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Iran: Chirac auf eigenen Wegen

Die "Geschlossenheit des Westens", Frankreich und das Völkerrecht

Der folgende Kommentar von Luz María Destéfano de Lenkait bezieht sich auf eine möglicherweise interessante Aufweichung der angeblich so festen Haltung des Westens gegenüber dem Iran. Nach Russland und China hat nun auch die Vetomacht im UN-Sicherheitsrat Frankreich dafür plädiert, dem Iran mehr Zeit zu geben und nicht gleich auf Sanktionen zu setzen.



Zunächst aktuelle Meldungen

Frankreichs Präsident Jacques Chirac hat sich am 18. September in einem Radiointerview gegen eine Einschaltung des Uno-Sicherheitsrats ausgesprochen. Der französische Staatschef zeigte sich zuversichtlich, dass "Lösungen durch den Dialog gefunden" werden könnten. Er sei in der Frage "nicht pessimistisch", sagte Chirac. Er schlug vor, dass sich beide Seiten - Iran und die sechs derzeit an den Verhandlungen beteiligten Länder - zunächst auf eine Agenda für die Gespräche einigen. Während der Gespräche sollten die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, China und Russland darauf verzichten, mit der Einschaltung des Uno-Sicherheitsrats und mit Sanktionen zu drohen, während Iran die Urananreicherung einstelle.
Quelle: Spiegel-online, 18.09.2006)
br> Der deutsche Außenminister geht indessen nach wie vor von einer Geschlossenheit der "internationalen Gemeinschaft" aus und vertritt die bisher eingeschlagene härtere Linie, wie die folgende Meldung zeigt:
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat dem Iran damit gedroht, im Atomprogramm den Sicherheitsrat einzuschalten. Sollte der Iran nicht einlenken, würde sich die Einschaltung des Sicherheitsrates nicht mehr "wochenlang" hinziehen, sagte Steinmeier dem "Handelsblatt" (Ausgabe vom 18.09.2006). Der Iran dürfe nicht auf eine Spaltung der internationalen Gemeinschaft im Konflikt um das Atomprogramm setzen. "Allein in diesem Jahr ist mindestens fünf Mal befürchtet worden, dass diese Einheit auseinander fällt. Es ist nicht geschehen." Der Iran könne und solle "nicht auf eine Spaltung bauen". Zugleich äußerte der Minister die Hoffnung, dass der Streit ohne ein Verfahren im Sicherheitsrat entschärft werden kann. "Der einzige Weg zu einer Lösung ist sicher der über die Diplomatie. Und die Erfolgsaussichten sind am größten vor der Einleitung eines Verfahrens im Uno-Sicherheitsrat."
(Quelle: AFP, 18.09.2006)

Vor dem Beginn der UN-Generaldebatte am 19. September haben sich die USA bereit erklärt, eine doppelte Herangehensweise beim Atomstreit mit dem Iran zu akzeptieren. Während die Europäer weiter mit Teheran verhandelten, solle der UN-Sicherheitsrat über mögliche Sanktionen für den Fall eines Scheiterns der Gespräche diskutieren, sagte US-Außenamtssprecher, Sean McCormack, am q8. September. Dem Iran solle die Wahl gelassen werden zwischen dem Köder der Europäer und dem Stock der Vereinigten Staaten. Außenministerin Condoleezza Rice sagte, die USA würden weiter an einer Resolution arbeiten. Der UN-Sicherheitsrat werde diese Woche nicht mehr zusammentreten.
(Quelle: AFP, 18.09.2006)

Im Ringen um Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms hat US-Außenministerin Condoleezza Rice die internationale Gemeinschaft vor einem Verlust an Glaubwürdigkeit gewarnt. In einem Interview des US-Fernsehsenders NBC drängte Rice am 19. September die zögerlichen Partnerländer Frankreich, China und Russland, in Sanktionen einzuwilligen, wenn Teheran nicht einlenken und die Anreicherung von Uran aussetzen wolle. Nach Russen und Chinesen hatten am Montag auch die Franzosen klar gemacht, dass sie derzeit im UN-Sicherheitsrat keine Sanktionen gegen den Iran festlegen wollen.
(Quelle: AFP, 19.09.2006)

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hat sich gegen eine weitere Frist im Atomstreit mit dem Iran ausgesprochen. Der Regierung in Teheran solle kein neuer Termin für die Einstellung ihrer Nuklearaktivitäten gesetzt werden, forderte Chirac am Dienstag in New York. Das Ziel seien vielmehr Verhandlungen und damit ein Dialog, erklärte Chirac vor Journalisten bei den Vereinten Nationen.
(Quelle: AP, 19.09.2006)

