Kollision in Kurdistan auf dem Rücken der Bauern
Interessenkonflikt im Dreiländereck Irak-Iran-Türkei birgt neue Kriegsgefahren
Von Karin Leukefeld *
Wieder einmal brennt es in der irakisch-iranischen Grenzregion, einem Siedlungsgebiet der. Kurden.
Von der iranischen Armee wurde es wiederholt massiv unter Beschuss genommen.
Hilfsorganisationen berichten von Hunderten Dorfbewohnern, die ihre Häuser verlassen hätten. In
einer Erklärung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ist die Rede von 800 Vertriebenen,
die »alles zurücklassen« mussten. Bauern seien mit ihren Herden geflohen aus Angst, iranische
Truppen könnten das Land besetzen, berichtete der irakische Fernsehsender Al-Sumariya.
Bei dem umkämpften Gebiet handelt es sich um den Bezirk von Sidakan, wo nach offiziellen
Angaben etwa 10 000 Menschen in 254 Dörfern leben. Die iranischen Nachrichtenagentur IRNA
berichtete über »massive Operationen« gegen die Partei »Freies Leben für Kurdistan« (PJAK) in
den Kandilbergen, am irakisch-iranischer Grenzübergang Haji Omran und im Bezirk Dowlati. 5000
Soldaten seien im Einsatz, bei Kämpfen im Nordwesten Irans seien 35 PJAK-Rebellen getötet
worden. Ziel der Operation sei die »Auflösung/Vernichtung der PJAK« um die Grenze zu
stabilisieren.
Seit Jahren gibt es Auseinandersetzungen zwischen der iranischen Armee und PJAK, einer
Schwesterorganisation der in der Türkei operierenden Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Iran, das die
PKK jahrelang duldete und ihren Kämpfern teilweise den Durchgang durch Iran ermöglichte,
bezeichnet PJAK als »Tarnorganisation für Israel und die USA«. Äußerungen des zeitweise in
Deutschland lebenden PJAK-Vorsitzenden Abdulrahman Haji Ahmadi, man könne den Westen im
Kampf gegen Iran unterstützen, sofern die Organisation bewaffnet werde, bestätigen nach Ansicht
Irans diese Einschätzung. Wiederholt hat das iranische Außenministerium gegen Präsenz und Arbeit
der PJAK in Deutschland protestiert, zuletzt am Samstag (23. Juli).
Nach eigenen Angaben sollen die iranischen Revolutionsgarden drei Ausbildungslager der PJAK in
Nordirak eingenommen haben. Brigadegeneral Mohammad Pakpour forderte sowohl die Regierung
in Bagdad als auch die kurdische Regionalregierung in Erbil auf, weitere Angriffe der PJAK gegen
Iran zu unterbinden. Die kurdische Regionalregierung antwortete mit der Forderung, Iran solle die
gemeinsame Grenze respektieren. Mahmud Othman, Abgeordneter der Kurdistan-Allianz im
irakischen Parlament kritisierte derweil sowohl die Zentralregierung in Bagdad als auch die
kurdische Regionalregierung, dass sie angesichts anhaltender Grenzverletzungen durch die
iranische Armee untätig blieben. Er forderte die Offenlegung von Sicherheitsabkommen zwischen
Irak, Iran und der Türkei und Irak. Seit Jahrzehnten gibt es grenzübergreifende Vereinbarungen, in
denen die Länder sich gegenseitig die Verfolgung kurdischer Rebellen im Staatsgebiet des
Nachbarn zubilligen.
Ob Irak oder die Türkei eine iranische Besetzung im kurdischen Nordirak akzeptieren würden, ist
fraglich. Die Türkei hat dort massive wirtschaftliche und politische Interessen, die sie bisher
ungehindert ausbauen konnte. Syrien hat seinerseits kurdischen Parteien weitreichende
Zugeständnisse signalisiert und scheint mit der PKK direkt im Gespräch zu sein. Damaskus könnte
die »PKK-Karte« erneut einsetzen, um dem Druck aus der Türkei, die seit Wochen die »Karte
Muslimbruderschaft« gegen Syrien ausspielt, entgegenzuwirken.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2011
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