsversuchen widerstehen, mit denen es gezwungen werden soll, auf sein Recht zur Urananreicherung für zivile Zwecke zu verzichten. Im Grunde werde die Kampagne nur von ganz wenigen Staaten betrieben, sagte Ahmadinedschad: den USA und einigen ihrer europäischen Verbündeten (siehe auch »Die Welt hinter Teheran«).

Wenige Stunden zuvor hatte ein US-Vertreter, Dale Klein, bei einem Besuch in Ungarn behauptet, für Iran gebe es überhaupt keinen Grund, sich die Anreicherungstechnologie selbst anzueignen. Schließlich könne Teheran das notwendige Uran für den Betrieb von Atomkraftwerken auch aus dem Ausland kaufen. Klein ist Vorsitzender der US-amerikanischen Nuclear Regulatory Commission, die sich mit Fragen der Atomenergie beschäftigt. Ebensogut hätte sich Klein aber auch fragen können, warum die USA auf ihrem eigenen Territorium neue Erdölvorkommen erschließen wollen, obwohl sie es auch auf dem Weltmarkt kaufen können. Das Stichwort lautet Energiesicherheit.

Unterdessen tagt in Wien seit Montag (22. Sept.) der Vorstand der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die im Streit um das zivile Atomprogramm des Iran eine zentrale Rolle spielt. Die Sitzung dauert laut Plan noch bis Freitag, könnte aber auch früher beendet werden. Ob und wann dort ein neuer Beschluß zum Iran gefaßt werden wird, ist nicht bekannt. Nachdem die IAEA bis Jahresende 2007 in intensiven Untersuchungen alle wesentlichen Fragen aus der Vergangenheit des iranischen Atomprogramms geklärt hatte, schob die US-Regierung neue Vorwürfe nach. Sie beruhen vor allem auf Daten, die auf einem angeblich gestohlenen Laptop gespeichert sind, und sollen beweisen, daß Iran an einem atomaren Raketensprengstoff arbeitet. Die USA weigern sich allerdings, die wesentlichen Dokumente dazu freizugeben. Iran steht deshalb auf dem Standpunkt, zu Vorwürfen nicht Stellung nehmen zu können, deren Einzelheiten unbekannt sind.

* Aus: junge Welt, 25. September 2008

Letzte Meldung

USA und Russland verständigen sich auf neue Iran-Initiative

Die USA und Russland haben sich am Freitag (26. Sept.) auf eine neue Initiative zum iranischen Atomprogramm verständigt. In einer kurzen Resolution soll die Haltung der iranischen Regierung verurteilt werden, neue Sanktionen sind aber nicht vorgesehen. Die Beratungen des Sicherheitsrat hinter verschlossenen Türen wurden nach etwa einer Stunde auf Montag (29. Sept.) vertagt.

Die fünf Veto-Mächte des Sicherheitsrats und Deutschland hatten sich wenige Stunden zuvor am Rande der UN-Vollversammlung auf den Entwurf für die neue Iran-Resolution geeinigt. Darin wird die iranische Führung aufgefordert, ihr Programm zur Urananreicherung zu stoppen und umfassenden mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig werden die drei bisherigen Resolutionen bekräftigt, sagte der britische Außenminister David Miliband. Deutsche Diplomaten begrüßten die Einigung als wichtiges Zeichen der Geschlossenheit gegenüber dem Iran.

Zwischen den USA und Russland gab es zuletzt erhebliche diplomatische Spannungen, die sich auch auf den Atomkonflikt mit dem Iran auswirkten. Russland hatte dabei am Dienstag seinen Ausstieg aus den Iran-Gesprächen erklärt, nachdem die USA ihrerseits ihre Teilnahme an einem G-8-Außenministertreffen abgesagt hatten. Zur Begründung hatte es geheißen, die starre russische Haltung in der Kaukasus-Krise lasse keine Fortschritte erwarten. In Gesprächen verständigten sich beide Seiten jetzt auf die neue, abgeschwächte Initiative.

"Es wird keine Resolution zu Sanktionen geben", erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow. "Das ist eine Bekräftigung des Status quo."" Russland sei überzeugt, dass weitere Gespräche mit den Iranern notwendig seien, erklärte UN-Botschafter Witali Tschurkin. Es gebe immer noch Raum für Diplomatie.

Die USA wollten ursprünglich weitere Sanktionen erreichen, gaben sich dann aber mit der Resolution zufrieden. Die Einigkeit des Sicherheitsrats sei ein wichtiges Signal, sagte der stellvertretende US-Botschafter Alejandro Wolff. Sechs Monate seien seit der letzten Resolution vergangen. Ein Schweigen des Sicherheitsrats könne auch ein falsches Signal aussenden.

Quelle: Nachrichtenagentur AP, 27. September 2008




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