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Antirassismuskonferenz: Ahmadinedschads Postkarte nach Hause

Irans Präsidenten geht es um die politische Vorherrschaft im Nahen Osten

Von Yves Wegelin *

Ist Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad ein Antisemit? Hasst er den israelischen Staat? Vielleicht, wahrscheinlich - die innersten Überzeugungen von Menschen sind schwer zu ergründen. Und trotzdem: Die ideologische Hasstirade, die der iranische Präsident in Genf gegen Israel ritt, war gewiss nicht der Versuch, die Welt gegen den jüdischen Staat aufzubringen.

Ahmadinedschad richtete seine Worte nicht an Israel oder den Westen, sondern in erster Linie an die Iranerinnen und Iraner. In zwei Monaten sind Wahlen. Und da möchte der Präsident noch einige markige Signale setzen: Er ist der starke Mann, der sich nicht scheut, den DiplomatInnen im Westen seine Meinung um die Ohren zu schleudern.

Ahmadinedschads Worte galten aber auch den Menschen in der arabischen Welt. Seine Botschaft: Der Iran ist und bleibt das politische Rückgrat im Widerstand gegen die israelische Besatzungsmacht. Zwar teilen die Menschen in den arabischen Ländern längst nicht alle politischen Positionen des iranischen Präsidenten, und zudem misstraut man den Absichten des persischen Regimes. Doch in einem Punkt sind sich viele einig: Anders als die eigenen Regierungen zeigt das Mullah-Regime - wie auch sein Verbündeter Syrien - dem israelischen Staat und dem Westen die Stirn, und das ist mutig.

Diese Stimmung kommt den Ambitionen des iranischen Präsidenten entgegen. Denn diese enden nicht an der persischen Grenze. Teherans Ziel ist, sich die politische Vorherrschaft im Nahen Osten zu sichern. Das grösste Hindernis dorthin haben ausgerechnet die USA den IranerInnen aus dem Weg geräumt: Sechs Jahre ist es her, seit Saddam Husseins Statue in Bagdad mit langen Stricken vom Sockel gerissen wurde. Seither zieht Tehe­ran in manch einem politischen Machtkampf des Nachbarlandes die Fäden.

Doch Teherans Einflusssphäre reicht noch weiter: in den Libanon und in die besetzten palästi­nensischen Gebiete, wo es die Hisbollah und die Hamas unterstützt, und zumindest indirekt bis nach Ägypten: Dort kam es vor wenigen Tagen zum Eklat. Ägyptische Sicherheitskräfte nahmen auf der Sinaihalbinsel 49 Männer fest, die nun beschuldigt werden, der Hisbollah anzugehören und den Schmuggel von Waffen in den Gazastreifen geplant zu haben - was die Zentrale in Beirut zumindest teilweise bestätigte. Doch Ägypten geht mit seinen Anschuldigungen noch weiter: Die Männer hätten im Sinai Anschläge auf Tourismusanlagen geplant.

Ob wahr oder falsch - sicher ist: Bei den arabischen Verbündeten des Westens, allen voran Ägypten und Saudi-Arabien, wächst die Sorge vor dem zunehmenden politischen Einfluss des Iran. Einige staatlich gelenkte arabische Medien malen deshalb zunehmend die Gefahr einer schiitisch-iranischen Verschwörung gegen die arabische Welt an die Wand. Auch wenn die Hamas sunnitisch und die syrische Präsidentenfamilie alewitisch ist: Die angebliche Verschwörung bleibt ein starkes Argument, um die überwiegend sunnitische Bevölkerung der arabischen Länder von der Gefahr des Irans und seiner islamistischen Verbündeten zu überzeugen.

Wenn Irans Präsident in Genf nun also zum Zweihänder greift, bleibt den arabischen Staaten nicht viel anderes übrig, als zu schweigen oder zu applaudieren. Denn sie wissen: Im Nahen Osten hat jede und jeder eine Satellitenschüssel auf dem Dach. Da möchte man nicht als Tanzbär erscheinen, der vom Westen am Nasenring vorgeführt wird.

Reiner Populismus, könnte man sagen. Sicher. Doch die Popularität solcher Voten in der arabischen Welt ist echt. Mit einem Hass auf andersartige Menschen hat dies nichts zu tun - wer schon einmal die Herzlichkeit erfahren hat, auf die man etwa in Kairo oder Ramallahs Strassen trifft, weiss dies genau. Es ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen zynischen Nahostpolitik des Westens. Eine Politik, die einzig den kurzfristigen israelischen Interessen dient. Jahrelang hat der Westen den PalästinenserInnen Konzessionen abgerungen, während Israel Monat für Monat neue Siedlungen in den besetzten Gebieten baute. Jene arabischen Führer, die sich der westlichen Politik unterwarfen, wurden wirtschaftlich und militärisch belohnt, die anderen boykottiert - Menschenrechte hin oder her.

Solange der Westen im Nahen Osten mit unterschiedlich langen Ellen misst, wird jede weitere Diskussion über Menschenrechte im Chaos enden. Doch das wird ohnehin manchen Regierungschef freuen. Taucht irgendwo der Satan auf, ist es leichter, die Welt in Himmel und Hölle zu teilen - und die eigenen Menschenrechtsverletzungen unter den Tisch zu wischen.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 23. April 2009


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