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Hau-Ruck-Sanktionen

USA für Strafmaßnahmen gegen Iran, bevor Moskau und Peking ausscheren

Von Knut Mellenthin *

Schon am heutigen Mittwoch (9. Juni) soll der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach dem Willen der US-Regierung neue Sanktionen gegen Iran beschließen. Der Mexikaner Claude Heller, der derzeit den Ratsvorsitz führt, gab sich am Montag sicher, daß über die Resolution auf jeden Fall noch im Laufe dieser Woche abgestimmt wird.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad warnte gestern am Rand eines regionalen Gipfeltreffens in Istanbul vor den Konsequenzen einer »überhasteten« Entscheidung: »Wenn Zusammenarbeit erwartet wird, dann muß sie auf allen Gebieten stattfinden. Die USA und ihre Verbündeten würden einen Fehler machen, wenn sie annähmen, sie könnten einerseits Resolutionen gegen Iran beschließen und andererseits gleichzeitig Gespräche mit diesem Land führen.« Ahmadinedschad deutete in diesem Zusammenhang die Möglichkeit an, daß Iran seine Zustimmung zu dem mit der Türkei und Brasilien vereinbarten Kompromißvorschlag zurückziehen könnte, falls der Sicherheitsrat zusätzliche Sanktionen verhängt. Der Vorschlag sei »eine Chance«, die sich »nicht wiederholen« werde.

Die Eile, mit der die US-Regierung jetzt die Resolution durchpeitschen will, ist hauptsächlich von der Sorge getrieben, daß Rußland und China, die dem Entwurf schon vor über drei Wochen zugestimmt haben, ihre Position noch einmal überdenken könnten. Wichtig ist dem Team um Präsident Barack Obama auch, daß die Entscheidung über neue Sanktionen fällt, ohne sich mit dem iranisch-türkisch-brasilianischen Vorschlag überhaupt auseinanderzusetzen. Die Regierungen Rußlands und Chinas wirken in diesem Spiel nur wie Statisten, die kein eigenes Konzept haben und US-Außenministerin Hillary Clinton ständig in ihrem Namen sprechen lassen.

Mit den Risiken und Folgen dieser Politik hat sich der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohammed ElBaradei, in einem Interview beschäftigt, das am 30. Mai in der größten brasilianischen Tageszeitung, dem Jornal do Brasil, veröffentlicht wurde: Das iranische Angebot sei eindeutig eine »vertrauensbildende Maßnahme«. Darauf nicht einzugehen, sondern kurzerhand neue Sanktionen zu verhängen, wäre »völlig kontraproduktiv«. »Meine Sorge ist, daß man mit der Verhängung von Sanktionen eine große Spaltung zwischen Nord und Süd bekommt. Auf der einen Seite haben wir Länder wie Brasilien, die Türkei, Südafrika und den Rest des Südens, die den iranischen Kompromißvorschlag unterstützen und auf Verhandlungen drängen. Auf der anderen Seite steht der Westen, der eine völlig entgegengesetzte Haltung einnimmt und sagt: Laßt uns einfach Sanktionen verhängen. Es wäre recht gefährlich, eine Bruchlinie zwischen Norden und Süden zu haben, und das zu einem Problem, von dem wir alle wissen, daß es nur durch Verhandlungen gelöst werden kann.«

Der UN-Sicherheitsrat, kritisierte ElBaradei weiter, repräsentiere nicht die Welt von 2010, sondern die von 1945. Wenn man ein internationales Gremium wolle, das auf Gleichberechtigung und Fairneß aufbaut, müsse man nicht nur die westlichen Interessen, sondern auch die Vorstellungen des »Südens« berücksichtigen.

Indessen drängt Israel, wie die Tageszeitung Haaretz am Dienstag berichtete, in Washington auf beschleunigte Waffenlieferungen. Gewünscht werden zum einen Präzisionssteuerungen für Bomben, wie Israel sie zuletzt im Libanon-Krieg 2006 und bei den Angriffen gegen Gaza 2008 verwendete. Außerdem sollen die USA den Bestand ihrer »Notfall«-Waffenlager in Israel verdoppeln, im Gegenwert von derzeit 600 Millionen auf 1,2 Milliarden Dollar. Diese Vorräte dienen zum einen der schnellen Einsatzbereitschaft amerikanischer Truppen in der Region. Darüber hinaus kann Israel sich jederzeit nach Zustimmmung der USA aus diesen Waffenlagern bedienen und dadurch seine Fähigkeit zur Kriegführung verlängern.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2010


Warum die Sanktionen?

Von Roland Etzel *

Ob sie nun heute, nächste Woche oder gar nicht beschlossen werden -- die neuen UN-Sanktionen gegen Iran wirken längst. Es sind nicht die Maßnahmen an sich, die das Klima vereisen. Gewiss, gesperrte Bankkonten verkomplizieren das Leben von Menschen wie Staaten, und Einreiseverbote gegen hohe Funktionäre haben die Wirkung öffentlicher Ohrfeigen. Aber glauben die Initiatoren der Bestrafung allen Ernstes, die Revolutionsgarden würden nun um Gnade winseln, oder Ahmadinedschad bäte den Westen jetzt flehentlich um Übernahme seines Plutoniums?

So naiv sind sie nicht. Ihnen genügt die Geste, die geeignet ist, Diplomatie aufzukündigen. So weit ist man nun, denn, so darf man den Teheraner Führer verstehen, weitere Verhandlungen über Plutoniumanreicherung etc. sind mit Inkrafttreten der Sanktionen ausgeschlossen. War es das, was Clinton und Westerwelle wollten? Man mag den Politikstil Ahmadinedschads mit einigem Recht abenteuerlich nennen, aber er ist seit Jahren bekannt, und am Dialog interessierten Staaten wie Brasilien gelingt es offenbar, sich darauf einzustellen. Warum also drückte der Westen so auf Zuspitzung? Damit endlich nicht mehr geredet werden muss? Es wäre die nächstliegende Erklärung, warum permanent versucht wird, aus dem Verhandlungstisch eine Anklagebank zu machen.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2010 (Kommentar)


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