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Ahmadinedschad: Diener oder Vernichter?

Irans Präsident erfährt auch im eigenen Land viel Kritik für seine israelfeindlichen Äußerungen

Von Parinas Parhisi*

Als Teheraner Oberbürgermeister mischte sich Mahmud Ahmadinedschad gelegentlich unter die Straßenfeger. »Ob als Straßenfeger, Bürgermeister oder Präsident – stets ist es mein Ziel, dem Volk ehrlich zu dienen«, sagte er nach seinem Wahlsieg. Allerdings könnte man neuerdings den Eindruck gewinnen, er »diene« vor allem dem palästinensischen Volk. Wie verhalten sich andere Akteure der iranischen Politik und das Volk zu den israelfeindlichen Äußerungen des Präsidenten?

Die allgemeine Formel, die viele Jahre lang zusammenfasste, was die Führung der Islamischen Republik Iran zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu sagen hatte, lautete: »Wir werden akzeptieren, was die Palästinenser akzeptieren«. Dies hat Expräsident Mohamed Khatami als Reaktion auf Ahmadinedschads Parolen jüngst bekräftigt. Seit Ahmadinedschad hat sich der Ton gegenüber Israel indes nicht nur verschärft, sondern er übersteigt jene semantischen Schranken, die die internationale Diplomatie im Allgemeinen verbalen Äußerungen setzt.

Ahmadinedschads Äußerungen stoßen in Iran keineswegs auf ungeteilte Zustimmung, sondern auch auf offenen Widerspruch. Die Zeitung »Aftab« zitierte den Abgeordneten Moris Motamed, der die jüdische Minderheit im Parlament vertritt, mit kritischen Worten über die Äußerungen des Präsidenten: Sie seien »deplatziert; einmal weil ein Staatspräsident vermeiden sollte, das Verhältnis Irans zum Rest der Welt zu belasten und Iran international auszugrenzen«, und zweitens weil es offensichtlich sei, »dass eine historische Tragödie dieses Ausmaßes (sechs Millionen unschuldige Menschen wurden ermordet) durch Fotos und Filme dokumentiert ist«. Die Äußerungen Ahmadinedschads seien eine Beleidigung der Juden in der ganzen Welt und stellten eine »Gefährdung der nationalen Interessen« Irans dar, betonte Motamed.

Kritik ist inzwischen auch in den Reihen der konservativen Mehrheit im Parlament hörbar. Der Parlamentarier Ali Alami warf Ahmadinedschad vor, mit derartig unüberlegten Äußerungen Iran politischen Schaden zuzufügen. »Ein Präsident muss zwischen Stammtischäußerungen und der offiziellen Meinung einer Regierung unterscheiden können.« Überdies ist die Leugnung des Holocausts eine Verletzung der verfassungsmäßig garantierten Rechte der Juden als religiöse Minderheit in Iran.

Auch das iranische Establishment wird offenbar unruhig. Einer der mächtigsten Männer, Ali Akbar Hashemi Rafsandschani, kritisierte die Äußerungen Ahmadinedschads durch die Blume. Während eines Freitagsgebets in Teheran sprach er in ungewöhnlich milden Tönen über die Entwicklung im Nahen Osten und bezeichnete die Errichtung eines Palästinenserstaats als einen Fortschritt, der umgesetzt werden sollte. In Anspielung auf die Reaktionen im Ausland, meinte der ehemalige Präsident Mohamed Khatami in einem Interview mit einer iranischen Presseagentur: »Manche Politiker wollen sogar Osama Bin Laden durch ihren Fanatismus überholen.« Die Reformpartei veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt: »Leider werden die Äußerungen Ahmadinedschads als offizielle iranische Politik bewertet, die teuer mit politischen und wirtschaftlichen Rückschlägen bezahlt werden muss.« Ahmadinedschads Aussagen werden als »unbegründete Provokation« gebrandmarkt, die »weder den Iranern noch dem unterdrückten palästinensischen Volk« nützen würden: »Es führt nur dazu, den Zusammenhalt des Westens gegen Iran zu stärken, wie es sich bereits in zwei aufeinander folgenden Verurteilungen der Äußerungen Ahmadinedschads durch den Sicherheitsrat der UNO gezeigt hat.«

Die Stimmung im Volk ist derweil geteilt. Manche begrüßen die Aussagen Ahmadinedschads, aber nur insofern, als er »mutig« dem Westen Paroli bietet. Die Zustimmung bezieht sich auf die Auffassung, dass Araber und Muslime mit dem Verbrechen des Massenmordes an den Juden (den man auf diese Weise implizit anerkennt) nichts zu tun hatten, deshalb sei es auch unberechtigt gewesen, Israel »auf arabischem (muslimischem) Boden« zu gründen und aufrechtzuerhalten. Diese Auffassung existiert in der arabischen Welt jedoch schon viel länger. Man begrüßt aber keinesfalls die Leugnung des Holocausts. Die Zustimmung erschöpft sich in der Genugtuung über das neue Selbstbewusstsein dem Westen gegenüber. Diese Haltung, die auf dem Unverständnis gegenüber den Juden basiert, verkennt allerdings die geschichtliche Dimension ihres Schicksals.

Die Mehrheit in Iran empfindet indes keine Sympathie mit Arabern im Allgemeinen. Man habe zudem genug eigene Probleme, die zu lösen seien. Die Araber haben sich schließlich in der Vergangenheit auch nicht um die Iraner gekümmert. Warum solle man nun als »Suppenschale heißer sein als die Suppe selbst«, wie es ein persisches Sprichwort sagt. Im Krieg mit Irak haben andere arabische Länder auch nicht zum Iran gehalten – selbst Yasser Arafat nicht.

Die Äußerungen des Präsidenten verkennen zu allem Übel auch geschichtliche Fakten. Juden leben seit Jahrhunderten in Iran und haben einen wesentlichen Beitrag zur Kultur des Landes geleistet. Die Beziehungen reichen bis in die biblische Zeit zurück. Die jüdische Gemeinde Irans zählt heute etwa 25 000 Angehörige und ist derzeit die größte in einem islamischen Land.

Von einem US-amerikanischen Journalisten wurde Ahmadinedschad kürzlich provokant gefragt, was er dazu sage, dass er gar nicht aussehe wie ein Präsident. Der Gefragte antwortete demütig: »Sehe ich aus wie ein Diener? Dann bin ich Diener des iranischen Volkes.« Bisher hat er dem iranischen Volk jedoch recht wenig gedient. Und was das palästinensische Volk angeht, gilt nach wie vor: Den Iranern sollte recht sein, was den Palästinensern billig ist.

* Parinas Parhisi ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Öffentliches-, Völker- und Europarecht in Frankfurt (Main)

Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2006


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