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Politik ohne Konzepte

Hintergrund. Im Streit um das iranische Atomprogramm kooperieren Rußland und China gegen ihre eigenen Interessen mit dem Westen

Von Knut Mellenthin *

Am Sonnabend (21. Aug.) wird, sofern nicht kurzzeitig noch etwas dazwischenkommt, damit begonnen, Brennstäbe in das von einem russischen Unternehmen gebaute iranische Atomkraftwerk bei der iranischen Hafenstadt Buschehr zu transportieren. Das ist der erste Teil einer dreistufigen Startphase, die laut Planung am 16. September mit der Aktivierung des Reaktors abgeschlossen werden soll. Anschließend wird es noch mehrere Monate dauern, bis das Kraftwerk tatsächlich Strom produziert.

Sollte es wirklich dazu kommen, würde eine jahrelange Farce ihren Abschluß finden, die von immer neuen Terminverschiebungen durch die russische Seite geprägt war. Im Iran herrscht weithin die Überzeugung, daß die Verzögerungstaktik Resultat von Absprachen zwischen Rußland und den USA war. Die US-Regierung hatte, damals noch unter Präsident William Clinton, zunächst heftig quergeschossen, als in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die iranisch-russischen Verhandlungen über Buschehr begannen. Sie gab ihren Widerstand dann aber plötzlich und ohne Erklärung scheinbar auf.

Immer wieder Verzögerungen

Als im Januar 1997 mit den Bauarbeiten begonnen wurde, war geplant, daß der Reaktor im Jahre 2003 ans Netz gehen sollte. Aber schon im Herbst 1999 war der Rückstand gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan so groß, daß Iran sich weigerte, weitere Verträge für die geplante Expansion seines Atomprogramms mit Rußland abzuschließen. Im Februar 2000 gab das russische Atomenergieministerium, dem der Bauträger Atomstrojexport untersteht, den Rückstand gegenüber der Planung mit 18 Monaten an. Im Jahre 2003, zum ursprünglich angekündigten Zeitpunkt der Fertigstellung, hieß es, daß das Kraftwerk 2005 betriebsfertig wäre. Später gab es die nächste Verschiebung auf Sommer oder Herbst 2006, dann auf September 2007.

Während der Verhandlungen über die erste Sanktionsresolution des UN-Sicherheitsrats, im Herbst 2006, brachte die US-Regierung mit Unterstützung der EU erneut ihr altes Vorhaben auf den Tisch, die Fertigstellung des Reaktors ganz offen zu torpedieren. Zwar sollte Buschehr ausdrücklich von den Sanktionen ausgenommen werden, wie es in der am 23. Dezember 2006 verabschiedeten Resolution auch tatsächlich geschah. Aber von Rußland wurde »als Gegenleistung« gefordert, bis auf weiteres die Lieferung der Brennstäbe zu unterlassen. Das hätte schlichtweg bedeutet, daß das Kraftwerk nicht in Betrieb genommen werden könnte, solange Iran im Atomstreit nicht klein beigab. Das wäre ein klarer Vertragsbruch gewesen. Rußland lehnte offiziell ab, sich darauf einzulassen.

In der Praxis allerdings wurde die Lieferung der Brennelemente, die im Frühjahr 2007 beginnen sollte, ausgesetzt. Darüber hinaus behaupteten die russischen Behörden im Januar 2007, Iran befinde sich schon seit Monaten im Zahlungsrückstand, so daß der angekündigte Fertigstellungstermin im September nicht eingehalten werden könne. Iran widerlegte die russische Darstellung in allen Einzelheiten, selbstverständlich vergeblich. Im Dezember 2007 und Januar 2008 lieferte Rußland dann tatsächlich die Brennstäbe, während der Abschluß der Bauarbeiten immer weiter hinausgeschoben wurde. Der letzte Planungsstand war eigentlich gewesen, daß Buschehr im März 2010 ans Netz gehen sollte.

