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Die Gefahr der Dämonisierung

Bahman Nirumand über die Fundamentalisten in Iran und in den USA

Von Heinz-Dieter Winter *

Im Vorfeld der Wahlen in den USA hat Präsident Bush lautstarke Kriegsdrohungen gegen Iran unterlassen. Doch es sickerten Informationen aus Militär- und Geheimdienstkreisen durch, dass das Pentagon weiter an Angriffsplänen arbeitet. Ob der Rücktritt von Verteidigungsminister Rumsfeld daran etwas ändert, bleibt abzuwarten.

Die Warnung des namhaften Iranexperten Bahman Nirumand vor einer »Katastrophe größeren Ausmaßes«, auf die die internationale Staatengemeinschaft wegen eines falschen politischen Umgangs mit dem Iran zusteuert, bleibt aktuell. Der Atomstreit habe längst die ihm gebührende Dimension überschritten. Die »Dämonisierung des iranischen Atomprogramms« sei völlig absurd. »Es sei denn, man möchte damit Ängste erzeugen und die Öffentlichkeit psychologisch auf einen möglichen Krieg vorbereiten.« Im Atomstreit würden Irrationalismen und Emotionen mitschwingen, die generell das Verhältnis zwischen dem Westen und der islamischen Welt belasten. Nirumand fragt, wieso schon der bloße Verdacht, der Iran könnte die Fähigkeit zum Bau der Atombombe erlangen, im Westen Angst und Schrecken auslöst.

Fundamentalisten auf beiden Seiten lieferten sich gegenseitig Steilvorlagen – die radikalen Islamisten in Iran, denen es in ihrer aggressiven Rhetorik um die Festigung einer zerfallenden Machtbasis geht, und die Bush-Administration, die ihre strategischen Interessen durch eine »Eskalationsstrategie« mit dem Ziel eines Regimewechsel in Iran durchsetzen will. Während Ahmadinedschads Attacken gegen Israel es den USA erleichterten, den Iran zu dämonisieren, ermöglichten die US-Kriegsdrohungen es dem Teheraner Regime, die »nationale Einheit« der Iraner zu beschwören. Übersehen werde im Westen die Tatsache, dass sich im Iran während der Herrschaft der Mullahs eine Zivilgesellschaft entwickelte, »die sich inzwischen weit vom Teheraner Regime entfernt hat und ihm völlig fremd geworden ist«. Der Autor weist anhand vieler Beispiele wie der »Erklärung der 565« vom März 2005 nach, dass in der Intelligenz, unter Schriftstellern und Journalisten, in der Jugend (besonders unter der studentischen) sowie in der Frauenbewegung und sogar in der islamischen Geistlichkeit bis hin zu den Ayatollahs eine nach einem säkularen Staat, Demokratie und Menschenrechten strebende machtvolle Bewegung entstanden ist. Seit den 80er Jahren gebe es ein vielfältiges Aufbegehren in allen Bereichen der Gesellschaft. Trotz Repression und vieler Opfer sei zu erwarten, »dass die bereits fortgeschrittene zivilgesellschaftliche Entwicklung im Iran den autoritären Gottesstaat von innen überwinden wird«, schreibt Nirumand.

Der islamische Gottesstaat stehe vor einem auswegslosen Dilemma. Grundsätzliche Fragen wie die Vereinbarkeit von Demokratie und Menschenrechten mit dem Islam oder die Möglichkeit eines »islamischen Protestantismus« seien von »historische Bedeutung, nicht allein für den Iran, sondern für die gesamte islamische Welt«. Wie sie entschieden werden, hänge nicht zuletzt vom Umgang des Westens mit der islamischen Welt ab, beschwört der Autor. Der Atomkonflikt biete dem Regime in Teheran die Möglichkeit zu Ablenkungsmanövern. Denn je bedrohlicher der Druck von außen werde, desto mehr würde die Bereitschaft wachsen, das Regime in dieser »national-religiösen Angelegenheit« zu unterstützen.

Nirumand meint, dass die Politik der Neokonservativen in den USA das Erstarken des Radikalislamismus im Iran geradezu gefördert habe. So würden sowohl das Mullah-Regime als auch die USA mit ihren Handlungen auf einen Krieg zusteuern und damit gleichzeitig dem Voranschreiten der iranischen Zivilgesellschaft, ihrem Engagement für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, großen Schaden zufügen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien wirft Nirumand vor, sich nicht mit der notwendigen Konsequenz den Plänen Washingtons entgegenzustellen. Sie würden sich damit in das eigene Fleisch schneiden. Durch harte Sanktionen und vielleicht gar einen Krieg würde die EU den größten Schaden auf westlicher Seite erleiden, da ihr dann wichtige Märkte verloren gehen. Der Ölpreis würde über die Grenze von 100 Dollar pro Barrel steigen.

»Die radikalen Fundamentalisten in Teheran und Washington sind dabei, die Welt in eine Katastrophe zu treiben«, betont Nirumand. Europa ist aufgerufen, diese aufzuhalten. – Ein aufrüttelndes Buch, das aktuelle Probleme in ihren historischen und internationalen Zusammenhängen sowie in islamischer Tradition sieht.

Bahman Nirumand: Iran. Die drohende Katastrophe, Kiepenheuer & Witsch. Köln 2006. 223 S., br., 16,90 EUR

* Aus: Neues Deutschland, 16. November 2006


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