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Irans Atomprogramm: Aggressiv oder nur ein Mittel zum Machterhalt?

Kommentare zum russisch-iranischen Atomabkommen

Das berichteten Ende Februar die Nachrichtenagenturen:
Mit einem Abkommen über die Rückführung von benutzten Brennstäben haben Russland und der Iran den Weg für den Betrieb des ersten iranischen Atomkraftwerks geebnet. Die Chefs der iranischen und der russischen Atomenergiebehörden, Gholamresa Aghasadeh und Alexander Rumjanzew, unterzeichneten die entsprechenden Dokumente am 27. Feb. In dem Abkommen sagt Russland die Lieferung von Brennstäben für den Reaktor in Buschehr zu. Der Iran verpflichtet sich seinerseits, benutzte Brennstäbe wieder nach Russland zu bringen. Mit der Vereinbarung soll verhindert werden, dass das Material im Iran für Atomwaffen missbraucht wird. Der Reaktor soll Ende 2006 hochgefahren werden. Bereits Ende 2005 solle der Buschehr-Reaktor fertiggestellt sein, sagten Rumjanzew und Aghasadeh übereinstimmend. Mitte 2006 will Russland rund hundert Tonnen Brennstäbe für das iranische Kraftwerk liefern. Die Unterzeichnung war über zwei Jahre lang aufgeschoben worden. Unter dem Druck der Weltgemeinschaft, vor allem der USA, hatte Russland das Geschäft von dem Zusatzprotokoll über die Rückführung der benutzten Brennstäbe abhängig gemacht. Die USA, die dem Iran das Streben nach Atomwaffen vorwerfen, lehnt die Fertigstellung des Kraftwerks insgesamt ab.

Mit diesem russisch-iranischen Atom-Deal befassen sich drei Kommentare, die wir im Folgenden - zum Teil in Auszügen - dokumentieren.


Putins Vertrauen in Iran

VON KARL GROBE

Das iranisch-russische Atomabkommen ist eine Niederlage für die Washingtoner "Falken". Ob es ein Sieg für die Diplomatie ist, zu der sich US-Außenministerin Condoleezza Rice neuerdings in dieser Sache bekannt hat, muss sich noch herausstellen. Kurzfristig gewonnen haben bei dem Deal Teheran und Moskau.

Das Abkommen enthält Zusagen, Verpflichtungen, einen Zeitplan und geheime Details. Russland sagt zu, den ersten Reaktor im AKW Buschehr fertig zu stellen - das ist wirklich nicht neu - und nuklearen Brennstoff zu liefern. Iran verpflichtet sich, die abgebrannten nuklearen Brennstäbe an Russland zurückzugeben. Der Zeitplan sieht vor, dass das AKW in gut anderthalb Jahren ans Netz gehen soll. Auf welchen Wegen die strahlenden Brennelemente transportiert werden, ist öffentlich nicht bekannt.

Moskau und Teheran haben zu verstehen gegeben, dass sie sich um die Einrede der Bush-Regierung nicht kümmern. Deren Bedenken beziehen sich auf die iranischen Verschweige- und Täuschungsmanöver der jüngsten Zeit, und sie enthalten den Argwohn, Iran strebe nach nuklearer Bewaffnung, halte sich also nicht an den Nichtweiterverbreitungsvertrag (NPT), den es seit langem ratifiziert hat. Die Weigerung, ein Zusatzprotokoll mit weitgehenden Inspektionsrechten für die internationale Atomenergiebehörde IAEO rechtskräftig zu machen, ist ein Argument für das Misstrauen der USA.

Nun gestattet der NPT den Iranern durchaus, AKWs zu bauen und für deren Bedarf auch den atomaren Kreislauf zu schließen, der sie von internationalen Zulieferern unabhängig machen würde - Inspektionen vorausgesetzt.

Der Vertrag mit Russland kann den Kreislauf überflüssig machen. Das ist eine zunächst nur technische Frage. Politisch brisant ist, dass Russlands Präsident seinem Kollegen aus Washington beim Treffen in Bratislava offenkundig in dieser Frage nicht entgegen gekommen ist. Tenor: Nicht kuschen, wir haben eine multipolare Welt. Der Kreml traut den Teheraner Zusagen also. Wie es, in gebührender Vorsicht, wohl auch die drei europäischen Mächte Frankreich, Großbritannien und Deutschland tun, die Iran den nachweisbaren Waffenverzicht diplomatisch abzuhandeln gewillt sind.