Gerade zu diesem Zeitpunkt forderte US-Außenministerin Hillary Clinton während eines Moskau-Besuchs die russische Regierung öffentlich in ungewöhnlich grober und undiplomatischer Form auf, die Fertigstellung des Kraftwerks zu verhindern. Ohne Beweise behauptete sie: »Iran hat ein Atomwaffenprogramm, zu dem es nicht berechtigt ist.« Teheran müsse daher zunächst »Zusicherungen« geben, die ihm unterstellte Entwicklung von Nuklearwaffen zu beenden. So lange diese nicht vorlägen, wäre es »verfrüht«, die abschließenden Arbeiten in Buschehr fortzusetzen, »weil wir den Iranern ein eindeutiges Signal senden wollen«.

Möglicherweise war Clintons Vorpreschen aber nur ein taktischer Schachzug, um »die Russen ins Boot zu holen«, wie sich US-amerikanische Politiker und Journalisten gern ausdrücken. Um also, anders gesagt, Rußland für eine Eskalation der Konfrontation mit dem Iran zu gewinnen. Das Wall Street Journal, ein Sprachrohr der Neokonservativen, schrieb am 14. August 2010, daß die US-amerikanische »Erlaubnis« zur Inbetriebnahme von Buschehr der Preis gewesen sei, um Rußlands Zustimmung zur vierten Sanktionsresolution des UN-Sicherheitsrats zu erlangen, die am 9. Juni verabschiedet wurde.

Tatsache ist jedenfalls, daß Washington jetzt keine Einwände gegen die angekündigte Einbringung und Installation der Brennelemente erhoben hat. Das war am 13. August Gegenstand eines aufschlußreichen Frage-und-Antwort-Spiels zwischen Journalisten und dem Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs. Ein Journalist wollte wissen: »Haben wir sie nicht kürzlich noch aufgefordert, das nicht zu tun? Ich nahm an, wir hätten daran festgehalten, daß wir das nicht wollen, bis …«

In seiner Antwort verwies Gibbs zunächst darauf, daß die Anlage von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) überwacht und kontrolliert werde. Außerdem garantiere Rußland für die Rücklieferung der verbrauchten Brennelemente – aus denen ansonsten waffenfähiges Plutonium gewonnen werden könnte. Im übrigen unterstreiche der Vorgang, daß Iran keine eigenen Kapazitäten für die Produktion von schwach angereichertem Uran als Reaktorbrennstoff brauche, setzte Gibbs hinzu. Das stelle die Motive der Iraner für die Fortsetzung der Anreicherung in Frage.

In einer späteren Nachfrage wurde Gibbs ausdrücklich auf Clintons Äußerungen vom März angesprochen, als sie die Inbetriebnahme des Kraftwerks als »verfrüht« abgelehnt hatte: »Was hat sich also geändert? Jetzt scheinen Sie es – die Fertigstellung – zu begrüßen.« Darauf Gibbs ausweichend und nicht ganz ohne Ironie: »Ich möchte Sie an das Außenministerium verweisen. Ich denke, die können Ihnen erklären, wo der Unterschied zur heutigen Situation liegt.«

Unberechenbar und unzuverlässig

Das Argument, die Fertigstellung von Buschehr beweise, daß Iran keinen eigenen Reaktorbrennstoff herstellen muß, ist allerdings nicht stichhaltig. Dagegen sprechen erstens die zahlreichen Verzögerungen beim Bau, die grundsätzlich zeigen, daß Rußland gegenüber US-amerikanischem Druck sehr empfindlich und unter Umständen immer wieder auch nachgiebig ist. Außerdem langen die Brennelemente, die Rußland bisher in den Iran gebracht hat, nach ersten Berichten nur für etwa ein Jahr aus. Die russische Seite hat sich zwar vertraglich verpflichtet, den Reaktor zehn Jahre lang mit Brennstoff zu versorgen – aber eine wirkliche Garantie dafür hat Iran nicht. Und schließlich planen die Iraner für die Zukunft auch den Bau eigener Atomkraftwerke, selbst wenn man die öffentlich genannte Zahl von 20 solcher Anlagen nicht unbedingt für realistisch halten muß.

