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Hoffen auf Ruhani

Mit Irans neuem Staatsoberhaupt verbinden viele große Erwartungen

Von Roland Etzel *

Hassan Ruhani ist noch keinen Tag im Amt, hat aber die Welt des Mittleren Ostens schon tüchtig durcheinander gewirbelt. Erst am 11. April machte er seine Kandidatur öffentlich, am 14. Juni siegte er bereits im ersten Wahlgang mit knapp 51 Prozent, und an diesem Wochenende tritt er sein Amt an.

Nicht nur für das Ausland kam Ruhanis Durchmarsch unerwartet. Auch innerhalb der großen iranischen Exilgemeinde in Deutschland hatten offenbar die wenigsten damit gerechnet. Für sie war es in erster Linie eine angenehme Überraschung, verbinden sie mit seiner Person doch die Hoffnung auf Liberalisierung der Gesellschaft in Iran selbst und gleichzeitige Öffnung gegenüber dem Ausland.

Die USA und Westeuropa müssen sich darauf erst einstellen. Die Beziehungen der großen NATO-Staaten zur Islamischen Republik sind nicht nur frostig. Nähme man manche politische Erklärung der jüngsten Zeit aus Brüssel oder Washington für bare Münze, wandelte man sogar an der Schwelle eines heißen Krieges. Ein weitreichendes Handelsembargo, eingeschlossen das iranische Hauptexportgut Öl, soll Iran in die Knie zwingen, damit es auf die Weiterführung seines Atomprogramms verzichtet.

Damit ist allerdings kaum zu rechnen. Auch Ruhani sagt wie sein Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad, Iran strebe nicht den Bau von Nuklearwaffen an. Ernstzunehmende Angebote des Westens, die Teheran im Gegenzug für einen etwaigen Verzicht auf sein Recht zur friedlichen Nutzung des Atoms als Kompensation akzeptieren könnte, hat es bislang nicht gegeben. Zusätzlich erschwert wird eine solche Variante dadurch, dass ausgerechnet Israel diesen Verzicht Irans am vehementesten fordert, obwohl es als einziger Staat im Nahen Osten über Atomwaffen verfügt und Inspektionen seiner Anlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) verweigert.

Zu Zeiten der polternden Rhetorik des Antidiplomaten Ahmadinedschad war es relativ leicht, Iran in der öffentlichen Wahrnehmung als einzigen »atomaren Bösewicht« der Region stehen zu lassen. Ob man das in Berlin, London, Washington und Jerusalem selbst geglaubt hat, steht auf einem anderen Blatt. Unzweifelhaft ist, dass man sich dort bereits auf ein Abgehen von dieser platten Konfrontation einzustellen beginnt.

So erklärte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, in der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, er habe Ruhani als klugen Mann kennengelernt, der nicht am Besitz einer Atombombe interessiert sei. Aus Frankreich war zu hören, es sei Ruhani gewesen, der 2003 das geheime iranische Atomwaffenprogramm gestoppt habe. Damals war er von Präsident Mohammed Chatami zum Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrats und Chefunterhändler der Atomgespräche mit dem Westen bestimmt worden. In dieser Eigenschaft soll er die Aussetzung der Urananreicherung verfügt und unangekündigten Kontrollen der Atomanlagen durch die IAEA zugestimmt haben.

US-Präsident Barack Obama kündigte an, den Export von Agrar- und Medizinprodukten vom Boykott ausnehmen zu wollen. Dies soll als Geste des guten Willens gelten. Polenz rät allerdings, schnell noch weiter zu gehen. Für ihn seien direkte Verhandlungen zwischen beiden Staaten unumgänglich. Barack Obama sollte »Teheran die Hand reichen«.

So weit war man schon vor zehn Jahren einmal. Auch Chatami wurde damals vom Westen allenthalben als der erwünschte Reformer gepriesen, und man beklagte, dass er von den Mullahs in die Zange genommen werde – was freilich dadurch erleichtert wurde, dass der Westen Chatami in den Verhandlungen kein bisschen entgegen kam. Das liegt auch dieses Mal im Bereich des Möglichen. Drei Tage vor Ruhanis Amtsantritt beschloss das US-Repräsentantenhaus, die Iran-Sanktionen nicht zu lockern, sondern zu verschärfen. Angetrieben vom Amerikanisch-Israelischen Ausschuss für Öffentliche Angelegenheiten, soll Iran an überseeischem Erdölexporten überhaupt gehindert werden.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begrüßt das und fordert, von der Kriegsoption, die iranischen Atomanlagen durch Luftschläge zu zerstören, nicht abzugehen. Er nannte Ruhani bereits kurz nach dessen Wahl »Irans neuen Wolf im Schafspelz«. Iran »nähert sich der Roten Linie, hat sie aber noch nicht überquert«, zitiert die russische Agentur RIA Nowosti den israelischen Premier. Die von Netanjahu geäußerte Bereitschaft, gegen die atomare Bedrohung aus Iran im Alleingang vorzugehen, wurde von Ruhani einen Tag später in iranischen Medien als lächerlich bezeichnet. Ansonsten spielt der Atomstreit dort kaum eine Rolle, um so mehr der Syrien-Krieg, in dem sich mögliche westliche Hoffnungen auf eine Abkehr Teherans von Damaskus wohl nicht erfüllen werden.

Worauf vor allem die Menschen hoffen, die Ruhani gewählt haben, ist zuallererst, dass sich ihre wirtschaftliche Lage nicht weiter verschlechtert. Eine Lockerung des Embargos könnte das erleichtern. Vor allem die jungen Leute in den Städten erwarten zudem mehr Freiheiten. Sie wollen leben wie ihre Altersgenossen in Delhi, Istanbul oder Kairo. Das weiß Ruhani.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 3. August 2013


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