Washingtons "Falken" hingegen setzen auf Drohung und Druck. Die Informationen über unbemannte Spionageflüge ("Drohnen") im iranischen Luftraum wurden nur halbherzig dementiert, im Grunde also gar nicht. Auf die Spekulation, Israel könne gegebenenfalls die iranischen Atomanlagen vorbeugend zerstören, reagierten hohe Politiker mit dem Hinweis, man könne dies dann wohl nicht verhindern. Grund genug für die Teheraner Führung, sich Rückendeckung im Norden zu holen, wie jetzt geschehen.

Dass es den USA aber nicht um die Verhinderung von Nuklearrüstung im Prinzip geht, zeigte deren Reaktion auf das pakistanische Programm und den von dort aus getriebenen Verbreitungs-Handel des windigen Abdul Qader Khan. Die "Achse des Bösen" hat offenbar mit Pakistan gar nichts zu tun. In Islamabad herrscht ein Verbündeter; das genügt, und es genügte schon, als vor Jahren die Hinweise auf das Bombenprogramm unabweisbar zur Gewissheit wurden.

Iran gehört zu den drei von George W. Bush berufenen Gründungsmitgliedern besagter "Achse", unabhängig vom zivilen oder auch nicht zivilen Charakter seines Atomprogramms. Die USA arbeiten seit 1979, dem Revolutionsjahr, am Sturz der theokratischen Herrschaft; die zu überwinden ist allerdings Sache der Iraner. Und wenn es ihnen gelingt? Gar, wie vor 52 Jahren beim Sturz der gewählten Regierung Mossadek, mit gütiger geheimdienstlicher Hilfe aus Langley (Virginia)? Darf eine demokratische iranische Republik dann die Bombe haben, vorausgesetzt sie sucht Washingtons Freundschaft? Man muss sich auch in Moskau fragen, was daraus wird, wenn die Allianzen sich mal wieder umkehren.


Aus: Frankfurter Rundschau, 1. März 2005

Mittel zum Machterhalt

Die Regierung des Iran versteht ihr Atomprogramm als klassische Abschreckungspolitik. Weder Drohungen der USA noch Verhandlungen der EU werden sie davon abbringen
- Auszüge -


Iran gibt sich gesprächsbereit und konziliant in der Atomfrage, ist aber unerbittlich. Vor allem aus einem Grund: Das Regime fühlt sich bedroht. Auch wenn Revolutionsführer Ali Chamenei und Mohammed Chatami einmütig erklären, Iran strebe nicht den Besitz von Atomwaffen an, denn der Islam verbiete ihren Einsatz: Einige Vertreter des iranischen Regimes sprechen ganz offen aus, dass und warum sie die Bombe wollen: "In sicherheitspolitischer Hinsicht macht es überhaupt keinen Sinn, dass der Feind über Atomwaffen verfügt, wir aber darauf verzichten. Israel hat Atomwaffen, daher ist niemand legitimiert, uns den Besitz zu untersagen", formuliert es Dschawad Laridschani, einer der potenziellen Kandidaten für das Präsidentenamt. Das Regime hat am Beispiel Iraks und Nordkoreas mitverfolgt, dass zwar angegriffen wird, wer die Bombe nicht hat, aber verschont wird, wer sie hat. (...)

Die Drohungen der US-Administration lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und seit dem Afghanistan-Feldzug und dem Irakkrieg sieht sich das iranische Regime von den USA eingekesselt. Im Norden Irans stehen amerikanische Truppen in Zentralasien und Aserbaidschan; im Süden in Kuwait, im Osten in Afghanistan und im Westen im Irak. Auch von den Israelis fühlt Iran sich bedroht. (...)

Hier wird Irans Atomprogramm immer als aggressiv und feindlich beschrieben. Das iranische Regime jedoch sieht es schlicht als Mittel zum Machterhalt - als Instrument der Abschreckung gegenüber einer Supermacht, die Iran feindlich gesinnt ist und in den vergangenen vier Jahren zwei Nachbarländer angegriffen hat, und gegenüber dem Staat Israel, ihrem nuklear bewaffneten regionalen Rivalen. In der eigenen Sicht folgt Iran mit seiner Position lediglich der klassischen Abschreckungsdoktrin. (...)
(...)
(...) Das Regime will eine Sicherheitsgarantie von den USA, die sein Überleben garantiert. Sie will Teheran schon seit langem und ist dazu, wie Baton Gellman und Dafna Linzer in der Washington Post beschreiben, zu großen Konzessionen bereit. Al-Baradei soll gemäß diesem Bericht Präsident Bush bereits im Oktober 2002 übermittelt haben, dass die Iraner sich auf Gespräche mit den Amerikanern einlassen wollten und dann eventuell auf die Anreicherung von Uran verzichten würden.
(...)
Sollte das Regime also keine Sicherheitsgarantie von den USA und Israel bekommen, die seinen Bestand gewährleistet, ist unwahrscheinlich, dass es sich von der Entwicklung des Nuklearprogramms abbringen lässt. Schon andere haben den Iranern die Doppelstrategie vorgemacht, und auch im Falle Israel, Indien und Pakistan war sie erfolgreich. Man wird in aller Heimlichkeit versuchen, alle Bestandteile für eine Atomwaffentechnologie zu entwickeln. Und durch die bewährte Verzögerungstaktik und eine Teilkooperation mit der IAEO schützt man sich vor Sanktionen oder militärischen Angriffen. Doch könnten die Verhandlungen von Europäern und den USA mit Teheran durchaus segensreich wirken: Wenn sie dem Regime eine Sicherheitsgarantie in Aussicht stellen - mit der Auflage, der Bevölkerung mehr Freiheiten und Rechte zu gewähren. "
KATAJUN AMIRPUR

