Ein Tschadori hindert nicht am Denken
Was Iraner über ihre und andere Regierungen meinen
Von Elke Windisch *
»Bitte berühren Sie die Absperrungen nicht. Die Türen schließen sich dann automatisch und die
Alarmanlage schaltet sich ein.« Höflich spult der Beamte den Spruch im Minutentakt ab. Fast
ebenso häufig nimmt das Unheil dennoch seinen Lauf. Denn kaum einer kann der Faszination
taubeneigroßer Smaragde und Rubine, hochkarätiger Brillanten, goldener Gefäße, Dolche und
Prunkschwerter widerstehen. Sie füllen im Teheraner Sitz der Bank Melli, der Staatsbank, das
gesamte Kellergeschoss. Weder Dresdens Grünes Gewölbe noch die Rüstkammer im Kreml haben
so etwas zu bieten. Höchstens das Top-kapi-Serail in Istanbul, von wo die Osmanen-Sultane einst
ein ähnliches Weltreich regierten wie die iranischen Safawiden.
Auf sie gehen auch die Spiegelräume zurück, ganz mit funkelnden Mosaiken aus Spiegelglas und
Bergkristall ausgelegte Säle. Ihren Höhepunkt erreichte diese Kunst ausgerechnet unter der
unfähigen Nachfolgerdynastie, den Kadscharen. Anfang des 19. Jahrhunderts machten sie Teheran
zur Hauptstadt und tobten ihren pathologischen Hang zur Pracht bei der Fertigstellung des von den
Safawiden begonnenen Golestan-Palastes aus. Der Glitzergigant steht für ein düsteres Kapitel
iranischer Geschichte. Im Süden machten sich die Briten breit, im Norden die Russen. Sie
verschoben die Grenze um 400 Kilometer, forderten astronomische Kontributionen und plünderten
das Nationalheiligtum, die Bibliothek in Ardebil. Handschriften aus den Anfangsjahren der Safawiden-
Dynastie, lagern seit 1828 in Petersburg.
Russland - Freund oder geringeres Übel
Historisch arg belastet, normalisierte sich das iranisch-russische Verhältnis erst spät: Mohammed
Reza Schah, den die islamische Revolution 1979 ins Exil zwang, hatte in der Sowjetunion ein
Gegengewicht zu Briten und Amerikanern gesehen. Und die jetzige Regierung sieht in Russland
einen der wenigen Freunde. Moskau vollendet das Kernkraftwerk in Buschehr und verhinderte durch
sein Veto eine schärfere Gangart gegen Teheran wegen dessen umstrittenem
Atomforschungsprogramm. Wladimir Putin ist daher der beliebteste ausländische Politiker in Iran.
Hundertprozentig trauen könne man den Russen dennoch nicht, meint Taxifahrer Mehdi. Souverän
steuert der Ingenieurstudent den Wagen durch die 14-Millionen-Stadt Teheran. Es ist der Tag nach
der jährlichen Palästina-Demonstration. Sie wird vom Staat organisiert, der Zorn der Massen, der
sich dabei gegen Israel und dessen Paten in Washington entlädt, ist dennoch echt. Besonders dem
ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney kreiden die Teheraner an, dass er den Evergreen
»Barbara Ann« im Freundeskreis zu »Bomb bomb Iran« verballhornt haben soll. Und todsicher,
fürchtet Mehdi, stecke Israel hinter Russlands Weigerung, Verträge zur Lieferung von
Raketenabwehrsystemen zu erfüllen. Daher könne Iran sich auch auf Uran-Anreicherung in
Russland nicht einlassen, wie sie das Ausland fordert.
