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"Verkrüppelnde Sanktionen"

US-Behörden erleichtern Export medizinischer Güter in den Iran

Von Knut Mellenthin *

Jahrelang schwärmte die US-Administration von »crippling sanctions« gegen Iran. »To cripple« kann man je nach Geschmack mit »verkrüppeln«, »jemanden zum Krüppel machen« oder »lähmen« übersetzen. Man kann es auch ganz wörtlich nehmen: Hunderttausende, vermutlich sogar Millionen Iraner, die einer regelmäßigen intensiven Behandlung bedürfen, sind durch die Verknappung von Medikamenten, die bisher aus den USA oder den Ländern der Europäischen Union importiert wurden, akut gefährdet. Außerdem ist es für Teheran nahezu unmöglich geworden, Ersatzteile für medizinische Geräte aus dem Westen zu bekommen. Betroffen sind unter anderem Krebskranke, Diabetiker und Dialysepatienten.

Die Probleme resultieren nicht daraus, daß es irgendwelche Sanktionen gäbe, die verbieten würden, medizinische Stoffe und Geräte in den Iran zu liefern. Die teilweise bereits drastischen Engpässe auf diesem Gebiet liegen auch nicht daran, daß Iran kein Geld hätte, um die Importe zu bezahlen. Die Mängel werden ausschließlich dadurch produziert, daß die USA gemeinsam mit ihren engsten Verbündeten in Europa und Kanada finanzielle Transaktionen mit iranischen Banken praktisch unmöglich gemacht haben. Iran kann zwar Wege und Umwege finden, um trotzdem Geschäfte mit Ländern wie China, Indien oder der Türkei zu machen. Aber für Beziehungen zu westlichen Unternehmen gibt es heute nahezu unüberwindliche Hindernisse.

Seit einigen Monaten haben Politiker und Medien der USA den Begriff der »crippling sanctions« jedoch nahezu vollständig aus ihrem Sprachgebrauch verbannt. Für die voraussehbaren und gewollten humanitären Folgen der Blockademaßnahmen möchte man möglichst wenig verantwortlich gemacht werden. Die Los Angeles Times berichtete am Freitag, daß das US-Finanzministerium im Oktober ohne viel Aufsehen seine Vorschriften für Ausfuhren in den Iran gelockert habe. Für eine Reihe von medizinischen Artikeln und Lebensmitteln können die Exporteure nun eine Dauergenehmigung bekommen, statt für jedes einzelne Geschäft einen komplizierten bürokratischen Hürdenlauf zu absolvieren. »Beobachter gehen davon aus, daß die zugrundeliegende Sorge des Westens darin besteht, Bedenken über die Folgen der Sanktionen könnten zu jener Art von internationalem Thema werden, das in den 90er Jahren die Unterstützung für harte Maßnahmen gegen Saddam Husseins Regime untergrub«, schreibt die Los Angeles Times. Damals waren infolge der Sanktionen Hunderttausende irakische Kinder ums Leben gekommen.

In der Praxis sind die Erleichterungen im Genehmigungsverfahren jedoch nicht viel mehr als Augenwischerei. Angesichts des Gestrüpps von Vorschriften, der sich daraus ergebenden Rechtsunsicherheit und mehreren schmerzhaften Verfahren gegen europäische Geldinstitute wagt kaum noch eine westliche Bank, mit dem Iran auch nur verdachtsweise in Verbindung gebracht zu werden. Die britischen Bankriesen HSBC und Standard Chartered haben bereits in Geldbußen von insgesamt mehr als 700 Millionen Dollar eingewilligt, um sich vom Vorwurf freizukaufen, sie hätten gegen die US-Sanktionen verstoßen.

Im vorigen Jahr exportierten US-amerikanische Unternehmen immerhin noch Waren im Wert von rund 230 Millionen Dollar in die Islamische Republik. Das war sogar ein leichter Anstieg gegenüber 2010. Allerdings lagen die Importe aus dem Iran, die 2010 noch bei 94,5 Millionen gelegen hatten, 2011 bei nahezu null. Rund ein Drittel der US-Exporte waren medizinische Präparate oder Ausrüstungen.

Die Vorsitzende einer international angesehenen Teheraner Stiftung für die Behandlung chronischer Krankheiten, Fatima Haschemi, hatte sich vor einigen Monaten mit einem Schreiben an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gewandt, um auf die durch die Sanktionen entstehenden Probleme bei der Versorgung iranischer Patienten aufmerksam zu machen. Ban hatte daraufhin im Oktober einen Bericht vorgelegt, der die iranischen Angaben bestätigte und vor schweren humanitären Folgen der Strafmaßnahmen warnte.

* Aus: junge Welt, Montag, 05. November 2012


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