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"Revolutionärer Islam" gegen den Westen

Iraner uneins über Abschottungskurs / Khatami kritisiert in Chicago

Von Karin Leukefeld *

Nahostpolitik der USA Während Präsident Mahmud Ahmadinedschad mit Bezug auf islamische Werte Iran stärker gegen westliche Einflüsse abzuschotten versucht und Oppositionelle verfolgen lässt, fordert das eher liberal orientierte frühere Staatsoberhaupt Mohammad Khatami bei seinem USA-Besuch einen »Dialog der Zivilisationen«.

Geht es nach dem Willen des iranischen Präsidenten Mahmud Achmadinedschad, sollen in Zukunft liberale Einflüsse an den iranischen Hochschulen durch die »revolutionären Werte der Islamischen Republik« ersetzt werden. »Unser Bildungssystem wurde 150 Jahre lang durch säkulares Gedankengut beeinflusst«, zitiert die Nachrichtenagentur der Studierenden, ISNA, aus einer Rede, die der Präsident vor Elitestudenten hielt.

Der Glaube an sich selbst und die eigene Identität seien ignoriert worden. Es werde schwer sein, den Säkularismus wieder einzudämmen. »Wir müssen zusammenarbeiten«, forderte der Präsident die Studierenden auf. Gleichzeitig werde man auch die »politischen Tendenzen in den Universitätsverwaltungen« reduzieren, so Achmadinedschad – seit Jahresbeginn wurden etliche Professoren und Beamte in den unfreiwilligen Ruhestand geschickt. Studenten sollten besser nicht im Ausland studieren, warnte das Staatsoberhaupt weiter. Es könnte ein »Trick« sein, um die besten der 2,3 Millionen iranischen Studierenden »zu stehlen«.

Das rigide Vorgehen der Regierung spaltet die iranische Gesellschaft. Unterstützung gibt es bei vielen, die aufgrund des massiven westlichen Drucks meinen, man müsse sich nach den Kriegen in Irak und Libanon auch auf einen Krieg im eigenen Land vorbereiten. Auch wenn es nicht immer religiöse Motive sind, die gerade die jungen Leute hinter dem Präsidenten versammeln, seine Identität stiftenden Parolen machen ihnen Mut. Verbote von liberalen, meist westlich orientierten Zeitungen werden, wie das Verbot von Satellitenschüsseln, um westliche Fernsehprogramme zu stoppen, oft sogar befürwortet.

Die andere Hälfte der Gesellschaft allerdings protestiert oder ignoriert die Verbote. Über das Internet machen sich Kritiker ihrem Unmut Luft und landen dafür nicht selten im Gefängnis. 80 000 Iraner haben ein Weblog und dass sich das Medium Internet trotz aller Abschottungsversuche nicht aufhalten lässt, weiß auch die Regierung. Selbst Achmadinedschad hat inzwischen ein eigenes Weblog.

Das hält die Regierung allerdings nicht davon ab, weiterhin Oppositionelle zu verfolgen und Menschenrechtsverletzungen zu begehen. In einem Brief an den iranischen Außenminister Mottaki protestierten verschiedene Friedensnobelpreisträger etwa gegen den zunehmenden Druck auf Shirin Ebadi. Die Rechtsanwältin aus Teheran hatte 2003 den Friedensnobelpreis erhalten.

Anfang August war ihr vom Innenministerium die Lizenz für ihr »Zentrum zur Verteidigung der Menschenrechte« nicht verlängert worden. Die Einrichtung war durch die Übernahme brisanter Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Iran bekannt geworden, darunter Serienmorde an prominenten Oppositionellen, der Tod der kanadisch-iranischen Fotografin Zahra Kazemi und die Verfahren gegen verschiedene Journalisten und politische Gefangene. Die Regierung sei verpflichtet, Shirin Ebadi und andere Menschenrechtsaktivisten zu schützen, nicht, sie zu bedrohen, so die Friedensnobelpreisträger. Nur wenige Tage nach Bekanntwerden des Schreibens erhielt Shiri Ebadi nach eigenen Angaben schriftliche Todesdrohungen.

Der frühere Reformpräsident Mohammad Khatami, der mit seinem Projekt »Dialog der Zivilisationen« Iran vorsichtig in Richtung Westen zu öffnen versuchte, kritisierte derweil aber auch die Politik des Westens gegenüber Iran. Auf einer Konferenz mit Muslimen in Chicago warnte er vor den Gefahren einer von »engstirnigen Ansichten und Maßnahmen« dominierten US-Außenpolitik.

Seit der Besetzung der USA-Botschaft in Teheran 1979 und dem Abbruch diplomatischer Beziehungen ist Khatamis Besuch der erste eines hochrangigen iranischen Politikers in den USA. Auf den aktuellen Streit um das iranische Atomprogramm ging er bei der Konferenz nicht ein. Es herrsche »Kriegstreiberei gegen den Islam und eine wahnhafte Angst vor dem Islam«, so Khatami. Ergebnis sei noch mehr Hass gegen die US-Politik besonders im Mittleren Osten. Khatami plädierte erneut für einen Dialog. »Die Leute wahren Glaubens und diejenigen, die sich wirklich um die Menschheit kümmern, diese beiden Gruppen können zusammenarbeiten«, meinte er. Am kommenden Freitag wird das frühere Staatsoberhaupt an einer UN-Konferenz über den »Dialog der Zivilisationen« teilnehmen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2006


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