Das jahrelange Hin und Her um Buschehr zeigt, daß das russische Agieren vor allem von Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit, aber anscheinend auch von starker Beeinflußbarkeit durch die USA (und übrigens sogar durch Israel) geprägt ist. Hierin irgendeine stringente Logik zu suchen, die auch für Rußlands gesamtes Verhalten im Atomstreit mit dem Iran maßgeblich ist, scheint so gut wie unmöglich.

In dieselbe Richtung weist die vertragsbrüchige Weigerung Rußlands, dem Iran das moderne Luftabwehrsystem S-300 zu liefern. Der Kontrakt war schon im Jahre 2007 unterzeichnet worden, aber die russische Seite hatte immer neue Vorwände erfunden, um seine Erfüllung hinauszuzögern. Nach der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution vom 9. Juni 2010 gaben verschiedene russische Regierungsstellen tagelang völlig widersprüchliche Stellungnahmen ab, ob die S-300 unter die Waffen falle, deren Export in den Iran jetzt verboten ist. Insbesondere Sergej Lawrow und das von ihm geleitete Außenministerium machten sich für die Auffassung stark, daß die S-300 nicht von den Sanktionen betroffen sei. Schließlich bestätigte sogar der Sprecher des State Department, Philip Crowley, auf einer Pressekonferenz auf Nachfragen zweimal ausdrücklich, daß die S-300 nicht auf der Liste der verbotenen Waffen stehe. Peinlich für Präsident Dmitri Medwedew, der sich aber durch diese Klarstellung nicht beeindrucken ließ, sondern nun ganz auf eigene Faust dekretierte, wegen der UN-Resolution könne das Abwehrsystem nicht mehr in den Iran geliefert werden.

Selbst wenn das, trotz anderslautender Stellungnahme der US-Regierung, so wäre, führt selbstverständlich kein Weg an der einfachen Tatsache vorbei, daß niemand Rußland gezwungen hat, der UN-Resolution in dieser Form zuzustimmen. Das gilt ebenso für den gesamten Abschnitt der Entschließung, der fast sämtliche Waffenexporte in den Iran verbietet. Hauptbetroffene sind Rußland und China, nach dessen Motiven für die Zustimmung zu den neuen Sanktionen ebenso vergeblich gefragt werden muß.

Die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti meldete am 3. August, daß Rußland durch das am 9. Juni vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Waffenembargo gegen den Iran bis zu 13 Milliarden Dollar einbüßen werde. Diese Summe umfaßt bereits abgeschlossene Kontrakte ebenso wie in Verhandlungen befindliche Projekte. Nach Angaben der Agentur entfallen 2,2 Milliarden Dollar auf Luftverteidigungssysteme, davon 800 Millionen auf die S-300, bis zu 3,2 Milliarden auf Ausrüstung für die iranische Kriegsmarine, 3,7 Milliarden auf Kampfflugzeuge, bis zu 2,5 Milliarden auf militärisches Gerät für die Bodentruppen und 1,1 Milliarden auf Kampfhubschrauber. Hinzu kommen Vertragsstrafen für gebrochene Kontrakte, darunter allein 80 Millionen Dollar für die S-300.

Über die wahrscheinlich gleichfalls nicht unbeträchtlichen Verluste Chinas durch entgangene militärische Lieferungen an Iran liegen keine Zahlen vor. Daß ein Land wie China gegen das unverändert immer noch das 1989 von den USA und der EU erlassene totale Waffenembargo in Kraft ist, seinerseits gleichen Strafmaßnahmen gegen ein anderes Land zustimmt, ist von bitterer Ironie und scheint von politischer Gedankenlosigkeit zu zeugen.