US-Präsident George W. Bush hat sich in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung an das iranische Volk gewandt. "Das größte Hindernis zwischen Ihnen und Ihrer Zukunft sind Ihre Führer, die entschieden haben, Ihnen Ihre Freiheit vorzuenthalten und die Ressourcen des Landes zur Finanzierung von Terrorismus, zum Anheizen des Extremismus und zum Erreichen atomarer Waffen zu verwenden", sagte Bush am 19. September in New York. Dabei würden die Iraner es "verdienen", selbst über ihre Zukunft entscheiden zu können. Er "bewundere" und "respektiere" das iranische Volk, sagte Bush. Eines Tages könnten der Iran und die USA "gute Freunde und enge Partner" sein.
(Quelle: AFP, 19.09.2006)

Mit scharfen Angriffen auf die USA hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Atompolitik seines Landes verteidigt. "Alle unsere nuklearen Aktivitäten sind transparent, friedlich und geschehen unter den wachsamen Blicken der Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde", sagte Ahmadinedschad vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York. Andere Regierungen hätten dagegen die Atomtechnik zum Bau von Atombomben "missbraucht" und diese Waffen "mit einer traurigen Bilanz gegen die Menschheit eingesetzt", sagte er in Anspielung auf die USA.
(Quelle: AFP, 19.09.2006)



Der folgende Kommentar bezieht sich auf folgende Artikel aus der Süddeutsche Zeitung vom 19.9.2006: Kommentar "Chirac auf eigenem Weg" von kr, und: "Chirac stellt sich im Atom-Konflikt gegen die USA".

Souveränität: Rechte dürfen nicht zur Disposition stehen

Von Luz María Destéfano de Lenkait

Weder der SZ-Kommentar "Chirac auf eigenem Weg" noch der SZ-Artikel "Chirac stellt sich im Atom-Konflikt gegen die USA" vom 19.9.06 erkennt und schildert das Dilemma und die Sackgasse, in die sich Deutschland und Europa töricht und blind der Washingtoner Regierung folgend selbst hineinmanövriert haben. Glücklicherweise hat der französische Präsident Jacques Chirac diese Sackgasse jetzt erkannt, obwohl spät aber immer noch rechtzeitig, und Frankreich aus dieser fatalen Konstellation herausgeführt.

Das Völkerrecht im Sinne der Institutionen der Vereinten Nationen gilt an erster Stelle, und kein Zwang von einer Supermacht, die diese Institutionen wiederholt mißbraucht hat. Eine Allianz, die das Völkerrecht ignoriert, hat schlechte Präzedenz in der Geschichte, hätte niemals entstehen dürfen und muß jetzt aufhören. Deutschland muß sich dessen bewußt sein. Mindestens deutsche Journalisten, wenn die Bundesregierung in ihrer Fehleinschätzung befangen bleibt.

Die Position vom Iran ist der Öffentlichkeit lange Zeit bekannt. Sie war von Anfang an konsistent: Kein Verzicht auf sein legales Recht der friedlichen Nutzung der Kernenergie wie es in sämtlichen Resolutionen des Vorstands der internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien bekräftigt wird. Das Problem für die deutsche Presse rührt aus einer zweideutigen Stellung der deutschen Bundesregierung, nämlich einerseits gemeinsame Sache mit den USA machen zu wollen, andererseits nicht ungerecht gegenüber dem Iran zu sein, beides unvereinbar miteinander, was zu einer unglaubwürdigen und daher unwirksamen Außenpolitik führen mußte. Von Anfang zum Scheitern und zu Mißkredit verurteilt.

Rechte dürfen nicht zur Disposition stehen. Vielleicht weil ihr Land immer noch unter fremder Kontrolle steht, haben deutsche Journalisten ein Problem mit dem Konzept Souveränität, was offensichtlich ist, wenn eine Regierung wie die vom Iran sich selbstsicher souverän konsistent vor der ganzen Welt zeigt. Deswegen wird seine Position in der SZ verschleiert, verschwiegen und verleumdet. Und die von Frankreich stößt auf Unverständnis.

Die Initiative für Gespräche kam von Teheran. Sie versteht sich in einem gegenseitigen Rahmen von Respekt, was bedeutet die legalen Rechte eines Landes anzuerkennen. Der Lauf der Dinge hat allerdings gezeigt, daß es keinen Grund für Gespräche mit Washington gibt. Mindestens nicht mit den gegenwärtigen Washingtoner Falken. Es wäre fruchtlos und sinnlos, denn es fehlt eine dafür erforderliche respektvolle Basis.

Die USA haben sich vor kurzem für einen Dialog mit Teheran erklärt, stellten aber eine unzulässige Bedingung für den Dialog, nämlich die Verweigerung eines international verbrieften Recht Teherans. Die Antwort vom Iran ist schon seit Monaten bekannt, sogar im Original-Ton des Präsidenten gut dargestellt von einem hoch profesionellen unabhängigen Sender wie BBC-World (4.6.06 um 8 Uhr). Kein ernsthaftes Angebotspaket wird ein Verzicht auf ein legales Recht bedeuten. Deutsche Journalisten verkennen die Konsistenz der iranischen Position und die von Frankreich, wenn sie sich in ein angelsächsiches Spiel so verwickeln lassen, daß sie die Lage nicht sachlich angemessen einschätzen können.