Für den Studenten ist Russland dennoch das geringste aller Übel. Weil die EU sich »in
vorauseilendem Gehorsam« im Handel mit Iran ähnlich harte Beschränkungen auferlegte wie die
USA sie schon 1979 nach dem Geiseldrama in ihrer Teheraner Botschaft beschlossen hatten. Für
Mehdi unbegreiflich: »Westeuropa könnte allein durch den Iran-Handel die Rezession überwinden.«
Ganz schief liegt er damit nicht. Förder- und Verarbeitungsanlagen für Öl- und Gas sind
verschlissen, Ersatzteile fehlen. Obwohl Iran nach Saudi-Arabien über die größten erkundeten
Ölvorkommen verfügt, muss Benzin importiert werden. Für teure Devisen.
Verschreckt durch die Gewalt gegen Demonstranten nach den Präsidentenwahlen im Juni, bleiben
auch Touristen weg. Wer sich dennoch auf die »Achse des Bösen« begibt, ist danach um ein paar
Vorurteile ärmer.
Teheran erlebt einen Bauboom ohnegleichen. Der Fernsehturm, der dem Berliner verblüffend
ähnlich wird, soll nächstes Jahr fertig sein. Über ein Dutzend Sender können die meisten Haushalte
empfangen. Westliche allerdings nur, wenn sie reine Unterhaltung bieten. BBC oder dessen Farsi-
Nachrichtenkanal sind meist nur in Hotels verfügbar.
Bei strenger Auslegung verbietet der Koran Bilder eigentlich. Das Regime hat deren Macht jedoch
erkannt und nutzt sie: Großflächige Fotos von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, dem geistlichen
Oberhaupt Ali Chamenei und Revolutionsführer Ruhollah Khomeini springen Betrachter von
Häuserwänden und Bauzäunen an. Mehr noch: Fotohandys und Digitalkameras sind, zumindest in
Teheran, wo das Durchschnittseinkommen bei über 700 000 Toman - Anfang Oktober etwa 700 USDollar
- liegt, durchaus bezahlbar und daher inzwischen so häufig anzutreffen wie in Westeuropa.
Auch die rigiden islamischen Bekleidungsvorschriften für Frauen sind lockerer geworden.
Studentinnen tragen das Kopftuch bunt und sehr weit im Nacken. Und Lippenstift, Rouge oder
getuschte, lange Wimpern sind eher die Regel denn die Ausnahme. Als der relativ liberale
Mohammed Chatami Präsident war, sagt Zeinap, eine Geschäftsfrau, durften Frauen sogar
Fußballspielen beiwohnen. Ahmadinedschad habe das wieder verboten. Ein Jammer! Zeinap ist auf
dem Weg in den Urlaub. Ihr Ziel ist Kish, ein Schnorchelparadies im Golf mit getrennten Stränden -
rechts die Männlein, links die Weiblein. Genüsslich zieht die Fünfzigjährige an ihrer Zigarette. Der
Aschenbecher vor dem Eingang für Frauen auf Teherans Inlandflughafen Mehrabad ist so voll wie
der vorm Männereingang.
Auch das Recht auf den eigenen Führerschein haben die Iranerinnen sich nicht nehmen lassen.
Souverän meistern sie das Verkehrschaos. In Teheran, aber auch im konservativen Yazd, wo der
Gluthauch zweier Wüsten bis weit in den Oktober für Temperaturen von über 30 Grad sorgt.