Vermutlich werden beide Staaten für ihre Zustimmung zu den Sanktionen gegen Iran in irgendeiner Weise vom Westen »entschädigt« worden sein, zumindest mit Versprechungen auf die Zukunft, doch gibt es darüber bisher keine gesicherten Informationen. RIA-Nowosti zitierte zu diesem heiklen Thema am 10. Juni den russischen Militärexperten Igor Korotschenko mit der Auffassung, Rußlands Verluste im Iran-Geschäft könnten durch neue Kontrakte mit Irak und Afghanistan »kompensiert« werden. Seiner Meinung nach könnten diese Waffenlieferungen von den USA und ihren Koalitionspartnern bezahlt werden. »Das würde zeigen, daß die Vereinigten Staaten und die NATO tatsächlich ihr Geld dorthin geben, wo ihr Mund ist, wenn sie vom partnerschaftlichen Charakter ihrer Beziehungen mit Moskau sprechen«, sagte Korotschenko, der einen Think-tank namens Center for World Arms Trade Analysis leitet.

Indessen kann nicht ausgeschlossen werden, daß Rußland auch in diesem Fall, wie zum Beispiel bei der deutschen »Wiedervereinigung« und der NATO-Ausweitung auf Osteuropa, hintergangen wird und leer ausgeht. »Fool me once, shame on you; fool me twice, shame on me«, sagt eine englische Redensart: Schande über dich, wenn du mich einmal zum Narren hältst; Schande über mich, wenn du mich zweimal zum Narren hältst.

Sanktionen sollen Dialog erzwingen

Chinesische und russische Politiker beantworten die Frage nach den Gründen für ihre nunmehr vierte Mitwirkung an immer weiter gefaßten Strafmaßnahmen gegen Iran übereinstimmend: Das Vorgehen des UN-Sicherheitsrates ziele darauf ab, »beständig den Fortschritt von Dialog und Verhandlungen zu fördern, nicht einfach nur Sanktionen zu verhängen«, behauptete der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Qin Gang, am 10. Juni. Sanktionen allein könnten das Problem nicht lösen. China suche nach einer Lösung, die den Bedenken aller Beteiligten Rechnung trage.

Auch der UN-Botschafter Rußlands, Witali Tschurkin, gab sich einen Tag nach der Verabschiedung der neuen Sicherheitsratsresolution sehr optimistisch: »Ich glaube wirklich, daß die Sanktionen die angestrebte Wirkung hervorrufen können, nämlich daß sich die iranische Führung auf die Notwendigkeit einer vollen Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft, der IAEA und den Iran-Sechs konzentriert.« – Letzteres ist die aus China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Rußland und den USA bestehende Gruppe, die bisher die Konfrontation mit dem Iran bestimmt hat. Die Iran-Sechs sind sich darüber einig, keine weiteren Staaten wie die Türkei und Brasilien, deren Teilnahme ganz offensichtlich das Gesprächsklima sehr verbessern könnte, in die Verhandlungen einzubeziehen. Man könnte auch sagen, daß sie trotz des klaren Scheiterns ihrer bisherigen Bemühungen mit konsensualer Eifersucht über ihre Monopolstellung wachen, statt andere Konstellationen auszuprobieren.

Zum vierten Mal neue Strafmaßnahmen gegen Iran damit zu rechtfertigen, sie würden »den Verhandlungsprozeß vorantreiben«, wie Medwedew es am 12. Juli tat, ist angesichts der bisherigen negativen Ergebnisse wider alle Vernunft. Rußlands Präsident verwies zudem direkt auf seine eigene frühere Äußerung, daß »Sanktionen in der Regel nicht zu den gewünschten Resultaten führen«, ohne den Widerspruch aufzuklären. Medwedew bezog sich dabei auf seinen rätselhaften Ausspruch vom September 2009, daß Sanktionen selten produktiv, manchmal jedoch »unvermeidlich« seien.