Die USA und eine folgsame europäische Troika haben aus diesem iranischen rechtmäßigen Standpunkt ein Problem konstruiert, einen künstlichen Disput, indem sie Mißtrauen säen wollten. Ohne Erfolg.

Die Spaltung des Sicherheitsrates war von Anfang an vorprogrammiert, und es war gut so im Sinne der Völkergemeinschaft für die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen. Zwei Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, Rußland und China, und viele andere nicht permanente Mitglieder nahmen und nehmen immer noch einen völlig anderen Standpunkt ein, der völkerrechtlich begründet ist und sich an belegbaren Tatsachen orientiert, im Gegensatz zu den USA und der EU: Während letztere Kapitel 7 der UN-Charta gelten lassen wollen, berufen sich China und Rußland auf Kapitel 6. Das heißt, keine Sanktionen, keine Gewaltanwendung gegen den Iran, weder der Fall von Bedrohung des Weltfriedens noch eine beliebige Annahme eines bevorstehenden Angriffs seitens des Iran (Kapitel 7), sondern die friedliche Beilegung von Streitigkeiten (Kapitel 6).

Abgesehen von der momentanen Peinlichkeit deutscher Außenpolitik angesichts aktueller außenpolitischer Probleme ist grundsätzlich Klarheit darüber zu gewinnen, daß Kapitel 7 der UN-Charta seit dem Korea-Krieg und aller folgenden Aggressionen der letzten Jahrzehnte verheerende Wirkung hatte und deshalb schon lange obsolet geworden ist. Ein solches Kapitel, das bis in das 21. Jahrhundert hinein immer wieder als Instrument für Krieg und militärische Eroberung diente, ist aus der UN-Charta dringend zu streichen, um den Kern der Vereinten Nationen zu bewahren. Hier ist primärer Reformbedarf.[1]

Das muß für Fachleute und Redakteure der Außenpolitik klar sein: An den Tatsachen gemessen und nicht an einseitiger skrupelloser Interessenpolitik der US-Falken greift in der Iran-Frage nur Kapitel 6. Deshalb hätte Deutschland nie Teil der Troika sein dürfen, denn dort ging es von Anfang an um Kapitel 7, vor allem unter dem starken Einfluß der US-Falken. Kapitel 7 ist überschrieben mit Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen, eine Absurdität hinsichtlich des Iran, der niemanden bedroht, den Frieden nicht bricht und keine Angriffsplanungen hat.

Die kommende Blamage und internationale Isolierung der USA und der sogenannten EU-Troika hinsichtlich ihrer Iran-Politik war vorauszusehen. Trotzdem ist es noch nicht zu spät, daß Deutschland seine Position revidiert und sich vom unzulässigen Weg zu Sanktionen und Krieg eindeutig distanziert.[2] Grotesker kann es nicht gehen: Weil ein Land auf seinem Recht beharrt, muß es Sanktionen fürchten.

Frankreich hat wie immer das richtige Signal gegeben. Der deutsche Außenminister sollte sich besinnen, um nicht wiederholt stur hinter einer unhaltbaren Position für Deutschland weiteren Mißkredit zu ernten und es international negativ zu exponieren.

Fußnoten
  1. In einer gemeinsamen Erklärung verkündeten die Präsidenten von Iran und Venezuela die Stärkung ihrer "Allianz gegen das Imperium der USA". Sie forderten außerdem eine "Demokratisierung der Vereinten Nationen und eine multipolare Welt". Chávez sprach sich für die Zerstörung aller Atomwaffen aus: "Die USA sollten lieber mit gutem Beispiel vorangehen, bevor sie Forderungen stellen. Sie sollten ihr Atomarsenal zerstören, das eine Gefahr für die ganze Menschheit darstellt". .. dpa Meldung - SZ 19.9.06
  2. Der EU-Lateinamerika Gipfel in Wien (10.5.-14.5.06) zeigte die Skepsis von Lateinamerika gegenüber Europa. Lateinamerika beugte sich weder Dollar- noch Euro-Diplomatie. Tatsächlich wird die Beziehung zur EU in großen Teilen Lateinamerikas aber noch immer als politische und wirtschaftliche Alternative zu der historischen Abhängigkeit von den USA gesehen. Europa könnte eine wichtige Rolle einnehmen, wenn es sich selbst von der Abhängigkeit der USA-Politik löst.
* Luz María Destéfano de Lenkait, Meerbusch, Juristin und Diplomatin a.D.


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