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Machtkampf in Teheran

Religiöser Führer will keinen Präsidenten mehr

Von Jan Keetman, Istanbul *

Als Irans geistlicher Führer Ali Chamenei jetzt erklärte, er könne sich Iran auch ohne Präsidenten vorstellen, nur mit einem vom Parlament gewählten Premierminister, trat der Machtkampf zwischen ihm und Präsident Mahmud Ahmadinedschad in eine neue Phase.

Ali Chamenei ist mit dem System der Doppelspitze aus Religiösem Führer und gewähltem Präsidenten bisher nicht gerade gut gefahren. Das lag auch an ihm. Seine Stärke ist, dass er noch von Revolutionsführer Ruhollah Chomeini zum Nachfolger gekürt wurde. Andererseits war er nur eine Notlösung, weil sich der geplante Nachfolger, Großayatollah Montaseri, durch seine Kritik an der Ermordung von Oppositionellen selbst disqualifiziert hatte. Obwohl Chamenei laut Verfassung mächtiger war, spielte ihn etwa der geschickte Präsident Hashemi Rafsandschani seinerzeit an die Wand. Besser erging es ihm dann mit dem Reformpräsidenten Mohammed Chatami. Obwohl der mit 80 Prozent der Stimmen gewählt wurde und eine Mehrheit im Parlament hatte, ließ er es zu, dass Chamenei die Reformbewegung immer mehr demontierte.

Der Hardliner Mahmud Ahmadinedschad (Foto r.: AFP) schien schließlich ganz nach Chameneis Geschmack zu sein. Kein ideologischer Weichling, aber ohne geistlichen Titel, der es bei seiner ersten Wahl nur knapp und vielleicht schon da nur mit Hilfe Chameneis in die zweite Runde schaffte und dessen Wiederwahl allein mit kräftiger Unterstützung des geistlichen Führers möglich war.

Doch als er seine zweite Amtszeit antreten sollte, brüskierte der vermeintliche Schwächling seinen Helfer. Statt wie üblich Chameneis Hand zu küssen, küsste er nur seine Schulter. Chamenei war sichtlich irritiert. Seither gab es Streit, insbesondere um die Kontrolle der Geheimdienste und des Erdölministeriums. Gegen zwei Minister in Ahmadinedschads Kabinett wird von Chamenei nahestehenden Abgeordneten ein Amtsenthebungsverfahren betrieben. Eine Vorladung an Ahmadinedschad vor das Parlament, die ebenfalls mit einer Amtsenthebung drohte, wurde zwar gestoppt, aber nur, um sie umgehend durch eine neue zu ersetzen.

Doch es wird nicht nur um einzelne Machtpositionen gerungen. Mit seiner messianischen Auffassung der schiitischen Religion untergräbt Ahmadinedschad auch die Legitimation des Religiösen Führers. Chomeini hatte dieses Amt geschaffen: So lange der 12. Imam nicht wieder erscheint, sollte ein religiöser Rechtsexperte, auch Religiöser Führer genannt, seine Stelle einnehmen. Wenn man wie Ahmadinedschad und sein Stabschef und Schwiegersohn Esfandiar Mashaei an die baldige Wiederkehr des verborgenen Imams glaubt, erscheint dieses Amt aber weniger wichtig. Insbesondere Mashaei ist ein rotes Tuch für jene Konservativen, die sich auf Chamenei stützen. Ein hoher Geistlicher warf Mashaei sogar vor, Ahmadinedschad verhext zu haben.

Die Kandidaten fürs iranische Parlament werden vom sogenannten Wächterrat handverlesen, und bei der Besetzung dieses Rates hat Chamenei das letzte Wort. Daher braucht er das Parlament nicht zu fürchten. Die Kandidaten für die Präsidentschaft werden zwar auch vom Wächterrat ausgesucht, doch die Wahl durch das Volk gibt dem Präsidenten ein gewisses Gewicht. Wenn man nun auch noch das Lager Ahmadinedschads ausschließen würde, nachdem die Konservativen bereits klar gemacht haben, dass sie keinen Kandidaten des Reformflügels mehr wollen, wäre dieses Votum endgültig eine Farce. Da erscheint es wohl besser, diese Wahl gleich ganz zu streichen.

Doch auch Chameneis Handlungsspielraum ist beschränkt. Angesichts des wachsenden Drucks aus den USA nach dem vermuteten Anschlagsplan gegen den saudischen Botschafter in Washington möchte er nicht, dass die Risse im Regime zu offensichtlich werden. Wohl deshalb kam es jetzt nicht zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen Ahmadinedschad. Und warum auch, wenn man das Amt ohnehin abschaffen will? Chamenei betonte jetzt zwar, dass dies kein Plan für die nahe Zukunft sei, doch Parlamentspräsident Ali Laridschani nahm den Ball sofort auf und begrüßte ein solches Vorhaben.

* Aus: neues deutschland, 1. November 2011


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