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Teheraner Kursänderung

Im Atomstreit gibt es offenbar neue Position zu IAEA-Vorschlägen

Von Jan Keetman, Istanbul *

In den Konflikt um das Atomprogramm Irans kommt überraschend Bewegung. Nach internationalem Druck will der iranische Präsident Ahmadinedschad im Atomstreit mit dem Westen offensichtlich einlenken.

In einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen hat der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad erklärt, Iran habe »kein Problem« damit, gering angereichertes Uran ins Ausland zu schicken, um dafür höher angereicherte Brennstäbe zu erhalten. Die Erklärung überraschte wohl jeden, denn Iran hatte diese Möglichkeit vor einem Monat kategorisch ausgeschlossen.

Die Idee zu diesem Transfer stammt von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien. Sie sollte zu einer Entspannung im Atomstreit mit den USA und anderen westlichen Staaten beitragen. Dem Vorschlag zufolge würde Iran sein auf 3,5 Prozent angereichertes Uran ins Ausland schicken, wo es in Russland und Frankreich auf 20 Prozent weiter angereichert und in Brennstäbe gepresst werden soll. Diese erhält Iran für ein medizinisches Projekt zurück.

Damit bliebe die Anreicherungsstufe in Iran, sofern sie unter Kontrolle der IAEA steht, weit entfernt von den etwa 85 Prozent, die man für waffenfähiges Uran benötigt. Uran mit einem Anteil von drei bis fünf Prozent des spaltbaren Isotops U 235 kann als Brennstoff in Kernreaktoren eingesetzt werden.

In Natururan kommt U 235 nur zu 0,7 Prozent vor. Bei einem Grad von 20 Prozent – wie von Iran für medizinische Zwecke verwendet – gilt Uran bereits als hochangereichert. Technisch werden für den Anreicherungsprozess in der Regel Gaszentrifugen verwendet, von denen Iran Tausende besitzt.

Teheran hatte diesem Handel bisher mit dem Argument widersprochen, es könne nicht sicher sein, dass ins Ausland geschicktes Uran zurückgegeben werde. Allenfalls ein Austausch auf iranischem Gebiet oder ein Zukauf von angereichertem Uran kämen in Frage. Die Furcht vor der Beschlagnahme des Urans scheint Ahmadinedschad nun plötzlich verloren zu haben. Wenn kein höher angereichertes Uran zurückgegeben werde, erklärte Ahmadinedschad in dem Interview, dann sei Iran in der Lage, es selbst zu produzieren.

Ahmadinedschads plötzliche Wendung stieß in Washington auf Skepsis. Der Sprecher des Außenministeriums, Philip Crowley, erklärte, die USA hätten kein Interesse an einer Neuverhandlung des Angebots. Hinter dieser Äußerung steht die Befürchtung, Iran ginge es in einer Zeit, in der in Washington und anderen Hauptstädten laut über härtere Sanktionen nachgedacht wird, nur darum, mit einer neuen Verhandlungsrunde Zeit zu gewinnen. Crowley wollte die Tür aber wohl auch nicht ganz zuschlagen: »Wenn Iran etwas zu sagen hat, dann sind wir bereit zuzuhören«, sagte er.

Es erscheint nicht ganz unmöglich, dass Iran tatsächlich bereit ist, auf den Austausch einzugehen. Er war ohnehin nur als ein erster Schritt gedacht. Der eigentliche Brocken im Atomstreit sind die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, die von Iran den kompletten Stopp der Anreicherung und die Aufgabe eines Projektes mit einem Schwerwasserreaktor verlangen, mit dem sich Plutonium gewinnen ließe.

Ahmadinedschad sagte in dem Interview ebenfalls, es gebe Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch mit den USA, ohne Einzelheiten zu nennen. Im Dezember hatte Teheran eine Liste mit den Namen von elf Iranern veröffentlicht, die sich in US-amerikanischen Gefängnissen befinden sollen, darunter ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, der in Istanbul auf mysteriöse Weise verschwunden ist, und ein Nuklearexperte, der in Saudi-Arabien verschwunden ist.