Premierminister Wladimir Putin hatte sogar noch am Tag der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat ausgeführt, »daß friedliche Gespräche, nicht Sanktionen der beste Weg seien, um den Streit über Irans Atomprogramm zu lösen«. Er fügte hinzu: »Wir sollten der iranischen Seite nichts aufzwingen. Wir müssen mit ihnen in dieser Frage zu einer Übereinstimmung kommen.« – Das ist zwar vernünftig gesprochen, stimmt aber keineswegs mit der Herangehensweise der westlichen Regierungen überein, die den Katalog ihrer kompromißlosen Forderungen an Teheran immer weiter verschärfen und auf Gebiete außerhalb des Atomstreits ausweiten.

Zwischen den UN-Resolutionen, denen sie letztlich doch immer wieder zustimmten, hatten Rußlands Politiker viele Male das Verhängen von Sanktionen mit klaren Worten verurteilt. Beispielsweise erklärte Verteidigungsminister Sergej Iwanow im September 2006, daß ihm aus der Geschichte kein einziger Fall bekannt sei, wo Strafmaßnahmen ihre Ziele erreicht hätten. Im Oktober 2006 bekräftigte auch Außenminmister Lawrow, daß Rußland gegen Ultimaten und Drohungen sei. Zugleich warnte er: »Wir dürfen nicht zulassen, daß sich eine Situation entwickelt, wo die 5 + 1 – das sind die Iran-Sechs – und der UN-Sicherheitsrat Schritte ergreifen, die uns alle in eine Konfrontation mit dem Iran treiben.« – Zwei Monate später stimmte Rußland im UN-Sicherheitsrat erstmals der Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Iran zu.

Keine eigene Iran-Politik

Das zentrale Argument der Russen und Chinesen für ihre Mitwirkung an immer neuen Sanktionsbeschlüssen gegen den Iran ist offensichtlich praktisch nicht stichhaltig und widerspricht zudem ihren eigenen grundsätzlichen Aussagen zu diesem Thema. Da andere Begründungen für das scheinbar paradoxe Verhalten Rußlands und Chinas nicht geliefert werden, ist es schwierig und fast aussichtslos, dahinter irgendeine politische Logik, gar eine Strategie zu suchen. Beide Staaten haben bisher sogar auf die naheliegende Möglichkeit verzichtet, zusammen eine eigene Position zum Atomstreit zu definieren und sie gemeinsam – vielleicht auch im Bündnis mit weiteren Staaten – öffentlich zu vertreten. Zu keinem Zeitpunkt des Atomstreits haben Moskau und Peking den Versuch unternommen, einen internationalen Gegenpol zum katastrophalen Konfrontationskurs des Westens aufzubauen. Sie haben weder konstruktive Vorschläge entwickelt, die als Basis eines Kompromisses dienen könnten, noch haben sie Verhandlungsinitiativen gegenüber dem Iran unternommen. Selbst die Chance, die sich mit der Vermittlung durch Brasilien und die Türkei zu eröffnen schien, haben sie nicht nur nicht wahrgenommen, sondern sie gemeinsam mit USA und EU sofort wieder zerstört.

Erschwerend kommt hinzu, daß Rußland und China in Sachen Iran meistens die US-Regierung für sich sprechen lassen. So beispielsweise, aber keineswegs einmalig bei der Verkündung der Einigung auf eine neue Sanktionsresolution durch Hillary Clinton – nur einen Tag nach der zwischen Brasilien, der Türkei und Iran ausgehandelten Teheraner Erklärung. Ein einziges Mal hat sich Außenminister Lawrow ausdrücklich dagegen verwahrt, vom Westen ständig für dessen Kampagne gegen den Iran vereinnahmt zu werden. Das war Anfang Mai 2008.

