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"Die USA haben einen Flächenbrand gelegt"

Der Publizist Bahman Nirumand über den Nahen und Mittleren Osten sowie die Politik des Westens *


Sie sprechen von einem »nicht erklärten« Weltkrieg im Nahen Osten. Was verstehen Sie darunter?

Dort findet neben allen regional-konkreten Konfliktlinien zugleich ein internationaler Kampf um ideologische Vorherrschaft, geopolitische und wirtschaftliche Macht sowie um lebenswichtige Ressourcen wie Öl, Gas und Wasser statt. Bereits jetzt wird um diese Ressourcen erbarmungslos gekämpft – und der Bedarf an Rohstoffen und Energien steigt rapide an. Die Konfliktlinien werden also verschärft, und es besteht die Gefahr, dass dieser jetzt noch regional begrenzte Krieg in absehbarer Zeit in einen offenen münden wird, der sich weltweit ausweiten wird.

Das klingt ein bisschen nach Weltuntergangsszenario.

Es ist eine reale Gefahr, die unbedingt gebannt werden muss. Die USA und ihre Verbündeten haben in dieser Region einen Flächenbrand gelegt, der immer weiter um sich greift: In Afghanistan wird die Lage immer bedrohlicher, Irak befindet sich längst in einem Bürgerkrieg, Libanon steht an der Schwelle zum Bürgerkrieg, in Palästina nimmt der permanente Krieg kein Ende, und es ist nicht auszuschließen, dass in naher Zukunft auch Syrien und Iran in Flammen stehen.

Was macht Sie so sicher, dass Iran angegriffen wird? Selbst Georg W. Bush weiß, dass ein weiterer Krieg das Letzte ist, was er jetzt gebrauchen kann. Außerdem würde damit die Situation in Irak noch weniger kontrollierbar.

Sicher bin ich nicht. Es könnte ja sein, dass die Vernunft auch zum Weißen Haus Zugang findet. Auf der anderen Seite kann ich mir kaum vorstellen, dass die USA ihr Ziel, die gesamte Region zu kontrollieren, einfach aufgeben. Was Demokraten und Republikaner möglicherweise voneinander unterscheidet, ist nicht das Ziel, sondern die Methode. Auf der anderen Seite ist es gewiss, dass sich Iran nicht zum Handlanger Washingtons degradieren lassen wird. Also bleibt nur die Option eines Regimewechsels, was zumindest kurzfristig nur mit Gewalt erreicht werden könnte. Das wäre eine Katastrophe, nicht nur für Iran und die Region, sondern auch für den Weltfrieden. Die Folgen eines Angriffs auf Iran wären weitaus gravierender als die des Irak-Kriegs.

Iran ist schon jetzt eine Katastrophe, und zwar für die Menschen, die dort leben, vor allem für die Frauen.

Völlig richtig. Nur, ein Krieg wird die Lage ungleich verschlimmern. Das wissen auch die Iraner, die sich in ihrer überwiegenden Mehrheit nach einem Regimewechsel sehnen. Aber sie möchten nicht dasselbe Schicksal erleben wie die Afghanen oder Iraker. Deshalb würden die meisten sich im Falle eines Angriffs von außen hinter das Regime stellen und ihr Land verteidigen.

Was wäre eine Alternative?

Jedenfalls kein Krieg. Fakt ist, dass es hüben und drüben um die eigenen Machtinteressen geht. Das gilt gleichermaßen für Islamisten, die den Glauben instrumentalisieren, um unaufgeklärte Massen für ihre Ziele zu mobilisieren, wie für christliche und jüdische Fundamentalisten, deren konstruierte Ideologien denselben Zweck verfolgen. Wir müssen alles daran setzen, um die Konflikte in der Region friedlich zu lösen und weitere Kriege, zum Beispiel gegen Iran, zu verhindern. In Iran gibt es zwei Gesellschaften, die parallel nebeneinander existieren: die islamische Gesellschaft und die Zivilgesellschaft mit den Protestbewegungen, wie der Frauenbewegung, der Studentenbewegung, den Umweltgruppen, streikenden Arbeitern, Intellektuellen und sogar religiösen Gelehrten. Diese Gruppen und Bewegungen müssen gestärkt werden.

Wie könnte man das von Deutschland aus tun?

Die Zivilgesellschaft in Iran muss aktiv unterstützt und das Regime wegen Verletzung der Menschenrechte unter Druck gesetzt werden. Hätte der Westen Iran nicht wegen des Atomkonflikts, sondern wegen Verletzung der Menschenrechte unter Druck gesetzt, hätte er, statt Iran insgesamt zu dämonisieren die iranische Gesellschaft differenziert betrachtet und die vielfältigen Aktivitäten der Zivilgesellschaft bekannt gemacht und unterstützt, wären wir heute der Demokratie viel näher. Wer tatsächlich in Iran Demokratie will, muss das Regime isolieren und nicht das Volk.

Fragen: Birgit Gärtner

* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2006


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