Andererseits wurden drei US-amerikanische Wanderer jüdischer Abstammung in Iran vor einiger Zeit als Spione aufgegriffen, nachdem sie in den kurdischen Bergen die Grenze von Irak zu Iran überschritten hatten. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Mike Hammer, dementierte indessen Gespräche über einen Gefangenenaustausch. Angeb-lich befinden sich die verschwundenen Iraner nicht in der Gewalt der USA.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2010


Irans Schritt zum Frieden

Von Knut Mellenthin **

Iran scheint zum Einlenken im Streit um ein nukleares Tauschgeschäft bereit zu sein. Die US-Regierung reagierte auf diese Entwicklung, die ihren Konfrontationskurs gefährden könnte, mit demonstrativem Desinteresse.

In einer völlig überraschenden Wende hatte Präsident Mahmud Ahmadinedschad am Dienstag in einem Interview mit dem iranischen Rundfunksender IRIB die bisherige Haltung seines Landes zu dem von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) vorgeschlagenen Deal revidiert. Er grenzte sich dabei deutlich von den Bedenken einiger seiner »Kollegen« ab. Ob es sich um einen persönlichen Vorstoß des Präsidenten oder um eine Entscheidung der iranischen Führung insgesamt handelt, war am Mittwoch zunächst unklar. Eine präzise Zusammenfassung der von Ahmadinedschad angedeuteten neuen Position steht noch aus.

Auslöser der Diskussion war ein iranisches Ersuchen an die IAEA, mit 20prozentig angereichertem Uran beliefert zu werden, das als Brennstoff für den Betrieb eines Atomreaktors in Teheran benötigt wird. Diese Anlage war dem Iran noch zur Zeit der Schah-Diktatur von den USA geschenkt worden. Dort werden Isotope produziert, die zur Behandlung von Krebspatienten benötigt werden. Der in den 1990er Jahren von Argentinien gelieferte nukleare Brennstoff für den Reaktor geht in diesem Jahr zu Ende.

Iran hätte es vorgezogen, das erforderliche Uran auf dem Weltmarkt zu kaufen. Statt dessen habe die IAEA im Oktober 2009 ein von der US-Regierung inspiriertes Tauschgeschäft vorgeschlagen. Danach sollte Iran 70 bis 80 Prozent seiner Vorräte an schwach angereichertem Uran nach Rußland transportieren. Dort sollte das Material auf 20 Prozent angereichert und anschließend in Frankreich zu Brennplatten verarbeitet werden, die etwa ein Jahr später in den Iran geliefert werden sollen.

Iran hatte diesem Vorschlag zwar grundsätzlich zugestimmt, aber Verhandlungen über die technischen Details gefordert. Das war von der US-Regierung kategorisch abgelehnt worden, was praktisch den Vorschlag der IAEA in ein Diktat verwandelte, zu dem Teheran nur noch ja oder nein sagen konnte. Unter anderem wollte Iran erreichen, daß das Tauschgeschäft in mehreren Schüben Zug um Zug abgewickelt werden sollte, um sicherzugehen, nicht wieder einmal – wie schon öfter in der Vergangenheit – betrogen zu werden. Dahinter stand ein starker politischer Druck, der gemeinsam von konservativen und oppositionell-»reformerischen« Kräften ausgeübt wurde, um Ahmadinedschad durch den Vorwurf eines Ausverkaufs nationaler Interessen zu schwächen.

Mit seinen Äußerungen vom Dienstag scheint sich der Präsident nun über diese Widerstände hinwegsetzen zu wollen. In dem IRIB-Interview schlug er praktisch vor, es auf die Gefahr eines Betrugs ankommen zu lassen: »Falls sie nicht zurückliefern, was würde passieren? Es würde beweisen, daß wir recht hatten und daß die IAEA unzuverlässig ist. Das würde sie diskreditieren. Danach wären wir frei, uns für unsere Aktivitäten auf uns selbst zu verlassen.« Das 20prozentige Uran könne der Iran notfalls auch selbst herstellen.