Aus: taz. 2. März 2005 (Kommentar)


Blühende Atomgeschäfte

Von Roland Heine
- Auszüge -

(...) Zwar hatte die US-Regierung lange Zeit versucht, den russisch-iranischen Handel zu verhindern, das Abkommen wurde als Beihilfe zur nuklearen Aufrüstung des Iran gegeißelt. Doch Moskau blieb hart, und in der vergangenen Woche einigten sich Putin und US-Präsident Bush offenbar auf eine vorläufige Kompromissformel: Moskau stellt heraus, dass verbrauchte Brennstäbe nicht in iranischer Hand bleiben (und somit kein Nuklearmaterial für militärische Zwecke abgezweigt werden kann), und Washington toleriert den Deal. (...)

Es bleibt allerdings der Verdacht, dass es den USA in ihrem langjährigen Iran-Streit mit Russland gar nicht in erster Linie um die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen ging. Wer könnte glauben, dass Russland irgendein Interesse daran hat zu helfen, ausgerechnet an der sensiblen Südgrenze des GUS einen Atomwaffenstaat entstehen zu lassen? Ganz abgesehen von einer weiteren simplen Wahrheit: Je größer die Zahl der Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, desto mehr wird die Macht der alten Atommächte relativiert. Es kann also als ziemlich sicher gelten, dass Moskau so oder so dafür gesorgt hätte, dass die russischen Brennstofflieferungen nicht für den Bombenbau genutzt werden können.

Der amerikanisch-russische Streit um den Buschehr-Vertrag ordnet sich ein in die strategischen und die ökonomischen Rivalitäten beider Länder. In Moskau sieht man mit zunehmender Sorge, wie die USA politisch, aber auch militärisch in ehemaligen Sowjetrepubliken Fuß fassen. In fast allen südlichen GUS-Staaten gibt es amerikanische Militärberater, in einigen auch bereits US-Miltärbasen. In dieser Situation sind gute Beziehungen zu einer Regionalmacht wie dem Iran, der zudem ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten darstellt, von besonderem Wert. (...)

Hinzu kommt, dass die umfangreiche russische Atomindustrie seit vielen Jahren stagniert. Nach der Tschernobyl-Katastrophe und dem Zerfall der Sowjetunion gingen die meisten früheren Märkte an den Westen verloren, aus Osteuropa wurde Russland vollständig verdrängt. Das Iran-Geschäft verspricht nun Abhilfe, das Kraftwerk von Buschehr soll offenbar nur ein Auftakt sein. Die Rede ist von sieben bis acht weiteren Kernkraftwerken, der Chef der russischen Atomenergiebehörde spricht von einem Zehn-Milliarden-Dollar-Auftrag. (...)

(...) Die russisch-iranischen Abmachungen seien vereinbar mit den Zielen, die die EU im Iran verfolge, sagte die Sprecherin von EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner am Montag in Brüssel. Die EU habe das Recht des Iran auf friedliche Nutzung der Kernenergie nie in Frage gestellt, es müsse nur gesichert werden, dass das Land keine Atomwaffen baue. Was die Sprecherin nicht sagte: Auch mehrere europäische Unternehmen wollen mit dem Iran ins Atomgeschäft kommen. Siemens kennt sich vor Ort noch ganz gut aus, das deutsche Unternehmen war am Baubeginn in Buschehr in den siebziger Jahren beteiligt.

Angesichts der jüngsten Entwicklung scheint in der US-Regierung die Bereitschaft zuzunehmen, die bisherige Iranpolitik zu überprüfen. Bush habe mit den wichtigsten Kabinettsmitgliedern und seinen Sicherheitsberatern über wirtschaftliche Anreize gesprochen, die Iran im Fall der Aufgabe seiner Atomambitionen erhalten könnte, heißt es. Hat der Buschehr-Vertrag vom Wochenende eine ganz neue Form russisch-amerikanischer Konkurrenz im Iran eingeleitet?

Aus: Berliner Zeitung, 1. März 2005


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