Dennoch tragen die meisten Studentinnen beim Seminarausflug zu den Resten einer der alten
Festungen den Tschadori, den schwarzen Ganzkörperschleier. »Ich weiß nicht, ob ich mich trauen
würde, so herumzulaufen wie die Frauen im Westen. Ohne Kopftuch und mit nackten Armen.«
Elham [1], Anglistikstudentin, kennt die Zeiten, als in iranischen Großstädten die kürzesten Miniröcke
zu sehen waren, nur aus den Erzählungen ihrer Mutter. »Damals«, meint sie, »konnte man alles
tragen. Und alles sagen.« Eine Demokratie war Iran freilich nie. Der Savak, der Geheimdienst des
Schahs, brachte Regimegegner mit ähnlicher Brutalität zur Strecke wie nach der Revolution sein
Nachfolger Savama. Und das Evin-Zuchthaus war damals ähnlich voll wie heute. Elham sähe es
dennoch gerne, wenn der Schahzadeh, der Sohn des Schahs, zurückkehren würde. »Er will aber
nicht. Er will nur helfen, einen Systemwechsel herbeizuführen.« Ein bloßer Regierungswechsel
reiche nicht. »Selbst, wenn die Opposition bei den Wahlen gesiegt hätte: Sie hätte wenig ändern
können, weil die reale Macht nicht bei Präsident und Parlament, sondern bei den Großayatollahs
liegt.«
»70 Prozent der Iraner wollen aber Veränderungen«, sagt Elham. Und das Regime, glaubt sie, habe
längst nicht mehr alles im Griff und drücke bei relativ kleinen Sünden schon mal die Augen zu. Bei
Videos beispielsweise, wie sie auch Ali [1] auf seinem Handy hat. In einem davon tanzt ein Mullah zu
westlicher Musik, statt sie als unislamisch zu verdammen. »Die ganze Stube«, sagt der angehende
Mediziner, der derzeit am Strand der heißen Golfregion Khusistan als Soldat Wache für das
Vaterland schiebt, »lacht sich schief, wenn ich das abspiele.«
Mehrmals hätten sie in Apotheken sogar nach Alkohol gefragt und ihn meist bekommen - zum
Präparieren von Gewebeproben im Labor. Kürzlich mit dem Hinweis, der Alkohol sei diesmal aber
bitter. Den, sagt Ali, habe er natürlich nicht genommen, und der Apotheker habe Verständnis gehabt.
Sanktionen treffen immer die Falschen
»Viele haben eine Stinkwut auf die Regierung. Aber nur wenige wollen sich selbst für
Veränderungen engagieren«, sagt Karen [1]. »Sie glauben offenbar, man könne Demokratie
importieren. Man muss aber für sie kämpfen.« Karen kennt sich mit Im- und Export aus. Vor allem
mit dem von Teppichen. Seine Familie hat in Isfahan seit Generationen einen Laden.
Isfahans Basar, zwei Moscheen und eine Prunk-Loge umgeben ein riesiges Wasserbecken mit
Fontänen. Schah Abbas der Große ließ das Kleinod vor 400 Jahren bauen. Von Armeniern, die er
vom Norden ins zentraliranische Hochland umsiedeln ließ. Darunter auch die Vorfahren des
Teppichhändlers der momentan allerdings nicht weiß, wovon er die Ladenmiete bezahlen soll. »Aber
vielleicht erbarmt Gott der Herr sich bis Montag. Dann werde ich nämlich 37.«
Der Herr erbarmt sich und bedient sich dazu des Erbfeindes der Armenier: Mit Kennerblick steuert
eine türkische Geschäftsfrau auf Karens bestes Stück zu, einen Buchara-Teppich, handgeknüpft und
aus Seide, die in der Sonne wie Gold glänzt. Madame lässt sich die Lupe reichen, zählt die Knoten,
ist befriedigt. Beim Tee wird der Zahlungsmodus vereinbart: Kaution von 100 Euro in bar, der Rest
geht auf ein Konto in einem EU-Staat. »Sanktionen treffen immer die Falschen, nicht die Regierung,
sondern den Mittelstand, der am meisten auf Reformen drängt«, klagt Karen. In Dubai gebe es eine
ganze Industrie habgieriger Vermittler, die an den Beschränkungen für Irans Banken verdient.
Dass Iran beim Streit um das Kernforschungsprogramm nicht einlenkt, hält er dennoch für richtig.
»Wieso werden wir für etwas bestraft, was wir noch gar nicht getan haben? Nur weil man mit
gewissen Technologien auch Bomben bauen könnte?« Über Israel, das die Bombe schon habe,
rege sich dagegen niemand auf.
[1] Namen geändert.
* Aus: Neues Deutschland, 24. November 2009
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