Ein Sprecher des US-Außenministers bekräftigte in einer ersten Stellungnahme zu Ahmadinedschads Äußerungen, daß seine Regierung nicht über Änderungen des IAEA-Vorschlags verhandeln werde. »Wenn Iran ihn annehmen will, müssen sie das der IAEA mitteilen.«

** Aus: junge Welt, 4. Februar 2010


Iranisches Zickzack

Von Roland Etzel ***

Nach dem iranischen Teilrückzieher in Sachen Urananreicherung blieben die Reaktionen in den westlichen Ländern, also den Dauerkritikern Teherans, gestern recht zurückhaltend, obwohl es doch gerade ihre Forderung war, der Ahmadinedschad nun nachkommen will. Dieses Misstrauen gegenüber dem iranischen Präsidenten ist nachvollziehbar, denn eines der hervorstechendsten Merkmale seiner Politik ist wohl deren Unberechenbarkeit und Sprunghaftigkeit. Noch vor vier Wochen hatte er, was er nun wie selbstverständlich zusagte, mit der Geste der Empörung zurückgewiesen.

Doch es gibt wohl weitere Gründe, warum den NATO-Granden von Obama bis Merkel der jüngste Haken in Ahmadinedschads Zickzack Unbehagen bereitet. Sie haben in den letzten Wochen verschärft an neuen Sanktionen gegen Iran gezimmert und sind dafür vermutlich China und Russland – auf anderen Feldern – entgegengekommen, um sie gegen Iran mit ins Boot zu kriegen. Die Absprachen dafür waren vorangekommen.

Man darf davon ausgehen, dass dies Ahmadinedschad nicht verborgen blieb. Irans Anspruch, Urananreicherung für Kernbrennstoffe in Eigenregie durchzuführen, ist ungeachtet der Behauptungen – ebenfalls von Merkel bis Obama – rechtlich völlig legitim. Aber auch durchsetzbar? Und zu welchem Preis? Auch die Lage an der »inneren Front« gäbe Ahmadinedschad ausreichen Gründe, Konfrontationen auszuweichen.

*** Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2010 (Kommentar)


Iran: Einlenken unter Bedingungen

Teheran relativiert Vorschlag zum Austausch von angereichertem Uran ****

Im Atomstreit mit dem Westen ist Teheran nach den Worten des iranischen Botschafters in Moskau nur unter Bedingungen zum Einlenken bereit.

Iran könne sich zwar vorstellen, niedrig angereichertes Uran gegen das von anderen Ländern hoch angereicherte Uran zu tauschen. Bedingung sei aber, dass ein solcher Tausch »synchron und ausschließlich auf dem iranischen Territorium« erfolge, sagte Botschafter Mahmudresa Sadschadi am Donnerstag nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau.

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte am Dienstag im iranischen Staatsfernsehen überraschend erklärt, sein Land sei bereit, wie von der Internationalen Atomenergiebehörde vorgeschlagen schwach angereichertes Uran im Ausland weiter anreichern zu lassen, um es in einem Forschungsreaktor in Teheran zu verwenden.

»Wir warten auf Taten, nicht nur auf Worte«, sagte US-Außenamtssprecher Philip Crowley. Sollte Teheran sich tatsächlich bewegen und den Vorschlag annehmen, wäre dies im Interesse der iranischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft.

Unterdessen hat China vor schärferen Strafen gegen Iran gewarnt. »Derzeit von Sanktionen zu sprechen macht die Lage nur komplizierter«, sagte der chinesische Außenminister Yang Jiechi am Donnerstag im Französischen Institut für Internationale Beziehungen in Paris. »Die iranische Atomfrage muss in einem diplomatischen Prozess gelöst werden.« Die Dinge seien »immer noch in Bewegung« und es sei nun sehr wichtig, sich auf den Dialog zu konzentrieren, sagte der Minister. »Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um zu einer angemessenen und für alle hinnehmbaren Lösung zu gelangen.« Der französische Premier François Fillon hatte am Vorabend erklärt, dass Frankreich bei der UNO eine neue Entschließung mit »stärkeren Sanktionen« beantragen wolle.

**** Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2010


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