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Wahl zwischen Pest und Cholera

Russland laviert bei der Lieferung von Luftabwehrsystemen an Iran

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Es waren erneut technische Schwierigkeiten, die Moskau am Mittwoch für die Nichterfüllung eines Abkommens mit Iran zur Lieferung von Luftabwehrsystemen des Typs S-300 an Teheran geltend machte.

Die Schwierigkeiten, so jedenfalls zitierte Interfax den Direktor der Nationalen Behörde für militärisch-technische Zusammenarbeit, Alexander Fomin, würden jedoch in Bälde gelöst. Zu Details und möglichen Fristen wollte er sich allerdings nicht äußern.

Die meisten Beobachter hierzulande vermuten dennoch politische Hintergründe: Rücksichten auf Israel, dessen Premier Benjamin Netanjahu bei seinem Moskau-Besuch Anfang der Woche Kreml und Regierung erneut zu Nichterfüllung der Abkommen drängte und vor allem auf die USA, die auf russische Unterstützung für schärfere Sanktionen gegen Iran hoffen.

Iranische Medien behaupten, die Kontrakte seien bereits 2005 unterzeichnet worden, russische Experten gehen davon aus, dass sie nur paraphiert wurden und damit nicht rechtsverbindlich sind. Moskau habe sich bewusst nicht festlegen wollen, weil Erfüllung und Nichterfüllung auf die Wahl zwischen Pest und Cholera hinauslaufen und militärische Auseinandersetzungen in beiden Fällen kaum noch vermeidbar seien.

Gibt Russland für die Lieferungen grünes Licht, glaubt Jewgeni Satanowski, der Direktor des Nahost-Instituts und einer der profundesten Israel-Kenner, werde Tel Aviv die Zeit bis zur Installierung der Raketenabwehrsysteme nutzen, um Irans Atomanlagen, die dadurch geschützt werden sollen, anzugreifen und zu vernichten. Israel bereite sich auf einen Krieg vor und hoffe zudem, die Unruhen in Iran würden zur Revolution eskalieren und neue, prowestliche Eliten an die Macht bringen. Die gegenwärtige Führung Irans sieht das seiner Meinung nach ähnlich und sei daher zu Abenteuern aller Art bereit. Auch zu einem Präventivschlag gegen Israel. Auch deshalb habe Netanjahu Moskau nicht nur zu harten, sondern auch zu schnellen Sanktionen gedrängt.

Ob mit Erfolg, ist derzeit unklar. Das russische Fernsehen zeigte nur einen Schnipsel der Konsultationen, bei denen Präsident Dmitri Medwedjew wie Netanjahu sich mit Blick auf den 65. Jahrestag des Kriegsendes gegen Geschichtsklitterung zum Schaden Russlands aussprachen. Zu den Ergebnissen - Iran stand ganz oben auf der Agenda - fiel bisher kein Wort.

Russische Medien erklären das Schweigen damit, dass Moskau sich beim Umgang mit Iran bisher uneins ist. Scharfmacher wie Leonid Iwaschow, Präsident der Akademie für geopolitische Probleme und während des Kosovo-Kriegs 1999, bei dem Russland Serbien unterstützte, Vizeverteidigungsminister, nachte sich mehrfach für schnelle Lieferung der S-300 stark und weiß dabei auch die Generalität hinter sich. Außenminister Sergej Lawrow dagegen versucht, anders als früher, das Thema Iran bei der Presse kurz abzuhandeln und ist dabei mit Formulierungen extrem vorsichtig. Das, so die Zeitung »Wremja nowostei«, zeige, dass Russland nach wie vor auf einen Sinneswandel Teherans im Atomstreit hofft.

Gleich schwer dürften allerdings kaum verhüllte Drohungen ins Gewicht fallen, wie sie Irans Russland-Botschafter bei einem Interview für Radio »Echo Moskwy« ausstieß. Zwar sprach er dort nur von wirtschaftlichen Konsequenzen. Kenner der Materie dagegen verwiesen - zu Recht - auf mögliche politische Komplikationen: Fortsetzung der Blockade bei der Teilung der öl- und gasreichen Kaspi-See, wodurch die Erschließung strittiger Vorkommen in weite Ferne rückt, und beinharter Verdrängungswettbewerb im Südkaukasus und in Zentralasien, wo Russland, weil von den USA ebenfalls bedrängt, dann einen Zwei-Fronten-Krieg führen müsste.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2010


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