Wäre es etwa eine ungewöhnliche, gar eine maximalistische Forderung, wenn Rußland und China schon vor Jahren darauf bestanden hätten, daß Stellungnahmen im Namen der Iran-Sechs nur gemeinsam abgegeben werden? Und wenn sie für den Fall weiterer Verstöße gegen dieses Prinzip mit ihrem Ausstieg aus dem »Boot« gedroht hätten? Auch das unter der Hand vorgetragene Schutzargument, Rußland und China würden durch ihre Kooperation mit den USA und der EU deren Konfrontationskurs etwas abmildern, vielleicht die eine oder andere UN-Sanktion verhindern, sticht nicht. Erstens gäbe es ohne Zustimmung oder Duldung der beiden Staaten überhaupt keine UN-Resolutionen gegen Iran, da sie ihr Veto-Recht einsetzen könnten. Von der ihnen damit automatisch zufallenden Gestaltungsmacht haben Rußland und China, soweit es jedenfalls den Streit mit Iran angeht, bisher keinen Gebrauch gemacht. Beispielsweise hätten sie im eigenen Interesse schon lange erklären können, daß sie keine weiteren Sanktionsbeschlüsse mittragen, solange USA und EU darüber hinausgehende Strafmaßnahmen praktizieren, die sich unter anderem auch gegen russische und chinesische Unternehmen richten.

Zweitens mildern Rußland und China durch ihre Mitwirkung an Sanktionsbeschlüssen die Konfrontation nicht etwa ab, sondern verschärfen sie. US-Kriegsminister Robert Gates sprach das schon im April ganz klar aus, als er sagte, die Bedeutung einer neuen Sicherheitsratsresolution liege »weniger in ihrem speziellen Inhalt, sondern in der Isolierung Irans durch den Rest der Welt« (Reuters, 14.4.2010). Oder genauer gesagt: in der durch die Kooperation Rußlands und Chinas gegebenen Chance zur Hervorrufung des Eindrucks, Iran sei tatsächlich isoliert, müsse also wirklich eine ganz schreckliche Gefahr für die gesamte Welt darstellen.

Zugleich dienen die UN-Sanktionen den USA und der EU auch als scheinbare Legitimationsbasis und »Sprungbrett« für das Nachlegen zusätzlicher eigener Strafmaßnahmen. Da dies schon bei den früheren drei Sicherheitsresolutionen der Fall war, kann es Rußland und China jetzt nicht wirklich überrascht haben. Die Zeiten, wo Washington davon absah, Verstöße russischer und chinesischer Unternehmen gegen die einseitig verhängten Sanktionen der USA zu ahnden, um die beiden Staaten »im Boot zu halten«, sind vermutlich vorbei. Obama, der gern bei diesem Verfahren geblieben wäre, dürfte künftig große Schwierigkeiten mit dem Kongreß bekommen, wenn er weiter Ausnahmeregelungen für Rußland und China zu praktizieren versucht.

Nicht zuletzt haben die beiden Staaten, indem sie durch ihr widersprüchliches, inkonsequentes und unberechenbares Agieren das iranische Vertrauen ruinierten, die ohnehin nicht großen Chancen auf eine friedliche Lösung des Konflikts noch mehr verhindert. Insgesamt ist ihr Verhalten in diesem Konflikt von den gleichen Fehlern gekennzeichnet, mit dem sie den USA vor acht Jahren den Weg in den Irak-Krieg erleichterten. Das läßt eher auf Absicht denn auf reines politisches Unvermögen schließen.

* Aus: junge Welt, 20. August 2010


Missbrauch unwahrscheinlich

Unabhängige Experten wie David Albright vom Institute for Science and International Security in Washington halten es zwar "nicht für ausgeschlossen, aber für relativ unwahrscheinlich", dass Iran die Brennstäbe für den Bombenbau missbraucht. Die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA überwachen den Meiler, zudem fallen bei Normalbetrieb zur Stromerzeugung neben waffenfähigem Plutonium239 auch andere Isotope an, die das Material für militärische Zwecke ungeeignet machen.

Sollte Iran den Reaktor so fahren, dass er optimal den Bombenstoff erbrütete, fiele das schnell auf. Zudem besitzt das Land noch keine Wiederaufarbeitungsanlage, um das Plutonium herauszulösen.
Paul-Anton Krüger in der Süddeutschen Zeitung vom 21. August 2010 ("Anreicherung der Macht. Warum unabhängige Experten es für unwahrscheinlich halten, das Iran die Brennstäbe für den Bombenbau missbrauchen könnten").




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